„Dafür ist das kindliche Gehirn noch nicht reif“: Kritik an der Kinderbeichte – Pfarrer halten daran fest

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Ein Beichtgespräch zwischen einem Priester und einem Mädchen zur Vorbereitung auf die Erstkommunion. © Sebastien Desarmaux / Godong / Picture Alliance

Die Kinderbichte vor der Erstkommunion steht immer mehr zur Debatte. Pfarrer aus der Region halten an der Vorgehensweise weiter fest. Doch teils gibt es einen moderneren Rahmen.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Weiße Kleider, verzierte Kerzen, ein großes Familienfest. Die Erstkommunion wird mit viel Positivem assoziiert. Vor der Feier steht für Kommunionkinder allerdings der Gang zur Beichte an. Das wird immer mehr infrage gestellt, nicht zuletzt wegen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Laut Kirchenrecht muss jeder, der schwer gesündigt hat, vor der Kommunion das Bußsakrament empfangen. Aber ob das auf Drittklässler anzuwenden ist, steht immer mehr zur Debatte. Pfarrer aus der Region finden aber, dass die Kinderbeichte bei der Kommunionsvorbereitung weiterhin ihren festen Platz haben sollte.

Pfarrer wollen die Eigenverantwortung der Kinder stärken

„Beichte und Kommunionempfang hängen zusammen. Man soll beim Empfang von Sakramenten ein reines Herz haben und im ,Stand der Gnade‘ sein“, erklärt Dekan Thomas Neuberger. Der Schlehdorfer Pfarrer Simon Tyrolt sieht die Beichte als etwas Positives: „Sie will bestärken und ermutigen, aufrichten und heilen.“ Daher „feiere“ man auch das Sakrament der Beichte. Dabei habe das ganze Leben Platz – Positives wie Negatives, meint Tyrolt. Trotzdem ist es dem Schlehdorfer Pfarrer wichtig, Eltern und Kindern klarzumachen, dass bei ihm die Beichte als „Einladung“ zu verstehen sei. „Deshalb halte ich auch nichts von irgendwelchen Nachweisen in der Sakramentenvorbereitung. Es gilt doch, die Eigenverantwortung zu stärken.“

Thomas Neuberger (37), Dekan.
Thomas Neuberger, Dekan. © Archiv

Die Beichte will bestärken und ermutigen, aufrichten und heilen.

Etwas anders handhabt das der Wolfratshauser Pfarrer Gerhard Beham: „Mir ist es wichtig, dass die Kinder und ihre Eltern wissen, dass man die Beichte individuell gestalten kann, es muss ja nicht unbedingt um Sünden gehen.“ A und O sei eine gute Vorbereitung der Kinder und Eltern – inklusive Informationsgespräch. Vor der Beichte würden die Kinder Materialien bekommen, mit denen sie sich vorbereiten können. „Dort geht es um ihr Verhältnis zu sich selbst, zur Schöpfung, zu ihren Mitmenschen oder zu Gott“, erklärt Beham. „Jeder kann entscheiden, über welches Thema er reden möchte. Oft sprechen Kinder auch über Dinge, die sie belasten und bewegen.“ Er empfinde es als wichtig, dass die Kinder sich über diese Themen Gedanken machen und so die Sakramente kennenlernen. „Das gehört für mich schon zur Kommunion dazu, dass sie zu dem Gespräch zumindest kommen.“

Unter Ärzten und Wissenschaftlern regt sich Widerstand

Gegen die Kinderbeichte regt sich bei Wissenschaftlern und Ärzten zunehmend Widerstand. So auch bei Dr. Elke Wagner, Kinder- und Jugendpsychiaterin aus Sachsenkam. Sie hält die Beichte von Acht- oder Neunjährigen aus entwicklungspsychologischer Sicht für deplatziert. „Das kindliche Gehirn ist überhaupt noch nicht reif für Begriffe wie Sünde und Buße.“ Kleinere Fehlverhalten von Kindern seien ganz normal. „In der Entwicklung brauchen Kinder auch ihre kleinen Geheimnisse. Das gehört sicher in keinen Beichtstuhl.“ Ihrem Gefühl nach sei ein Pfarrer überdies „bei solchen Themen nicht der richtige Ansprechpartner.“

Dr. Elke Wagner, Kinder- und Jugendpsychiaterin.
Dr. Elke Wagner, Kinder- und Jugendpsychiaterin. © Privat

Das kindliche Gehirn ist überhaupt noch nicht reif für Begriffe wie Sünde und Buße.

Der Lenggrieser Pfarrer Josef Rauffer argumentiert, dass im Kontext der Beichte, der „Vernunftgebrauch“ im kirchenrechtlichen Sinne wichtig sei. „Das bedeutet, dass Kinder erst die Kommunion empfangen sollen, wenn sie ein entsprechendes Reflexionsvermögen erlangt haben.“ Es gehe nicht in erster Linie darum, sich als Sünder darzustellen, sondern um die Reflexion des Lebens. Hier hält Wagner dagegen: „Kinder leben im Hier und Jetzt. Sie können noch gar nicht über Lebensabschnitte reflektieren.“

In Lenggries, Schlehdorf und Dietramszell wird kein Kind zur Beichte gezwungen

Auch könne man es kritisch betrachten, dass Kinder sich zu solch einem privaten Gespräch alleine mit dem Pfarrer in einen Raum begeben. „Sie können das noch gar nicht begreifen und daher auch nicht wirklich entscheiden, ob sie sich auf ein Beichtgespräch einlassen wollen oder nicht“, sagt Wagner. Rauffer hingegen sieht die Erstbeichte als einen Baustein der Persönlichkeitsentwicklung. „Die Kinder sollen die Beichte auch als etwas Befreiendes erfahren.“

In Lenggries, Schlehdorf und auch im Pfarrverband Dietramszell werde kein Kind zur Beichte gezwungen, versichern die Pfarrer. „Soweit ich das sehe, gehen aber alle hin“, so der Seelsorger. Auf die Frage, ob sich Kinder im Beichtgespräch unwohl fühlen, meint Rauffer: „Natürlich sind sie aufgeregt, wie bei allen Dingen, die man nicht kennt.“ Er habe aber noch nie wahrgenommen, dass sich ein Kind unwohl gefühlt hätte. „Im Zweifelsfall wäre es meine Aufgabe, dieses Gefühl aufzugreifen und mit entsprechendem Feingefühl die Angst zu nehmen.“ Bisher habe „jedes Kind mit einem Lächeln das Gespräch verlassen“.

Therapeutin hält Beichtstuhl für wenig zeitgemäß

Cornelia Wilhelm-Schier ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin aus Wolfratshausen. Ihrer Meinung nach müsse mit dem Thema „Schuld“ bei Kindern sehr achtsam umgegangen werden. „Kinder beziehen viel auf sich und nehmen daher schnell Schuld auf sich.“ Sie seien bei der Entwicklung ihres Selbstwerts abhängig von Erwachsenen. Im Kontext der Beichte sei die Haltung der Erwachsenen daher von großer Bedeutung. „Sowohl der Pfarrer als auch die Eltern, die sich entscheiden, ihr Kind zur Beichte zu lassen, tragen große Verantwortung.“

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Die Kinderbeichte ist umstritten. Allein schon die Situation, dass ein Kind „Nein“ sagen oder sich gar rechtfertigen muss, gehört verhindert, kommentiert Redakteurin Felicitas Bogner. Die Kirche sollte sich den wissenschaftlichen Tatsachen stellen.

Nachdenken könne man generell über das Wort „Beichte“, sagt sie. „Ein Kind könnte implizieren, dass es gewissermaßen schon etwas falsch gemacht hat.“ Darum sollte es nicht gehen. „In diesem Sinne kann es mit Achtsamkeit und guter Vorbereitung für die Kinder etwas Positives, Haltgebendes und Tragendes sein, dass das Kind sich etwas von der Seele reden kann.“ Dies in einem klassischen Beichtstuhl abzuhalten, hält Wilhelm-Schier für weniger zeitgemäß. „In einem angenehmen Raum mit wertschätzender Atmosphäre und einem Gespräch auf Augenhöhe können einer Überforderung, Druck und Ängsten bei den Kindern begegnet werden.“

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