Dies ist eine kleine Geschichte über Marie-Christine Ostermann aus Hamm in Westfalen: Sie ist 47, Firmenchefin und nebenbei Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer. Seit dem Wochenende wird sie von manchen beschimpft, als hätte sie syrische Flüchtlinge versklavt oder zum Sturm aufs Kanzleramt aufgerufen.
Was war passiert? Ostermann und ihr Verband hatten es gewagt, AfD-Abgeordnete zu einem Parlamentarischen Abend in Berlin einzuladen. Die Idee dahinter war, mit ihnen auch mal direkt zu streiten, wie wirtschaftsfeindlich ihr Programm ist. So weit, so gut!
Der Aufschrei war lehrbuchartig
Die Folge: Riesengeschrei. „Wegbereiterin des Faschismus“ war noch einer der harmloseren Vorwürfe an die Ostermann-Adresse im Netz. Vorwerk und Rossmann traten mit großer Geste aus dem Verband aus. Dazu hagelte es die üblichen Boykottaufrufe. Von Rechtsaußen gegen Rossmann. Und von links gegen den Drogeriekonkurrenten dm. Dessen Eigentümer Christoph Werner hatte es verteidigt, dass man alle im Bundestag vertretenen Parteien zu so einem Abend mal einladen kann, wenn auch nicht muss. So weit, so Wut.
Boykottaufrufe wirken übrigens auf labilere Führungskräfte erstaunlich domestizierend, obwohl die Erfolgsquote meist überschaubar bleibt. Man kann zum Beispiel nicht sagen, dass der Molkereiriese Müller Milch kurz vor der Pleite stünde, seit ihr Besitzer Theo Müller sich gern mal mit Alice Weidel fotografieren lässt.
Überhaupt finde ich, dass Unternehmer und Topmanager erst mal in alle politischen Richtungen gesprächsbereit sein sollten. Ich will jetzt gar nicht alle Potentaten aufzählen, mit denen nicht nur Dax-Konzerne weltweit schon Geschäfte gemacht haben. Handel ist immer auch Diplomatie und Austausch.
Warum Brandmauern auch den Blick verstellen
Aber man kann sich natürlich auch Augen und Ohren zuhalten und schreien: „Geht weg!“ Bringt halt nix. Weder in der Wirtschaft noch in der Politik. Wer nur noch mit dem Bau von Brandmauern beschäftigt ist, hat keine Zeit mehr, sinnvolle, an seinen Wählern orientierte Politik zu machen.
Frau Ostermann gab dann zügig auf (was ich verstehen kann) und schloss die Tür zur AfD lieber wieder. Der Druck kann schnell extrem steigen, was mit Demokratie dann aber auch nicht mehr viel zu tun hat, finde ich. Das dürften die 50 Polizisten ähnlich sehen, die am Wochenende von einem gewaltbereiten linken Mob in Gießen verletzt wurden. Dort hatte sich eine neue AfD-Jugendorganisation als Generation Deutschland konstituiert. Die jungen Rechten kann man gefährlich finden. Aber muss man deshalb Polizisten zusammenschlagen?
„Wir können nicht die ganzen AfD-Wähler verdammen“
Es gab dann erfreulicherweise noch eine andere Unternehmerin, die sich am Wochenende zu Wort meldete in der Causa Ostermann: Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin des schwäbischen Familienunternehmens Trumpf, Weltmarktführer bei Industrielasern.
Sie persönlich würde zwar keine AfD-Amtsträger einladen, sagte sie. „Gleichzeitig aber können wir nicht die ganzen AfD-Wähler verdammen, zumal auf kommunaler Ebene, wo der Mittelstand tief verankert ist. Auch Trumpf, etwa in Sachsen.“
Als Leibinger-Kammüller gefragt wurde, was sie im Umgang mit der AfD der Politik empfehlen würde, sagte sie: „Endlich die für jedermann offenkundigen Probleme im Land lösen!“ Es könnte so einfach sein. Aber auch das lesen leider wieder nicht jene, die es angeht. Die halten sich lieber weiter Augen und Ohren zu.
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