Mehr als Ästhetik: Warum Brustwarzentattoos psychologisch so wichtig sind

Bereits zum fünften Mal hast du im Rahmen der Kampagne #wiederganzich drei Brustkrebspatientinnen mit Brustwarzentattoos zu einem neuen Körpergefühl verholfen, das ihnen hilft, mit der Erkrankung sowohl optisch und vielleicht auch psychisch abschließen zu können. Was bedeuten dir diese speziellen Tage im Jahr?

Mir bedeuten diese Tage sehr viel, weil ich wahnsinnig zu schätzen weiß, was die Kampagne #wiederganzich für uns und ganz besonders für die betroffenen Frauen macht. Sie übernimmt für die drei Frauen, die jedes Jahr im Rahmen einer Ausschreibung ausgewählt werden, die Kosten der Brustwarzentätowierung

Insbesondere für diejenigen, denen die Krankenkassen die Behandlung nicht erstatten, ist das eine große Hilfe. Von daher sind das für mich immer besondere und sehr emotionale Tage. Die Frauen freuen sich natürlich immer sehr, dass sie diese Chance bekommen haben. Und selbstverständlich ist das auch psychisch, wie auch optisch gesehen, sehr wichtig für die Frauen, um sich „wieder ganz“ zu fühlen und wieder normal durchs Leben gehen zu können.

Seit 2008 behandelt Andy Engel Brustkrebspatientinnen im Rahmen der medizinischen Brustwarzenrekonstruktion auch mit fotorealistischen Tätowierungen, um die nach einer Mastektomie entfernten Brustwarzen optisch wiederherzustellen. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Wie kamst du damals dazu, mit den Brustwarzentattoos anzufangen und dich zusätzlich auf medizinische Tattoos zu spezialisieren?

Mein Schlüsselerlebnis, durch das ich zum Thema medizinische Tätowierungen gekommen bin, war 2008 eine damals 60-jährige Frau, die der Meinung war, wenn ich fotorealistische Porträts tätowieren könne, könnte ich auch ihre Brustwarze rekonstruieren. 

Sie hatte nach Brustkrebs durch eine Mastektomie eine Brust verloren und nach erfolgtem Wiederaufbau fehlte eben noch die Brustwarze. Nach längerer Besprechung habe ich ihr diese dann tätowiert. Die Frau war sehr angetan von dem Ergebnis und sehr glücklich damit. Sogar so sehr, dass sie dem bayerischen Rundfunk ein Interview gab. Aufgrund dessen kam dann die Missionsärztliche Klinik, mit dem damaligen Professor Dr. Kranzfelder und seinem damals leitenden Oberarzt Dr. Andreas Cramer, auf mich zu, ob ich diese Art der Tätowierungen auch für ihre Patientinnen und Patienten durchführen könnte. 

Somit war das Thema der medizinisch notwendigen Tätowierungen geboren. Ich bin auch außerordentlich dankbar dafür, dass ich aufgrund dieser Arbeit so viele Ärzte und Professoren kennenlernen durfte, bei denen ich auch merke, dass sie mich und meine Arbeit respektieren und wirklich interessiert an meinen Vorträgen in Kliniken und auf Kongressen sind. 

Das ist wirklich toll! Ich möchte selbstverständlich mit den Ärzten arbeiten und nicht gegen sie. Ich bin zudem auch sehr dankbar, dass ich mit Bepanthen so einen tollen und professionellen Partner an meiner Seite habe, der mit der Kampagne und Ausschreibung jedes Jahr so unglaublich viel für unsere Kundinnen und Kunden tut, um diese Möglichkeit bekannter zu machen.

Wie läuft der Prozess von der ersten Beratung bis zum fertigen Tattoo ab, und wie beziehst du die Wünsche der Patientinnen in die Gestaltung ein?

Im Prinzip läuft es so ab, dass die Kundinnen und Kunden mit uns Kontakt aufnehmen – entweder telefonisch oder per E-Mail. Telefonisch findet die erste Aufklärung dann direkt durch Simone Kehrer statt, unsere Fachfrau für die Beratung zu medizinisch notwendigen Tätowierungen. Ansonsten, bei Erstkontakt über E-Mail, rufen wir die Kundinnen und Kunden direkt zurück. Es wird dabei dann z. B. besprochen, wie die Operation gemacht wurde, mit welchem Aufbau, wann sie stattgefunden hat, damit auch genug Abheilungszeit verstreichen kann (in der Regel sechs Monate nach der letzten Operation kann tätowiert werden).

Zudem geben wir auch Hilfestellung bei der Einreichung des Kostenvoranschlages bei der Krankenkasse mit Antrag auf Kostenübernahme. Wir beantworten im Grunde alle offenen Fragen der Kundinnen und Kunden vorab und erklären, wie die Behandlung bei uns abläuft. Dann können sich die Frauen und Männer direkt zum Termin anmelden, oder sie warten die Rückmeldung der Krankenkasse noch ab und machen im Anschluss daran dann ihren Termin aus. Wenn sie zu ihrem Tattoo-Termin kommen, planen wir dafür drei Stunden zum Ersttermin ein. 

Das eigentliche Tätowieren benötigt aber in der Regel nur 20 bis 30 Minuten. Die meiste Zeit bei diesen Terminen nimmt die Planung, das Dokumentieren, vorbereiten, usw. ein. Letztendlich ist für uns das Wichtigste, dass sich die Kundinnen und Kunden bei uns wohl- und gut aufgehoben fühlen. Sie sollen erst einmal in Ruhe bei uns im Studio ankommen und erzählen können, was sie erlebt haben und wie ihre ganzen Behandlungen vonstatten gegangen sind. 

Vorab wird mit ihnen eine Kundenakte mit den persönlichen und medizinischen Daten angelegt sowie die Einverständniserklärung ausgefüllt. Mit diesen Kundenakten wird der gesamte Behandlungsverlauf, bis zur Beendigung genaustens dokumentiert. Dazu gehören auch die verwendeten Materialien wie Nadeln, Farben, Mischverhältnisse, etc. Damit kann im Nachgang bei der Nachbehandlung ganz genau kontrolliert werden, was verwendet wurde.

Bei einer beidseitigen Brustwarzentätowierung werden dann gemeinsam zunächst die passenden Brustwarzen aus unserem großen Vorlagenkatalog ausgesucht und an den Körper der Kundin oder des Kunden mit Größe, Form und Sitz angepasst. Bei einer einseitigen Brustwarzentätowierung wird die vorhandene Brustwarze abfotografiert, aufbereitet mittels Fotobearbeitungsprogramm, abgezeichnet, gespiegelt und dann auf die freie Stelle kopiert. Wenn die Vorlage passend platziert wurde und die Kundin oder der Kunde damit glücklich ist, werden gemeinsam die Farben ausgesucht. Erst dann beginnt der eigentliche Teil, nämlich das Tätowieren.

Ist die Tätowierung abgeschlossen, wird das Hautareal mit einem wasserfesten und atmungsaktiven Wundverband verklebt. Mit diesem kann entsprechend auch geduscht, aber nicht gebadet werden. Dazu wird auch nochmal die ganze Nachsorge erklärt. Zusätzlich vereinbaren wir immer einen anschließenden Kontrolltermin. Dieser findet in der Regel nach vier Monaten statt, denn erst dann können wir sehen, wie die Farbe in der verheilten Tätowierung gehalten hat. Beim Kontrolltermin wird gemeinsam besprochen, ob nachgearbeitet werden soll oder die Kundin oder der Kunde mit dem Ergebnis so bereits glücklich ist. Für die Nachbehandlungen entstehen keine weiteren Kosten.

Welche Erfahrungen hast du mit Patientinnen nach einer Mastektomie – gibt es spezielle Herausforderungen oder Bedürfnisse, auf die zu achten ist?

Nach einer Mastektomie gibt es einiges zu beachten: Narben sind immer unterschiedlich und damit natürlich auch das Gewebe. Es gibt Narben, es gibt transplantiertes Gewebe, jegliche Arten von Gewebe in einem Hautareal, in dem ich dann tätowieren muss, bestrahlte Haut, medikamentöse Behandlungen. 

Das sind alles „Probleme“ und alles Punkte und spezielle Herausforderungen, auf die man sich einstellen und damit arbeiten muss. Selbstverständlich hat auch jede Frau spezielle Bedürfnisse und Wünsche, die sie gerne umgesetzt haben möchte, von denen sie ausgeht, dass sie durch die Tätowierung erfüllt werden. Somit sind die Herausforderungen und Bedürfnisse ein wirklich großer Punkt und ein ganz anderes Thema wie beim „normalen“ Tätowieren.

Welche besonderen Techniken und Farben setzt du bei der Brustwarzenrekonstruktion per Tattoo ein, um ein möglichst realistisches Ergebnis zu erzielen?

Die Technik, die ich dafür entwickelt habe, kommt aus dem Bereich des fotorealistischen Tätowierens. Diese habe ich für mich schon in etwa 2002 oder 2003 für meine fotorealistischen Arbeiten entwickelt und kreiert. Genau diese Technik setze ich auch speziell bei den medizinisch notwendigen Brustwarzentätowierungen ein, um hier die benötigten Strukturen, wie Fältchen und Wärzchen erschaffen zu können. 

Die speziellen Farben habe ich 2011 entwickelt, das heißt die Farbtöne selbst gemischt und dann die schlussendlichen Farben in den USA produzieren lassen. Dafür bin ich sogar extra nach Amerika geflogen, um mich von der Qualität zu überzeugen. Das sind spezielle Farbtöne, die genau für diese Art von Tätowierungen besonders gut geeignet sind. Die Farben sind speziell so entwickelt, dasssie in diesem besonderem Gewebe mit Narben, Hauttransplantaten oder bei bestrahlter Haut langfristig haltbar bleiben und einfach gut funktionieren.

Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die emotionale und psychologische Bedeutung dieser Tattoos für die Patientinnen?

Die psychologische und körperliche Bedeutung ist unglaublich. Ich erlebe das jedes Mal wieder! Wenn die Frauen vor dem Spiegel stehen und Freudentränen in den Augen haben, oder wenn sie dann freudestrahlend nach vier Monaten zu ihrem Kontrolltermin reinkommen. Auch dann, wenn ich nochmals kleine Feinheiten an den Brustwarzentätowierungen nacharbeite – sie sind einfach glücklich, überhaupt wieder eine Brustwarze zu haben. 

Psychologisch kann man das ganz offensichtlich beobachten, da gibt es Frauen, die nach ihrer Tätowierung wieder richtig aufleben und aufblühen. Sie fühlen sich wieder ganz und wieder vollkommen als Frau. Auch wenn ihr Mann damit überhaupt keine Probleme hat, wenn sie keine Brustwarzen hätte, es ist einfach ganz wichtig für die Frau selbst, für den Kopf und den Blick in den Spiegel, dass die Brust wieder vollständig ist. 

Das ist eigentlich emotional und psychologisch gar nicht richtig zu erklären, wie viel so eine kleine Tätowierung wert ist und für die Patientinnen ausmacht.

Seit langem machst du dich dafür stark, dass medizinische Tattoos auch von den Krankenkassen übernommen werden. Was hat sich in den letzten Jahren getan, siehst du euren Einsatz auf einem guten Weg?

Wir sind, was die Krankenkassen betrifft, auf einem sehr guten Weg. In mittlerweile etwa 18 Jahren, die wir uns dafür einsetzen, haben wir jetzt erreicht, dass über 60 Prozent der Krankenkassen die Kosten in vollem Umfang übernehmen und viele andere Krankenkassen es zumindest anteilig übernehmen. Es gibt nur noch wenige Krankenkassen, die sich dem verschliessen, weil sie argumentieren, solch eine Tätowierung solle schließlich ein Arzt vornehmen. 

Mir persönlich tut es leid, wenn in der heutigen Zeit, in der von vielen großen Unternehmen Gleichberechtigung und Menschenrechte in ihrer Firmenpolitik großgeschrieben wird, dann aber im Umkehrschluss diesen betroffenen Frauen die Behandlung verwehrt wird – vor allem nach so einer schweren Krankheit. Sie haben sich die Krankheit selbst nicht ausgesucht und das ist durchaus kein Spaziergang durch einen Rosengarten. 

Brustkrebs ist eine wirklich harte Nummer, und zwar über Jahre hinweg! Wenn die Frau durch den Betrag, den wir dafür verrechnen, ein neues Lebensgefühl und quasi ein ganz neues Leben auch für ihre Partnerschaft, oder für eine neue Freiheit in der Umkleide oder Sauna bekommen kann, dann ist es in meinen Augen das Recht dieser Frauen, auch genau das wieder zu bekommen! Es wird so viel von den Krankenkassen übernommen, manche Dinge davon sind vielleicht nicht unbedingt notwendig. 

Wenn dann aber einer Frau nach einer Mastektomie eine Brustwarzentätowierung verwehrt wird, finde ich das wirklich einfach nur traurig! Deshalb werden wir auch weiterhin dafür kämpfen, dass jede Frau die Möglichkeit hat eine Brustwarzentätowierung mit der Übernahme durch ihre Krankenkasse zu bekommen. Wir sind aber wirklich auf einem sehr guten Weg dahin. Unter anderem auch durch die engagierten Bemühungen vonSimone Kehrer, haben wir überhaupt erst erreichen können, dass so viele Krankenkassen verstanden haben, worum es dabei geht.

Konntest du durch die Kampagne #wiederganzich das Thema in der Öffentlichkeit sichtbarer machen und vielleicht auch Vorurteile abbauen?

Natürlich hat uns die Kampagne #wiederganzich extrem damit geholfen, sichtbarer zu werden. Vorurteile gab es uns gegenüber eigentlich keine, außer vielleicht von den Krankenkassen. Selbst Ärzte und Professoren stehen hierbei hinter uns, hinter dem was wir für die Betroffenen machen und das schon seit über 10 Jahren. 

Seitdem ich auf Kongressen, Ärztesymposien oder in Kliniken über diese Themen referiere, stehen die Ärzte und Professoren hinter uns, bestärken uns und sind schlussendlich dann auch unsere Kooperationspartner geworden – worüber ich mich sehr freue.