Neues Phänomen Menorexie: Karen erzählt, wie sie mit Ende 50 magersüchtig wurde

Menorexie – die Kombination aus Menopause und Anorexie beschreibt einen gefährlichen neuen Trend: Immer mehr Frauen in den Wechseljahren werden magersüchtig. Bislang galt Anorexie vorwiegend als Krankheit junger Frauen – weshalb Ärzte die Symptome bei älteren Patienten oft nicht erkennen. Doch nun zeigen neue US-Studien: Ein Viertel aller Patientinnen mit Essstörungen befindet sich in oder nach der Menopause. 

Schlankheitswahn trägt zur Entwicklung von Essstörungen bei

Durch neue, oft als Wellness getarnte Trends einer von Jugend und Schlankheit besessenen Gesellschaft geraten Frauen zwischen 40 und 65 zunehmend in Spiralen von Essstörungen – etwa durch Intervallfasten, exzessiven Sport oder ein extremes Streben, ausschließlich “gesund” zu essen. 

Viele Patientinnen waren bis Mitte 40 oder 50 mit ihrem Körper zufrieden, berichtet Erin Parks, Co-Gründerin eines Behandlungsportals für Essstörungen: 35 Prozent ihrer Patienten gaben an, erstmals ab 40 eine Essstörung entwickelt zu haben.

Selbstbild kann unter Menopause leiden

Psychologen sehen eine Reihe möglicher Auslöser: In der Menopause fühlen sich Frauen oft weniger attraktiv, auch aufgrund hormoneller Veränderungen. Ihr Östrogenspiegel sinkt um etwa 60 Prozent. Die Progesteronproduktion setzt fast ganz aus. „Das führt zu einer perfekten Kombination aus Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen, und dem Gefühl, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren”, erklärt Parks dem Medienportal „Huffpost“. 

Auch andere Lebensumbrüche können eine Rolle spielen – wie Scheidungen, körperliche Veränderungen, chronische Krankheiten oder das Empty-Nest-Syndrom: Besonders Frauen, deren Identität stark auf der Mutterrolle basiert, leiden unter Einsamkeit und Depressionen, wenn die Kinder ausziehen. 

Beratungsstellen für Erwachsene mit Essstörungen

Wie die Menorexie werden auch andere Essstörungen bei Erwachsenen häufig nicht oder zu spät erkannt. Diese Beratungsstellen klären über das Thema Esstörungen im Erwachsenenalter auf und bieten Telefonberatungen und Hilfe an:

Großer Altersunterschied zu anderen Patientinnen

Karen Moult war 50, als ihr Sohn auszog, um aufs College zu gehen. Die heute 64-Jährige aus Oklahoma fiel damals in ein Loch. Kurz darauf starb ihre Schwester. Sie begann, exzessiv Golf zu spielen und noch weniger zu essen, erzählt sie der „New York Times“. Erst Jahre später suchte sie sich einen Therapeuten, einen Ernährungsberater und einen Internisten, der auf Magersucht und Bulimie spezialisiert war.

Von ihm erhielt sie ihre Diagnose – mit Ende 50. Dabei begann ihr Kampf gegen die Magersucht schon in jungen Jahren. Seit sie denken kann, bemühte sie sich, wenig zu essen, verriet die Künstlerin der „New York Times“. Moult musste im zweiten Studienjahr die Uni verlassen, nachdem sie drastisch abgenommen hatte. Sie zog damals zu ihren Eltern zurück und versuchte, in der Nähe zu studieren. Doch sie konnte sich auf nichts anderes als ihr Gewicht konzentrieren. „Meine Essstörung war das Wichtigste in meinem Leben”, sagte sie.

Ihr Vater war Arzt und vermutete Magenprobleme. Moult kam ins Krankenhaus, wo eine Reihe von Tests negativ ausfielen. Schließlich verordnete ein Psychiater eine Therapie zur Stressbewältigung. Magersucht wurde damals jedoch nicht diagnostiziert.

Mit Ende 50 bemühte sie sich schließlich mit Hilfe ihres Therapeuten, mehr zu essen, ein bisschen zuzunehmen und weniger Sport zu treiben – mit mäßigem Erfolg. Vor zwei Jahren fühlte sie sich körperlich derart schwach, dass sie um ihr Leben bangte. Zehn Wochen lang begab sie sich in eine klinische Behandlung. Anschließend begann sie ein teilstationäres Programm für essgestörte Patienten. Sie musste sich ein Zimmer mit drei Frauen Mitte 20 teilen. Der Altersunterschied habe sie nicht gestört, sagt sie. 

Menorexie-Betroffene schämen sich oft für ihre Erkrankung

Doch viele Menorexie-Patientinnen empfinden das anders. Sie schämen sich für die Krankheit in ihrem Alter. „Ich fühlte mich völlig fehl am Platz. Ich war kein gutes Vorbild für diese jungen Mädchen”, berichtete eine andere Frau Mitte 50, die mit magersüchtigen Teenagern in einer Klinik war und ihre Behandlungen nach zwei Tagen abbrach.

Moult aber betonte: „Wir haben uns gegenseitig geholfen.” Heute geht sie in Selbsthilfegruppen, hat wöchentliche Termine bei Therapeuten, einem Ernährungsberater sowie einem Internisten und meint: Sie fühle sich besser denn je. „Hätte ich schon in jungen Jahren eine Behandlung bekommen, hätte meine Genesung viel früher beginnen können.”

Kontakt zu anderen Betroffenen kann helfen

Obwohl Frauen den Großteil der Menorexie-Betroffenen ausmachen, können auch Männer erkranken. „39 Prozent der Männer fühlen sich mit zunehmendem Alter schlechter, was ihren Körper angeht, aber Symptome von Essstörungen werden bei ihnen noch häufiger übersehen”, sagt Parks.

Die Langzeitfolgen von Essstörungen sind bekannt: Herzerkrankungen, Knochenschwund, Arthritis und Zahnprobleme. Neben Hilfe von Ärzten und Therapeuten erweise sich vor allem auch der Kontakt zu anderen Betroffenen als wirksam, erklärt Samantha DeCaro, Leiterin eines Zentrums für Essstörungen, der „Huffpost“: „Wenn Sie einer Selbsthilfegruppe beitreten, sich Genesungsgeschichten in Podcasts anhören oder die Memoiren von Menschen lesen, die mit Essstörungen in der Lebensmitte zu kämpfen hatten, zeigt Ihnen das, dass Sie nicht allein sind.”