Deal mit Habeck? Dokumente könnten neues Licht auf Scholz‘ Atom-Machtwort werfen

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am 18. Dezember 2024 bei einer Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt in Berlin (Archivbild). ©  IMAGO / Political-Moments

Neue Enthüllungen zum Atomausstieg? Kanzler Scholz soll sich mit Wirtschaftsminister Habeck abgesprochen haben. Der frühere Finanzminister Lindner blieb offenbar außen vor.

Berlin – Der Atomausstieg wird derzeit in einem Untersuchungsausschuss im Bundestag noch einmal genau unter die Lupe genommen. Angestoßen hatte das die Union. Es gebe den Verdacht, dass die „versprochene ergebnisoffene Prüfung eines Weiterbetriebs nie erfolgte“, wie Energiepolitiker Andreas Lenz der Nachrichtenagentur dpa sagte. Die Welt am Sonntag will nun Dokumente vorliegen haben, die damalige Ereignisse in neuem Licht zeigen.

Interne Papiere zu Scholz‘ Machtwort zum Atomausstieg

Wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs hatte Kremlchef Wladimir Putin 2022 Deutschland den Gashahn zugedreht. Aufgrund der darauffolgenden Energie-Krise ließ Berlin die letzten drei verbliebenen Meiler länger laufen als geplant. Mitte April 2023 stieg Deutschland dann aber wie geplant aus der Atomenergie aus. Ursprünglich war der 31. Dezember 2022 als Datum für den Ausstieg vorgesehen gewesen. Die Dauer des Weiterbetriebs der Kraftwerke sowie die Entscheidung zum endgültigen Atomausstieg hatten im Vorfeld für heftige Debatten in der Koalition gesorgt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) wandte im Oktober 2022 schließlich seine Richtlinienkompetenz an und setzte dem Streit in der Ampel so ein Ende.

Wie Dokumente, die der Welt am Sonntag vorliegen, offenbar zeigen, soll der Kanzler die Entscheidung zur Atomlaufzeit mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beraten haben. Den damaligen Finanzminister Christian Lindner (FDP) habe man hingegen absichtlich außen vor gelassen. „Können wir das (diskret und zunächst ohne Einbindung BMF) vorab prüfen?“, schrieb laut Welt demnach der damalige Staatssekretär im Kanzleramt, Jörg Kukies, über eine Prüfung von Detailfragen im Falle einer Laufzeitverlängerung. BMF steht für das Bundesfinanzministerium, das Lindner damals leitete. Die Liberalen hatten sich für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke über April 2023 hinaus eingesetzt.

Internes Papier enthüllt: Grünen-Spitze hielt offenbar Reserve-Idee selbst für unpraktikabel

Nach außen hin hätten die Grünen gefordert, die Atomkraftwerke in Reserve zu halten. Dabei hielten sie den Vorschlag laut den nun durchgestochenen Dokumenten offenbar selbst für nicht praktikabel, so der Bericht. Der damalige Staatssekretär von Wirtschaftsminister Habeck, Patrick Graichen, schrieb laut Welt an seinen Chef: „Wer einmal abschaltet, MUSS in eine Revision gehen, die mehrere Wochen dauert. Stefan (Anm. d. Red.: ein Mitarbeiter der grünen Fraktion) schreibt auch dementsprechend, dass er die Reserve für nicht praktikabel hält, Argh.“

Als für die Energiesicherheit verantwortlicher Minister müsse er sagen, schrieb Habeck laut der Welt am Sonntag im September 2023: „Wenn diese Entwicklung nicht doch wie durch ein Wunder in ihr Gegenteil verkehrt wird, werden wir ISAR 2 und NKW (Anm. d. Red.: Neckarwestheim) im ersten Quartal 2023 am Netz lassen.“ Später ergänzte der Wirtschaftsminister offenbar: „Heute muss ich sagen, dass die Daten aus Frankreich dafür sprechen, dass wir die Reserve dann auch nutzen werden.“

Im Gegenzug für ein Einlenken in der Atomfrage wollten die Grünen dem Bericht zufolge Zugeständnisse zu einem „Energieeffizienzgesetz“ herausholen. Scholz ging in dem Brief, in dem er das Machtwort sprach, auch darauf ein, womöglich um den Koalitionsfrieden zu wahren: Parallel zur Entscheidung einer Verzögerung des Atomausstiegs „werden die folgenden Weichenstellungen vorgenommen: Es wird ein ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz vorgelegt“, hieß es in dem Papier.

Bundeskanzler im Fokus: Verhandelte Scholz Energiesicherheit im Hinterzimmer?

Scholz und Habeck hätten die Öffentlichkeit getäuscht, kommentierte der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler die Enthüllungen gegenüber der Welt. „Nun wird klar: Es gab niemals ein Machtwort des Bundeskanzlers. Stattdessen hat er die Energiesicherheit Deutschlands im Hinterzimmer gegen grüne Sonderwünsche verdealt. Und Habeck hat beim Atomausstieg gleichzeitig noch seinen eigenen Parteitag hinter die Fichte geführt.“

Scholz betonte gegenüber der Welt, das Machtwort sei nicht abgesprochen gewesen: „Nein, weil keine Einigung zustande kam, habe ich als Kanzler entschieden.“ Rein formal muss der deutsche Bundeskanzler keine Absprache treffen, denn die in Artikel 65 des Grundgesetzes verankerte Richtlinienkompetenz sieht vor, dass er eigenständig die Richtlinien der Politik bestimmen kann. „Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung“, heißt es im Gesetzestext weiter.

Am Donnerstag (16. Januar) werden Habeck und Scholz bei der Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Atomausstieg befragt. Aus Sicht des SPD-Abgeordneten Jakob Blankenburg, wolle die Union den Ausschuss nur als Wahlkampfmanöver nutzen. Unlängst waren auch interne Dokumente der FDP ans Licht gekommen, die zeigten, dass die liberale Spitze den Bruch der Ampel-Koalition von langer Hand geplant hatte, nach außen hin aber Verhandlungsbereitschaft suggerierte. Bei anderen Parteien hatte das sogenannte „D-Day-Papier“ für Empörung gesorgt.

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