Sogar Chinas Experten sehen Putin mit Argwohn – warum sie Russland trotzdem stützen wollen

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Diese Woche treffen sie sich wieder einmal: Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping. © Sergei Guneyev/TASS/Imago

Viele Chinesische Akademiker haben eine wenig schmeichelhafte Sicht auf Russland. Trotzdem halten die meisten die Zusammenarbeit für alternativlos.

Nur wenige Tage nach seiner Europa-Reise trifft sich Staatschef Xi Jinping diese Woche mit jenem Mann, von dem ihn die Europäer – zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – gern loseisen würden: Russlands Präsident Wladimir Putin. Doch Xi bleibt hart. Zu einer Friedenskonferenz zur Beendigung des Ukraine-Krieges will China zum Beispiel nur anreisen, wenn auch Angreifer Russland mit am Tisch sitzt. Bei der geplanten Konferenz in der Schweiz ist das nicht der Fall – und so wird auch China nicht dabei sein.

Ob die Regierung intern über die richtige Haltung zu Russland und zum Krieg in der Ukraine diskutiert, ist wegen Chinas intransparentem System unklar. Ein wenig ist aber von den Debatten in akademischen Kreisen bekannt. Kürzlich überraschte einer der schärfsten Russland-Kritiker Chinas mit einem Gastbeitrag für das britische Magazin Economist: Der Pekinger Politikprofessor Feng Yujun prognostizierte darin eine Niederlage Russlands. Die anhaltende westliche Unterstützung und der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Ukraine würden dazu führen, dass Russland „zu gegebener Zeit“ alle besetzten Gebiete werde räumen müssen.

Chinesischer Politologe Feng: Russlands Invasion von „imperialer Gier“ geleitet

Von Beginn der Invasion an hatte Feng immer wieder argumentiert, dass Russlands Einmarsch in die Ukraine ungerechtfertigt und von imperialer Gier motiviert sei – und dass eine zu enge Zusammenarbeit mit Moskau in dieser Frage ein strategischer Fehler für China wäre. „Die Beziehungen Chinas zu Russland sind nicht festgelegt“, so Feng. China habe sich bereits von der ‚grenzenlosen‘ Freundschaft zu Russland verabschiedet und sei zu traditionellen Grundsätzen der Blockfreiheit und Nicht-Konfrontation zurückgekehrt.

Feng vertritt allerdings keine Mehrheitsmeinung. „Fengs Misstrauen und seine Kritik an Moskau sind in den meisten meiner Gespräche mit chinesischen Wissenschaftlern deutlich geworden, wenn auch in milderer Form“, meint Thomas des Garets Geddes, der ausgewählte Aufsätze chinesischer Wissenschaftler übersetzen lässt und in seinem Newsletter Sinification publiziert. „Es ist durchaus üblich, dass chinesische Analysten Kritik und Misstrauen gegenüber Moskau äußern und gleichzeitig für die Aufrechterhaltung enger Beziehungen zum Kreml plädieren“, sagte Geddes zu IPPEN.MEDIA. „Dies mag auf den ersten Blick etwas widersprüchlich erscheinen, spiegelt aber lediglich wider, dass Chinas nationale Interessen Vorrang vor allem anderen haben.“ Peking ist überzeugt, Russland als Verbündeten gegen die ungeliebte westlich dominierte Weltordnung zu brauchen.

Chinas Experten: Russland ist Schlüssel für globales Gleichgewicht

Chinesische Wissenschaftler bezeichneten „die Zusammenarbeit mit Moskau in internationalen Organisationen als wichtig und Russland als Schlüssel für ein ‘globales strategisches Gleichgewicht’“, meint der China-Experte Thomas Eder vom Austrian Institute for International Affairs, der sich mehrere chinesische Plattformen für Expertendiskussionen zur Außenpolitik angesehen hat. Dort argumentierten aber auch viele, dass Russlands Vorgehen den Interessen Chinas schade, schreibt Eder.

„Sie beschreiben Russland als ein potenziell größeres Problem für die Beziehungen zwischen China und der EU als die USA.“ Die EU selbst habe in den Beiträgen eine hohe strategische Bedeutung, die als „nicht geringer als die von Russland“ bezeichnet werde. Das zumindest überrascht - und es ist unbekannt, inwieweit Regierungsbeamte um Xi Jinping dieser Auffassung folgen.

Russischer Journalist: Chinas Friedensplan stimmt nicht mit Moskaus Zielen überein

In Russland jedenfalls sind nicht alle überzeugt, dass China ein felsenfester Partner ist. Chinas Friedensinitiativen zur Lösung des Ukraine-Konflikts stimmen nach Ansicht von Maxim Jusin, Kolumnist der russischen Wirtschaftszeitung Komersant, „überhaupt nicht“ mit den maximalistischen Forderungen der russischen Seite überein. Peking fordere eine Einstellung der Feindseligkeiten, ja sogar ein Einfrieren des Konflikts, so Jusin, „erwähnt aber mit keinem Wort die Entmilitarisierung der Ukraine, die Entnazifizierung oder einen Regimewechsel in Kiew“. Das alles aber sind zentrale Forderungen des Kreml, und deshalb sieht Jusin eine größere Distanz Chinas zu Russland, als sie im Westen wahrgenommen wird.

Jusin hält daher auch Feng Yujuns Economist-Gasteitrag durchaus für ein Signal. „Wenn man weiß, wie die chinesische Gesellschaft organisiert ist, kann man sich nur schwer vorstellen, dass der Professor, der diesen Artikel verfasst hat, auf eigenes Risiko und ohne die Unterstützung der verantwortlichen Genossen in Peking gehandelt hat“, schreibt er.

Russlands Blick auf China wenig bekannt

Ob die Zirkel um Putin dies ähnlich sehen, ist ebenfalls nicht bekannt. „Jene Berater, die tatsächlich das Ohr von Putin oder Xi haben, sind mit öffentlichen Wortmeldungen sehr zurückhaltend“, sagt Sebastian Hoppe, Osteuropa-Experte am SCRIPT-Cluster der Freien Universität Berlin. In Russland sehen viele die Beziehungen zu China einfach als „Fortsetzung einer Entwicklung, die es vor dem Krieg schon gab”, so Hoppe zu IPPEN.MEDIA. Dazu gehöre, die gemeinsamen Militärmanöver trotz des Krieges fortzusetzen – wozu sich auch China bekanntlich nicht zu schade ist.

Auch die Ausweitung des bilateralen Handels habe Putin schon 2019 zum Ziel gesetzt, sagt Hoppe. „Dass es schon jetzt 240 Milliarden US-Dollar sind, ist natürlich ein Kriegsphänomen, aber generell entwickelt sich der Handel nur ein wenig schneller als vorher prognostiziert.“ Den Chinesen sei diese russische Sichtweise ganz recht, so der Experte. „Denn sie wollen gar keine Töne aus Russland, dass es sich bei dem Handel um eine echte Kriegsunterstützung handele.“

Denn als Kriegsunterstützer möchte Peking nicht wahrgenommen werden; es bezeichnet sich selbst trotz der Nähe zu Russland beharrlich als neutral. Französische Diplomaten sagten der Nachrichtenagentur Reuters, Xi Jinping habe bei seinem Besuch in Paris deutlich gemacht, dass Peking bereit sei, die Frage der Lieferungen von zivil und militärisch nutzbaren Dual-Use-Produkten zu prüfen und nicht beabsichtige, Waffen an Moskau zu liefern. Jetzt muss sich zeigen, ob Xi das auch durchsetzt.

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