Spannende Einblicke in Erdings Zukunftsviertel
Im neuen Wohnquartier im Erdinger Fliegerhorst sollen nach der Konversion Privatautos keine große Rolle mehr spielen. Stadtplaner haben sich Gedanken über das Wohnen und die Mobilität der Zukunft gemacht.
Wie schaut nachhaltiges Wohnen in der Zukunft aus? Wie sind die Menschen mobil, welche Verkehrsmittel nutzen sie? Diese Fragen und viele mehr versucht das Tübinger Architekturbüro Hähnig-Gemmeke für den neuen Stadtteil im Fliegerhorst Erding zu beantworten. Seit die renommierten Stadtplaner 2020 den Ideenwettbewerb für die Konversion der 350 Hektar großen Areals gewonnen haben, erarbeiten sie Schritt für Schritt Konzepte. Es sind spannende und auch visionäre Vorschläge. Im Stadtentwicklungsausschuss (SEA) wurden nun der aktualisierte Rahmenplan und das Mobilitätskonzept vorgestellt.
„Weg von dem, was wir kennen“
Ein weitgehend autofreies Zukunftsviertel mit intelligentem Parkraumsystem, das ohne Tiefgaragen auskommt, stellte Sophie Stigliano, Mobilitätsplanerin bei Urban Standards in München, vor. Es beinhaltet oberirdische Quartiersgaragen mit Kontingenten für Privatautos statt fester Stellplätze. Dazu kommen neben dem ÖPNV und dem neuen Bahnhof in unmittelbarer Nähe Lastenräder, E-Bikes und Carsharing-Angebote, die flexibel und planbar nutzbar sind.
Dabei soll den unterschiedlichen Ansprüchen an Mobilität, die die Bewohner je nach Alter und Familienstand haben, Rechnung getragen werden – vom Single-Haushalt, über Paare und Familien bis zum Senior. Sie alle können auf ihre Wünsche zugeschnittene Abos abschließen. Stigliano sprach von „einer Flexibilisierung des Parkraums, weg von dem, was wir kennen“, eine „gute Alternative zum privaten Auto“.
Verhandlungen mit Bima stocken
Der große Vorteil in Erding ist aus ihrer Sicht, dass die Stadt Verkäuferin der Flächen sei und Vorgaben vertraglich fixieren kann. Auch das ist noch Zukunftsmusik, denn die Verhandlungen mit der Bundesimmobilienanstalt (Bima) „sind 2023 nicht bedeutend weitergekommen“, merkte Stadtentwickler Christian Famira-Parcsetich an. Wie berichtet, will die Stadt das gesamte Areal vom Bund erwerben, um planerisch den Hut auf zu haben. Zum Jahresende gibt die Bundeswehr den Fliegerhorst frei.
Um einen langfristigen Betrieb der Mobilitätsstation sicherzustellen, schlägt Stigliano die Gründung einer Mobilitätsgesellschaft vor, die Angebote und Nachfrage managt und vermarktet. Diese Aufgabe könnten einmal die Stadtwerke übernehmen. Da passte es gut, dass deren Geschäftsführer Christoph Ruthner unter den Zuhörern war.
Stigliano denkt in großen Dimensionen: 40 Ladepunkte für 49 Carsharing-Fahrzeuge, 28 E-Bikes, 40 E-Lastenräder, 19 Fächer Paketboxen für eine wohnortnahe Zustellung. Sie hat Mobilitätspakete zusammengestellt, die unterschiedliche Parkierrechte sowie Freiminuten fürs Carsharing, E-Bike-Sharing und einen Zuschuss zum ÖPNV enthalten. Je nach Bewohner- und Beschäftigten-Typ hat sie monatliche Kosten für die Nutzer zwischen 24 und 250 Euro errechnet. Schließlich muss sich die GmbH finanziell tragen.
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Eingangs der Sitzung hatte Mathias Hähnig nochmals die Grundidee dieses Stadtviertels der Zukunft zusammengefasst, das rund 6500 Bürger Platz bieten kann. Es umfasst nur einen Bruchteil des Fliegerhorst-Areals, dazu kommen Gewerbegebiete am Hangar und an den Sheltern, viele Park- und Freiflächen und Infrastruktureinrichtungen wie Kitas, Schulen und ein Sportstadion.
Der Architekt beschrieb den grünen Boulevard, der sich von Westen nach Osten durchs Quartier ziehen wird, das sich unmittelbar an den neuen Bahnhof anschließt. Prägende Orte wie das Fliegerhorst-Kircherl, das Stabsgebäude und der Hangar sollen ebenso erhalten bleiben wie 90 Prozent der Baumstruktur. Aktuell gebe es einen hohen Versiegelungsgrad bei den Flächen, „aber auch viele Kleinode, die es einzubinden gilt“. Das Wohnquartier ist von einer Ringerschließung umgeben, der zentrale Bereich weitgehend autofrei.
Hähnig lobte die hohe Bürgerbeteiligung im bisherigen Verlauf. „Die Impulse sind hilfreich für uns.“ Zudem berichtete er von einem Besuch in der norwegischen Hauptstadt Oslo, die eine E-Auto-Quote von 80 Prozent habe. „Es ist ruhig. Sie nehmen den Autoverkehr nicht mehr wahr.“
Den beiden Vorträgen schloss sich eine kurze Diskussion an, in der den Stadträten die Bedeutung der Konversion bewusst wurde. Burkhard Köppen (CSU) sprach von einem „Parforce-Ritt an Inhalten, der einen intellektuell schon herausfordert“. Hans Egger (Erding Jetzt) hat „sehr viel Vertrauen in die Zukunftsentwicklung, auch wenn ich noch nicht sehe, wie das umgesetzt werden soll“. Er stellte die Frage, wie man die Konzepte einmal in einen Bebauungsplan integriere und in Übereinkünfte mit Bauträgern.
Stefan Grabrucker (SPD) sah durchaus ein Risiko für die Betreibergesellschaft und wollte wissen, ob eine Mobilitätsgesellschaft so schon anderswo betrieben werde: „Das ist in der Tat Neuland“, so Stigliano.
Helga Stieglmeier (Grüne) sprach von einer „Sternstunde in der Kommunalpolitik, in der ich seit 20 Jahren bin. Wir planen hier etwas völlig Neues, auch wenn ich die Umsetzung vielleicht gar nicht erleben werde. Wir sind an der Zukunft beteiligt.“ Es sei ein Privileg, so etwas entwickeln zu dürfen.
OB Max Gotz (CSU) meinte: „Wer weiß, was bis zum Umsetzungszeitpunkt noch alles an Modernem kommt. Aber wir haben das Zukunftsthema erkannt und geben Antworten.“
Die SEA-Mitglieder stimmten dem Rahmenplan samt Mobilitätskonzept zu und dafür, dass das Büro Hähnig-Gemmeke auch mit dem Gestaltungsleitfaden beauftragt wird. Die Kosten dafür betragen 270 000 Euro, 80 Prozent werden von der Regierung von Oberbayern als Zuschuss erwartet. Am Dienstag, 24. September, um 17.45 Uhr stellen die Planer ihre Ideen noch einmal im Stadtrat vor. Er trifft dann die endgültige Entscheidung.