Der 12. Dezember ist all jenen mit dynamischen Stromtarifen noch in schlechter Erinnerung. Es weht wenig Wind an diesem Tag und Wolken bedecken vielerorts in Deutschland den Himmel. Eine so genannte Dunkelflaute tritt ein.
Der Name ist dramatischer als das, was wirklich passiert. Weder stehen alle Windräder noch alle Solaranlagen still. Aber sie liefern an diesem Tag weniger Strom als eigentlich benötigt würde. Importe aus dem Ausland verhinderten zwar einen Blackout, aber die Preise für Strom an der Börse explodierten förmlich. Statt rund 130 Euro kostete die Megawattstunde in der Spitze mehr als 900 Euro, also fast einen Euro pro Kilowattstunde.
Deutsche Haushalte zahlen Fixpreise für Strom
Verbraucher haben davon kaum etwas mitgekriegt. Die meisten deutschen Haushalte werden noch immer mit Fixpreisen beliefert, deren Tarif nach den Durchschnittspreisen eines Jahres berechnet wird. An denen hat sich durch die Dunkelflaute wenig geändert. Besonders im Sommer gibt es schließlich auch Tage, an denen so viel erneuerbarer Strom entsteht, dass die Preise sogar ins Negative purzeln. Wer dann Strom mit einem dynamischen Tarif Strom bezieht, wird sogar noch dafür bezahlt.
Kritischer sind die Preisschwankungen für Unternehmen, die ihren Bedarf oft tagesaktuell decken. Während sich das für sie über das Jahr gesehen zwar auch ausgleicht, sind sie über Rekordtage wie im Dezember wenig erfreut. Tatsächlich drosselten am 12. Dezember nicht wenige Fabriken ihre Produktion und saßen die Dunkelflaute lieber aus, um Geld zu sparen.
Preisspitzen werden durch erneuerbare Energien wahrscheinlicher
Nun überprüfen Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur noch immer, wie es zu dem Rekord-Peak kommen konnte. Der Verdacht liegt nahe, dass Energieversorger zusätzliche Kraftwerke nicht ans Netz ließen, um sich mit den hohen Preisen eine goldene Nase zu verdienen. Doch unabhängig von dem Ausnahmefall am 12. Dezember sind Dunkelflauten und damit verbundene Preisspitzen durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energie am Strommix wahrscheinlicher.
Christof Bauer von der Technischen Universität Darmstadt hat das nachgerechnet. Im Handelsblatt erklärt er, es habe im Winter 2023/24 von November bis Januar nur eine Stunde gegeben, in der Strom an der Börse mehr als 250 Euro pro Megawattstunde kostete. Diesen Winter sei es in den gleichen Monaten in 73 Stunden passiert.
Mehr als 10 Gigawattstunden aus dem Ausland importiert
Dass die Preise so weit stiegen und Deutschland gleichzeitig mehr als 10 Gigawattstunden aus dem Ausland importieren musste, passierte im vergangenen Winter nicht ein einziges Mal, in diesem Winter bereits in 60 Stunden.
Dabei muss zwar berücksichtigt werden, dass der Strompreis in diesem Winter allgemein bei durchschnittlich 112 Euro lag und im vergangenen bei 79 Euro. Das allein ist ein Preisanstieg von 41 Prozent. Preisspitzen von mehr als 250 Euro sind vom aktuellen Niveau aus also auch viel leichter zu erreichen und schon deswegen wahrscheinlicher. Trotzdem ist es unter Experten unbestritten, dass solche Spitzen in einem Strommix mit vielen erneuerbaren Energien häufiger auftreten können.
Versorgungssicherheit nicht gefährdet
Auf die Versorgungssicherheit in Deutschland haben solche Dunkelflauten kaum einen Einfluss. Zuerst würden die Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, TransnetBW und TenneT versuchen, die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage mit Importen aus dem Ausland zu decken. Besonders Strom aus Frankreich, der Schweiz und Österreich ist dann gefragt. Das liegt an dem Nord-Süd-Gefälle des deutschen Strommarktes.
Der meiste Strom wird über Windanlagen im Norden produziert, der größte Verbrauch liegt aber bei Industrieanlagen im Süden. Die haben also in einer Dunkelflaute die größte Not, welche dann am besten über Strom aus unseren südlichen Nachbarländern gedeckt werden kann. Das bedeutet allerdings nicht, dass der von dort importierte Strom auch in diesen Ländern produziert wurde. Theoretisch kann es sich auch um Strom handeln, den diese Länder von woanders beziehen und nur weiterleiten. Das europäische Stromnetz macht es möglich.
Reservekraftwerke werden mit Erdgas oder Kohle betrieben
Sollten Importe an besonders schlechten Tagen einmal nicht ausreichen, gibt es Reservekraftwerke. Die werden mit Erdgas oder Kohle betrieben und werden von den Energieriesen in Bereitschaft gehalten. Sie erhalten dafür eine bestimmte Summe pro Jahr und potenziell lieferbarer Megawattstunde. Im Gegenzug nehmen sie nicht am Strommarkt teil und dürfen nur ans Netz gehen, wenn die Netzbetreiber ihre Dienste anfordern, um einen Blackout zu verhindern.
Die Betreiber erarbeiten jedes Jahr gemeinsam mit der Bundesnetzagentur, wie hoch diese Reserve sein muss. Für diesen Winter wurden etwa 6,9 Gigawatt Leistung berechnet, für den Winter 2026/27 müssen es 9,2 Gigawatt sein. Dabei wird auch festgelegt, welche Kraftwerke diesen Strom liefern können und Rücksicht darauf genommen, dass manche zum Beispiel wegen Wartung oder Reparaturen nicht zur Verfügung stehen. Der Reservebedarf wird dabei am schlechtesten anzunehmenden Tag eines Winters kalkuliert und das nicht nur am deutschen Bedarf, sondern auch unter der Prämisse, dass gleichzeitig Strom ins Ausland exportiert werden muss, um Netze dort in ähnlicher Lage zu stabilisieren.
So könnten Preisspitzen abgemildert werden
Während die Versorgungssicherheit also gewährleistet ist, stellt sich die Frage, wie irrsinnige Preisausschläge abgemildert werden können. Der Plan von Noch-Wirtschaftsminister Habeck sah vor, dass der Bund eine Reihe von Gaskraftwerken zum Bau ausschreiben würde, die aktuell mit Erdgas und später mit Wasserstoff betrieben werden könnten. 20 solcher Kraftwerke sollten im vergangenen Jahr ausgeschrieben und bis 2030 mit einer Gesamtleistung von 10 Gigawatt gebaut werden.
Doch die Ausschreibungen verzögern sich immer weiter. Erst dauerten Diskussionen mit der EU-Kommission über die staatliche Förderung für den Bau länger als geplant, dann sorgte das Ampel-Aus dafür, dass es für das notwendige „Kraftwerksicherheitsgesetz“ keine Mehrheiten mehr im Bundestag gab.
Offen ist, was die neue Regierung plant
Wie jetzt also mit einer Unions-geführten Regierung das Problem angegangen wird, ist noch völlig unklar. CDU/CSU reden in ihrem Wahlprogramm nur davon, dass sie eine „pragmatische Kraftwerkstrategie“ etablieren wollen, die technologieoffen sein soll. Das würde gegen eine Ausschreibung von Gaskraftwerken sprechen. An anderer Stelle sagt die Union jedoch, dass keine weiteren Kohlekraftwerke vom Netz gehen sollen, ohne dass dafür neue Gaskraftwerke in Betrieb genommen werden. Das widerspricht der Technologieoffenheit. Im schlimmsten Fall laufen also dreckige Kohlekraftwerke weiter.
Immerhin spricht sich die Union für den schon von der Ampel geplanten Kapazitätsmarkt aus. Das bezeichnet den Mechanismus, dass Kraftwerke als Bereitschafts-Reserve für Notfälle vorgehalten und die Betreiber vom Staat oder über Netzentgelte für diese Bereitstellung bezahlt werden. Der mögliche Koalitionspartner SPD behandelt das Thema in seinem Wahlprogramm gar nicht.
Reservekraftwerke auch in Zeiten von Preisspitzen aktivieren
Eine kurzfristige Lösung könnte sein, die zur Versorgungssicherheit bereitgestellten Reservekraftwerke auch in Zeiten von Preisspitzen zu aktivieren. Bauer schlägt das etwa im Handelsblatt vor.
Der Vorschlag ist aber umstritten, hauptsächlich, weil es sich bei den Reservekraftwerken eben um Kohlekraftwerke handelt. „Die Kraftwerke dürfen nur zum Einsatz kommen, wenn sie tatsächlich benötigt werden“, sagt etwa die Deutsche Umwelthilfe in einem Statement. Das wäre nur bei Blackout-Gefahr der Fall. „Der Neubau von Gaskraftwerken mit hohen Betriebsstunden ist mit den Klimazielen nicht vereinbar und darf keine Lösung sein“, sagt Nadine Bethge, bei der Umwelthilfe für Energie und Klimaschutz verantwortlich.
Bau von Langzeit-Stromspeichern fördern?
Die Organisation liefert auch gleich einen Alternativvorschlag: Die Bundesregierung solle statt neuen Kraftwerken lieber stärker den Bau von Langzeit-Stromspeichern fördern. Die könnten dann die Energie in Zeiten von Preisspitzen ins Netz einspeisen und so den Preis senken. Dafür müssten Speicherbetreiber aber ebenfalls entschädigt werden – entweder, in dem sie die hohen Strompreise bei Preisspitzen abgreifen dürfen oder an einem Kapazitätsmarkt beteiligt werden und eine Vergütung vom Staat dafür bekommen, dass sie überhaupt Strom speichern. Das Kraftwerksicherheitsgesetz sah nur eine Förderung für 0,5 Gigawatt an Stromspeichern vor. Benötigt würde ein Vielfaches davon.
Auch hierzu äußern sich die möglichen Koalitionspartner aber kaum in ihren Wahlprogrammen. Die CDU/CSU spricht lose davon, ein „besonders Augenmerk“ auf „eine effiziente Verknüpfung“ von erneuerbaren Energien, Netzen und Speichern zu legen. Konkrete Pläne Fehlanzeige. Die SPD redet nur davon, Speicher einbinden zu wollen – wie und in welchem Maße, wird nicht verraten.