Reint Gropp, Präsident des IWH, im Interview - „Ohne eine vernünftige Verteidigungspolitik ist alles andere zweitrangig“

Es geht um nicht weniger als einen Neuanfang in der deutschen Wirtschaftspolitik. Reint Gropp, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), spricht im Interview mit ntv.de über Chancen und Risiken, die mit einer Koalition zwischen Union und SPD einhergehen könnten.

„Wir sind an einem Punkt, an dem es nicht mehr nur um kosmetische Veränderungen geht“, sagt Gropp. „Die Reformen, die jetzt auf den Tisch müssen, sind tiefgreifend und umfassend.“ Der Frust über das aktuelle Steuermodell ist spürbar. Vor allem Menschen mit mittleren Einkommen fühlen sich von der Steuerlast erdrückt. „Es ist auf Dauer kein tragfähiges Modell, dass die Mittelschicht die Hauptlast trägt“, so Gropp weiter. Eine gerechtere Einkommensverteilung könnte der Schlüssel sein, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.

Ruf nach einer grundlegenden Reform wird lauter

Aber nicht nur die Steuerpolitik steht zur Debatte. Auch die Energie- und Klimapolitik Deutschlands ist ein heißes Eisen, das angepackt werden muss. „Ohne eine klare und berechenbare Energie- und Klimastrategie wird Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können“, warnt Gropp. Der Ruf nach einer grundlegenden Reform, die auch die Bürokratie eindämmt, wird immer lauter.

Doch wie realistisch ist ein solcher Neustart mit einer Großen Koalition? Die mögliche Koalition zwischen CDU und SPD ist nicht spannungsfrei. Vor allem in der Wirtschaftspolitik haben beide Parteien oft unterschiedliche Vorstellungen. Dennoch ist Gropp optimistisch: „Beim Bürokratieabbau, in der Klimapolitik und bei der Einkommensteuerreform sind sich CDU und SPD gar nicht so unähnlich. Beide wollen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wiederherstellen.

„Ohne eine vernünftige Verteidigungspolitik ist alles andere zweitrangig“

Die Frage bleibt: Kommt man um eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner herum? „Wir dürfen nicht einfach darauf warten, dass sich die Dinge von selbst regeln“, mahnt Gropp. „Es braucht mutige, klare und dynamische Entscheidungen, um den Reformstau zu lösen.“ Gelingt es der Großen Koalition, sich auf die wesentlichen Punkte zu einigen, könnte dies ein entscheidender Schritt in Richtung Konjunkturaufschwung sein.

Ein Punkt, auf den sich die Koalition einigen könnte, ist die Verteidigungspolitik. „Ohne eine vernünftige Verteidigungspolitik ist alles andere zweitrangig“, sagte Gropp. Die Herausforderung wird sein, wie Deutschland mehr für Verteidigung ausgeben kann, ohne die Schuldenbremse zu lockern. Ein Sonderfonds könnte hier der Schlüssel sein.

Reform der Einkommensteuer

Ein weiterer möglicher Einigungspunkt ist die Reform der Einkommensteuer. „Die Steuerbelastung mittlerer Einkommen ist einfach zu hoch“, so Gropp. Sowohl SPD als auch CDU sähen die Notwendigkeit einer Entlastung, was Raum für Kompromisse schaffe. Aber es wird auch Rückschläge geben. Vor allem bei der Rentenreform könnten die Verhandlungen ins Stocken geraten. „Die Demografie ist sehr vorhersehbar und wir wissen, dass die heutigen Renten so nicht finanzierbar sind“, so Gropp.

Es wird deutlich, dass die Zeit für Veränderungen drängt. Die deutsche Wirtschaft muss in die Lage versetzt werden, sich auf dynamische, strukturelle und disruptive Veränderungen einzustellen. Themen wie Klimawandel, künstliche Intelligenz und Elektromobilität stehen ganz oben auf der Agenda. „Der Staat muss aufhören, so übergriffig zu sein und sollte mehr als Dienstleister auftreten“, forderte Gropp.

„Wir sind abhängig von Exporten in die USA“

Das internationale Umfeld verschärft die Situation zusätzlich. Mit einem protektionistischen Präsidenten im Weißen Haus könnte die Trump-Administration Zölle gegen Deutschland verhängen. „Wir sind abhängig von Exporten in die USA, und wenn Zölle eingeführt werden, könnte die EU gezwungen sein, mit eigenen Zöllen zu reagieren“, sagt Gropp. Das wäre nicht nur teuer, sondern auch eine „furchtbar schlechte Wirtschaftspolitik“.

Die nächsten Jahre seien entscheidend. Die Voraussetzungen für grundlegende Reformen könnten kaum ungünstiger sein. Doch Gropp bleibt optimistisch: „Wenn wir mutig sind und Reformen durchsetzen, wird es uns in den nächsten zehn Jahren deutlich besser gehen“.