Putins T-90 unterliegt im Duell – ein stählerner Koloss voller Schwachstellen
Russischer T-90 besiegt von einem Bradley-Schützenpanzer: Dessen Kommandant hat sich für das Gefecht fit gemacht; an der heimischen Spiele-Konsole.
Stepowe – Dieses Duell innerhalb des Ukraine-Krieges schien eines gewesen zu sein zwischen David und Goliath: Ein Video ging viral, in dem ein M-2-Bradley Schützenpanzer der Ukraine kurzen Prozess macht mit einem T-90-Panzer der Armee Russlands – Beiname „Proryv“ (Durchbruch); zu sehen ist das Drohnen-Video auf X (vormals Twitter) auf dem Kanal des Bloggers „Special Kherson Cat“. Den T-90 feierte Russlands Diktator Wladimir Putin laut dem Military Watch Magazine als „besten Panzer der Welt“ – verloren gegangen ist der Koloss wohl bei der Ortschaft Stepowe im Süden der Ukraine nahe Cherson. Aus drei Gründen, wie zu lesen ist.
Das ukrainische Magazin ArmyInform will jetzt das Rezept herausgefunden haben, wie der Stahlkoloss zu knacken ist. Schon im technischen Vergleich zwischen einem Kampf- und einem Schützenpanzer scheint von vornherein klar zu sein, wer gewinnen wird: Ein 125-Millimeter-Geschütz und 800 Millimeter oberer Front- sowie 500 Millimeter Seitenpanzerung in einem Gefechtsfahrzeug im Vergleich zu einem 25- bis 30-Millimeter-Geschütz und dünnerer Panzerung in einem Infanterie-Kampffahrzeug lassen Letzteres schlichtweg alt aussehen. Doch ein Krieg hat immer Überraschungen parat, und der Panzer ist prinzipiell als Einweg-Produkt konzipiert.
Panzer-Duell: „Faktor Mensch“ führt zu Russlands immensen Verlusten
Diese Unwägbarkeiten bringt immer im „Faktor Mensch“ mit in das stählerne Gehäuse, wie auch Brigadegeneral Björn Schulz im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt verdeutlicht hat – er leitet seit Februar 2022 die Panzertruppenschule der Bundeswehr – ihm zufolge sei die westliche Technik nur ein Aspekt der Überlegenheit der Nato gegenüber den Truppen Wladimir Putins. „Hinzu kämen die wesentlich bessere Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten und die Führungskultur in den westlichen Streitkräften, die den einzelnen Offizieren ein flexibles und eigenständiges Führen der Truppen im Gefecht erlaube. Hier liegt der wichtigste Vorteil gegenüber Russland. Denn der uralte Grundsatz im Feuerkampf sei: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt“, so Schulz.
Laut Aussagen des pensionierten ukrainischen Panzer-Offizieres Mykola Salamakh gegenüber ArmyInform ist das verlorene Duell zwischen West und Ost gleichermaßen auf menschliche Schwächen wie auf veraltete Technik zurückzuführen. Zum Nachladen benötigt die Kampfpanzer-Besatzung des T-90 mindestens acht Sekunden; der Bradley feuert dagegen mit einer M242 Bushmaster-Maschinenkanone, und diese 25mm-Kanone hat eine Standard-Feuerrate von 200 Schuss pro Minute; ihre effektive Reichweite wird mit 2.000 Metern angegeben; ihre Standard-Munition ist eher bis zu 70 Millimeter dicken Panzerstahl wirksam, also wirkungslos im frontalen Angriff.
Bradley-Kommandant: Mit Videospielen auf den Kampf vorbereitet
In einem Video-Interview auf X (vormals Twitter) bestätigt der Bradley-Kommandant und Richtschütze die Vermutung, bessere Ausbildung brächte auf dem Schlachtfeld den entscheidenden Erfolg – Serhiy, wie er im Video genannt wird, führt neben der Schulung durch die US-Armee in Deutschland auch seine Erfahrungen vom „Zocken“ von Videospielen als Vorteil gegenüber russischen Panzerfahrern an – beispielsweise durch die Panzersimulation „War Thunder“.
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Im Magazin futurezone beschreibt Serhiy, dass er zuerst die panzerbrechenden Geschosse auf den T-90M abgefeuert hat. Aber dabei seien Probleme entstanden und er habe von der panzerbrechenden Munition auf die Zuführung mit hochexplosiver Munition gewechselt. Möglicherweise war die Zuführung der panzerbrechenden Munition blockiert oder einfach die Munition aufgebraucht gewesen. Also wechselte Serhiy zur hochexplosiven Munition, die eigentlich nicht zur Bekämpfung von gepanzerten Fahrzeugen gedacht ist: „Und hier erinnerte ich mich plötzlich an meine Erfahrung aus Videospielen. Ich erinnerte mich, wie und wo ich den T-90M treffen musste. Ich musste ihn um jeden Preis stoppen“, wie ihn futurezone zitiert
Serhiy war erst im Dezember in die Ukraine zurückgekehrt, nachdem er sein Bradley-Training auf einem US-Stützpunkt in Deutschland absolviert hatte. Er und sein Fahrer waren erst auf der zweiten gemeinsamen Mission, als sie dem T-90M begegnet sind. Ihre Aufgabe war, Infanteristen zu beschützen, die in einem Graben unter Beschuss von russischen Panzern gekommen waren. „Ich kann gar nicht beschreiben, wie es ist, einen Kampfpanzer im Visier zu sehen“, sagt Serhiy: „Im Training dachte ich mir immer: Hoffentlich werde ich das nie erleben. Und dann passierte es. Und das auch noch ziemlich nahe.“
T-90-Kampfpanzer: Viele Schwachstellen an Putins Wunderwaffe auf Ketten
Die Optik sei auf kurze Distanz tatsächlich die zweite Schwachstelle eines T-90, wie der ukrainische Oberstleutnant Mykola Salamakh dem Magazin ArmyInform gegenüber erläutert. Ihm zufolge war die Duell-Distanz mit geschätzten 150 bis 200 Metern für die verbaute Optik im T-90 zu nah, um den Feind zielsicher anzuvisieren. Salamakh schätzt, dass der tote Winkel der Optik durch die Vergrößerung des Visiers rund 150 Grad betragen haben mag – insgesamt zu viel für einen schnellen Blattschuss auf einen beweglichen Gegner.
Auf der anderen Seite hält Salamakh die Optiken des T-90 auf dem Turm für den Richtschützen und den Kommandanten für so groß dimensioniert, dass sie auf eine kurze Distanz von einem zielsicheren feindlichen Kanonier gut ausgeschaltet werden können – die Berichte sprechen davon, dass der T-90 nach den ersten Treffern seinen Turm wild hin- und hergedreht haben soll; das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die russische Besatzung orientierungslos gewesen ist. Die Besatzung konnte offensichtlich nicht herausfinden, woher das Feuer kam, und begann, den Turm vergeblich nach dem Feind auszurichten.
Erschwerend soll hinzukommen, dass ein guter Bradley-Schütze wohl relativ leichtes Spiel hat: Die Bushmaster-Kanone soll auf einer Entfernung von 200 Metern höchstens 40 Millimeter daneben schießen. Infolge zahlreicher Treffer durch panzerbrechende 16-mm-Granaten musste dann auch die dynamische Panzerung des T-90 nachgeben – ohnehin wird die Panzerung rund um den Kommandanten beziehungsweise auch rund um die Munition mit 20 bis 40 Millimetern angegeben. Das ist die Achillesferse des T-90, die die Bradley-Besatzung wohl gekonnt genutzt hat.
Russland: Die besten Panzerbesatzungen sind wahrscheinlich längst gefallen
Die Crew des T-90M war eventuell auch zu wenig erfahren und geriet in Panik, aufgrund der hohen Verluste Russlands ist ohnehin sehr wahrscheinlich, dass Russland seine erfahrenen Panzerbesatzungen bereits zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine verloren hat. Insgesamt soll Wladimir Putin laut Berichten von US-Geheimdiensten inzwischen 315.000 Soldaten eingebüßt haben, wie aus Washington D.C. bekannt wurde. Die Verluste Russlands an gepanzerten Fahrzeugen sollen rund 3.500 Stück betragen. Das Wall Street Journal berichtete unter Berufung auf die Dokumente, der Krieg habe die russischen Streitkräfte in ihren Modernisierungsbemühungen um 15 Jahre zurückgeworfen. Besonders hoch seien die russischen Verluste unter anderem in den Kämpfen um die ostukrainische Frontstadt Awdijiwka gewesen – das ist das vorrangige Ergebnis der ukrainischen Gegenoffensive. Grund sei der Frost, hieß es. Der harte Boden ermögliche den russischen Angreifern einen verstärkten Einsatz gepanzerter Fahrzeuge, was sie dann auch wieder extrem verwundbar macht.
Im Gegensatz zu den M1A1 Kampfpanzern, die die Ukraine ebenfalls von den USA bekommen hat, sind die gelieferten Bradleys eine relativ aktuelle Version. Die M2A2 Bradley wurden ab 1988 produziert. Die in die Ukraine gelieferten M2A2 ODS Bradley wurden von 1995 an aufgerüstet mit dem Wissen aus der Operation Desert Storm. Zu den Upgrades gehören ein elektronisches Freund-Feind-Erkennungssystem, GPS und ein verbessertes Sicht- und Zielsystem.
Historiker Ralf Raths erklärt die technischen Unterschiede in den westlichen und östlichen Panzerbau-Schulen damit, dass die russischen Panzer einfacher gebaut sind, damit kleiner werden und schwerer zu treffen. Allerdings würde das auch zulasten der Widerstandsfähigkeit gegen Beschuss gehen. Raths: „Der russische Panzer ist gegenüber dem westlichen wesentlich rustikaler und kruder. In der Ukraine wird jetzt aber ganz klar, dass die russische Doktrin, die Panzer auch ,verbrauchen‘ zu können, weil man ja mehr davon hat, nicht mehr zu halten ist. Panzer sind dafür da, ihre Aufgabe zu erfüllen und dabei auch vernichtet zu werden. Das Militär plant Verluste mit ein.“ Ihm zufolge hat sich in der Ukraine gezeigt, dass die handwerkliche Qualität der Panzerführung der Russen „abgründig schlecht ist“, wie er sagt.
Im Verlauf der vergangenen 107 Jahre seit Einführung der Panzer auf dem Schlachtfeld sind die immer in großer Zahl vernichtet worden, sagt der Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster – das gehöre zu ihrem Wesen dazu. Der Eindruck der Unverwundbarkeit sei also rundweg falsch – ein Panzer kann auch eine Falle für die Besatzung sein. (Karsten Hinzmann)