Schwarz-rote Pläne - Mit 1-Prozent-Regel für Verteidigung schafft sich Merz ein geheimes Zusatzbudget
Als Friedrich Merz am Dienstag vor die Presse trat, um seinen rapiden Schwenk Richtung neuer Megaschulden zu erklären, sparte er nicht an großen Worten. Der CDU-Chef erklärte die mit der SPD geplante Anpassung der Schuldenbremse mit „Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent“. Die deutsche Verteidigungsfähigkeit müsse sich jetzt verbessern, koste es, was es wolle.
Was Merz nicht erwähnte: Mit seinem Reformplan schafft er nicht nur finanzielle Spielräume im Verteidigungsbudget, sondern fast unbemerkt auch für übrige Aufwendungen wie beispielsweise Sozialausgaben. Die SPD dürfte da auf ihre Kosten kommen. Der sich anbahnende Ausgabenrausch hängt mit einer zentralen Zahl der schwarz-roten Einigung zusammen.
Großteil der Verteidigung darf an Schuldenbremse vorbei finanziert werden
Die Vereinbarung zwischen den Koalitionspartnern sieht grundsätzlich vor, dass künftig alle Verteidigungsausgaben, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, von der Schuldenbremse ausgenommen sind. Das Verteidigungsbudget soll nach Nato-Vorgaben über zwei Prozent liegen, wegen der aktuellen außenpolitischen Entwicklungen rund um den Ukraine-Krieg ist der Bedarf wahrscheinlich noch deutlich höher.
Die schwarz-rote Koalition, so sie denn kommt, müsste ihren Plänen zufolge den kleineren Teil davon, also bis zu jenem einen Prozent, wie bisher finanzieren. Das heißt, vor allem aus dem Geld, das dem Bund aus Steuereinnahmen zur Verfügung steht. Diese Regelung für Verteidigungsausgaben würde zugleich Spielräume in anderen Politikfeldern verengen. Für den größeren Teil aber, also alles über jenem einen Prozent, könnten Merz und seine Regierung künftig ohne Grenzen Schulden für Verteidigung aufnehmen – die Summe ist nach oben offen.
Blockierte Summen werden frei
Der Trick dabei: Da eben Verteidigungsausgaben über einem Prozent ausgenommen werden und nicht mehr unter die Schulden-Regel fallen, wäre die Differenz zwischen jenem einen Prozent, dass durch den Haushalt künftig abgedeckt ist, und jenen Ausgaben, die über jetzt schon vorhandene Haushaltsmitteln für Verteidigung eingestellt sind, frei für andere Verwendungen.
Konkret: In den vergangenen Jahren hat Deutschland meist zwischen rund 1,2 und 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben. Diese Differenz zwischen den heutigen Verteidigungsausgaben und dem einen Prozent, also 0,2 bis 0,5 Prozent, steht künftig zur Verfügung, um damit für andere Vorhaben schuldenbremsenkonform Kredite aufzunehmen.
Neuer Spielraum für Lieblingsprojekte der SPD?
Was in Prozentpunkten ausgedrückt nach wenig klingt, entspricht in absoluten Zahlen mehreren Milliarden Euro. Ob Union und SPD bereits verabredet haben, was sie damit anstellen, ist nicht offiziell bestätigt. Dass es diesen neuen Spielraum gibt, ist den möglichen Koalitionären aber natürlich bewusst, sagt ein Verhandlungsinsider. Und er könnte Begehrlichkeiten wecken.
Gut möglich sei, dass die Koalitionsparteien den Spielraum nutzen werden, um die jeweiligen Lieblingsprojekte zu finanzieren. Besonders im Fall der SPD könnte das bedeuten: Das Geld wird nicht für nachhaltige Investitionen eingesetzt, zum Beispiel für Infrastruktur oder Forschung, die Deutschland im internationalen Vergleich wieder stärker machen würden – sondern stattdessen für Konsumausgaben wie neue oder höhere Sozialleistungen.
Merz rühmt sich für Verhandlungsgeschick
Den Verhandlern der Union war das wahrscheinlich bewusst. Mehreren Medienberichten zufolge wollte Merz zunächst alle Verteidigungsausgaben oberhalb von 1,2 Prozent von der Schuldenbremse ausnehmen. Doch die SPD hielt dagegen und wollte lieber null Prozent – also die Möglichkeit, jegliche Verteidigungsausgaben über Kredite an der Schuldenbremse vorbei zu finanzieren.
Der „Spiegel“ zitiert Merz, der sich in einer außerplanmäßigen Fraktionssitzung am Dienstag dazu geäußert habe: „Da habe ich sehr hart gesagt: Das kommt überhaupt nicht infrage.“ Er habe dann ein Prozent als Kompromiss angeboten, das sei die „absolute Schmerzgrenze“. Der CDU-Chef, so wirken die Sätze, rühmte sich also sogar für sein Verhandlungsgeschick – wohl wissend, dass er sich damit noch weiter von der harten Wahlkampf-Linie entfernt.
Selbst Merz-Unterstützer äußern Kritik an Schulden-Plan
Mehrfach hatte Merz betont, dass er von neuen Schulden wenig hält. Zum Beispiel im TV-Duell zwei Wochen vor der Bundestagswahl erklärte er zur Schuldenbremsen-Reform: „Ich habe immer gesagt, man kann über alles diskutieren, aber das kommt sicher nicht am Anfang. Am Anfang kommt das Einsparpotenzial, kommt das Wachstum und kommen werden auch Umschichtungen im Haushalt, die dringend notwendig sind.“ Und auch nach der Wahl noch schloss Merz eine Reform „in der naheliegenden Zukunft“ aus.
Angesichts des dann folgenden Schwenks gibt es viel Unmut über die sich anbahnenden Schulden für Verteidigung und Infrastruktur sowie über die sich versteckt auftuenden Spielräume für Konsumausgaben. Einige Medien berichten übereinstimmend, dass mehrere CDU-Politiker in internen Runden ihren Vorsitzenden kritisiert haben.
Darunter sind auch einflussreiche Persönlichkeiten. Zu ihnen gehört zum Beispiel der ehemalige Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Mehr noch: Sogar Politiker, die eigentlich als Merz-Unterstützer bekannt sind, gehen jetzt Medienberichten zufolge auf Distanz bei diesem Thema. CDU-Schatzmeisterin Julia Klöckner, Parteivize Silvia Breher und Vize-Generalsekretärin Christina Stumpp gehören demnach dazu. Auch Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, hat Kritik geäußert.
Sorge vor Gerichten und Umsetzungs-Schwierigkeiten
Die Sorgen in der CDU sind vielfältig. Sie betreffen nicht nur die Schuldenbremsen-Reform, sondern auch das 500 Milliarden Euro schwere Infrastruktur-Sondervermögen. Was, wenn am Ende das Bundesverfassungsgericht die Pläne kassiert? Woher soll das Personal kommen, das die Infrastruktur-Projekte in den Kommunen bearbeitet, und woher die nötigen Ingenieure?
CDU-Chef Merz steht in den kommenden Tagen nun vor zahlreichen Herausforderungen. Er muss Ansprüche der SPD abwehren, möglicherweise freiwerdende Spielräume für ihre Lieblingsprojekte zu verwenden. Dann wird er konkretisieren müssen, wofür die gigantischen Summen eingesetzt werden sollen – und schließlich muss er all das sehr gut den Skeptikern in seiner Partei erklären.