Im Rems-Murr-Kreis - Nach AfD-Sieg in schwäbischer Gemeinde spricht Bürgermeister (CDU) von "letzter Chance"
In der beschaulichen Gemeinde Althütte (Rems-Murr-Kreis, östlich von Stuttgart) mit ihren 4200 Einwohnern holt die „Alternative für Deutschland“ bei der Bundestagswahl mit 31 Prozent der Stimmen die Mehrheit. Das gab es noch nie. Nicht nur in Ostdeutschland holte die AfD sehr hohe Werte.
Bürgermeister und Sportkreispräsident Reinhold Sczuka (CDU) spricht über mögliche Ursachen des Erfolgs der AfD, Vertrauensverlust in die Politik und die gesellschaftliche Rolle des Sports.
Herr Sczuka, die AfD hat in Althütte mit 31 Prozent die Mehrheit der Stimmen geholt. Hat Sie dieses Wahlergebnis überrascht?
Ja, in dieser Höhe eindeutig. Dass in Kommunen mit hohem ländlichem Anteil die AfD viele Stimmen bekommt, war zu erwarten. Aber dass der Anteil so hoch sein würde, hat mich doch überrascht.
Wo sehen Sie die Ursachen?
Das Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger ist in den letzten Jahren massiv gesunken, und zwar durch alle etablierten Parteien hindurch.
Ich nehme da auch meine eigene Partei, die CDU, nicht aus. Die Menschen fühlen sich nicht mehr mitgenommen und sehen ihre Sorgen nicht ausreichend berücksichtigt.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Die Bauernproteste zeigten das sehr deutlich. Die landwirtschaftliche Subventionspolitik wurde seit den 1950er Jahren praktiziert und in jüngster Zeit stark zurückgefahren, etwa beim Agrardiesel. Das hat nicht nur die Bauern aufgebracht, sondern auch Handwerker und Spediteure, die sich dann solidarisiert haben.
Besonders erschreckend fand ich die Eskalation in der gesamten Republik, wie etwa die Blockade von Minister Habeck. Der Umgang miteinander hat sich verändert, der Ton ist rücksichtsloser geworden, Respekt und sachliche Auseinandersetzungen treten in den Hintergrund.
Liegt die Verantwortung nur bei der Ampelregierung?
Nein, keineswegs. Die aktuelle Regierung hat durch ihre Kommunikationsfehler sicherlich viel Vertrauen verspielt, aber der Vertrauensverlust reicht viel weiter zurück. Auch die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen.
Deutschland hat die Krise insgesamt gut gemeistert, doch was gefehlt hat, war eine ehrliche Aufarbeitung der Maßnahmen und deren Folgen, insbesondere für Kinder und Jugendliche.
Es gab keine kritische Auseinandersetzung mit den getroffenen Entscheidungen, keine Verbesserungsvorschläge für zukünftige Krisen. Das erzeugt Unsicherheit.
Welche weiteren Themen spielen eine Rolle?
Die Menschen erleben politische Entscheidungen oft als unberechenbar. Denken wir an die plötzliche Abschaffung der staatlichen Kaufprämie für Elektroautos oder das Chaos um das Heizungsgesetz.
Gerade in ländlichen Gebieten mit vielen Altbauten hat das große Verunsicherung ausgelöst. Die Leute wussten schlicht nicht mehr, was sie tun sollen.
Wie erklären Sie sich die hohen Stimmenanteile der AfD?
Viele Menschen haben ihr Vertrauen in die etablierten Parteien verloren und sehen in der AfD eine Alternative. Dabei wird jedoch oft nicht genau hingeschaut, welche Positionen die Partei tatsächlich vertritt. Ich sehe die Gefahr, dass Wähler ihre Stimme als Protest einsetzen, ohne sich bewusst zu sein, was daraus entstehen kann.
Die AfD präsentiert sich in manchen Bereichen als scheinbar normale Partei – das ist ein „Wolf im Schafspelz“. Doch wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass durch die Landeslisten auch Personen ins Parlament eingezogen sind, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden und deren Äußerungen demokratiefeindlich sind.
"Eine letzte Chance, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen"
Die bürgerliche Mitte, die unsere Gesellschaft über Jahrzehnte getragen hat, droht zu erodieren. Stattdessen spalten sich die politischen Kräfte weiter auf und driften an die Ränder ab. Das betrifft nicht nur CDU und CSU, sondern auch SPD, Grüne und FDP.
Wir müssen als etablierte Parteien selbstkritisch sein und eine breite Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft sichern. Sonst droht eine Entwicklung, die niemand gutheißen kann.
Wie sehen Sie eine Zusammenarbeit mit der AfD?
Ich sehe eine Zusammenarbeit mit der AfD sehr kritisch. Natürlich muss man sich mit gewählten Vertretern sachlich auseinandersetzen, aber eine politische Kooperation halte ich für ausgeschlossen. Die AfD vertritt in Teilen Positionen, die mit unseren demokratischen Grundwerten nicht vereinbar sind.
Gerade jetzt haben die etablierten Parteien eine letzte Chance, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Es wäre fatal, wenn wir uns nicht zusammenraufen und zu einer gemeinsamen Linie kommen, die eine breite Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft findet.
Statt sich nach rechts oder links zu orientieren, müssen wir als demokratische Kräfte eine breite Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft organisieren. Andernfalls droht eine weitere Spaltung.
Was können Kommunen tun, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken?
Kommunen sind die Orte der Wahrheit. Hier werden politische Entscheidungen spürbar und umgesetzt. Es ist unsere Aufgabe, offen zu kommunizieren, was möglich ist und wo es Grenzen gibt. Wir müssen Begegnungen schaffen, sei es in Schulen, Vereinen oder anderen Einrichtungen, um das Miteinander zu stärken. Zudem muss Bürokratie abgebaut werden, damit Kommunen ihre Aufgaben effizienter erfüllen können. Letztlich geht es darum, durch Transparenz und Dialog das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.
Bürgermeister und Sportkreispräsident
Ämter
Reinhold Sczuka ist seit 1993 Bürgermeister in Althütte. Am 22. Juni will er für eine fünfte Amtszeit antreten. Der passionierte Langstreckenläufer sitzt für die Christdemokraten seit 1999 im Kreistag und war dort lange Zeit ihr Vorsitzender. Aktuell ist der 58-Jährige auch einer von fünf Präsidenten des Sportkreises Rems-Murr.
Von Chris Lederer
Das Original zu diesem Beitrag "Bürgermeister warnt nach AfD-Erfolg: „Der Ton ist rücksichtsloser geworden“" stammt von Stuttgarter Zeitung.