Analyse von Ulrich Reitz - Und plötzlich fühlt sich Merz immer mehr an wie Merkel

Und nun Zeitenwende Nummer 2 beim Militär wegen des Ukraine-Kriegs, plus ein gigantisches Infrastruktur-Programm – davon hat der Bundeskanzler immer nur zu träumen gewagt. Inzwischen sind die Träume wahrgeworden, der Kanzler dürfte im siebten Himmel schweben. Sein Name: Olaf Scholz. 

Sein christdemokratischer Möchtegern-Nachfolger machte dafür eine Methoden-Anleihe bei dessen Vorgängerin. Die Methode Merz: Sich die Stimmen für seine Kanzler-Wahl zu erkaufen bei den Sozialdemokraten durch die Aneignung der sozialdemokratischen Rezepte. 

 Für die Wähler wurde es damals teuer 

So hat Angela Merkel anderthalb Jahrzehnte lang ihre christdemokratische Macht gesichert. Gerade duftet die Luft über dem Konrad-Adenauer-Haus wieder stark nach Merkel. Für die Wähler wurde das teuer damals – die Mehrwertsteuer wurde gleich mal um drei Prozent erhöht. Gemessen an dem Preis, den die bevorstehende Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten die bürgerliche Politik kostet – ein Schnäppchen, mehr noch: ein Supersale. 

Und es wird auch noch einmal teurer. Bevor Sozialdemokraten und Christdemokraten eine knappe Milliarde fürs Militär und die Infrastruktur auf den Tisch legten, platzierte auf demselben der amtierende Bundesfinanzminister Kukies ein frisches Haushaltsloch - von 150 Milliarden Euro. 

So teuer kam den Deutschen noch nie ein CDU-Kanzler zu stehen 

Und in Brüssel packte Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin noch einmal 800 Milliarden für Europas äußere Sicherheit obendrauf. Deutschlands Anteil daran: 24 Prozent, ergo knapp 200 Milliarden. Summa summarum: Knapp 1,5 Billionen Euro. 

So teuer ist die Deutschen noch nie ein christdemokratischer Bundeskanzler gekommen. Auch kein Sozialdemokrat. Bislang galt als Deutschlands Schuldenkönig Willy Brandt. Diesen Titel dürfte er jetzt los sein. 

Zum Vergleich: Für die gesamte Griechenland-Rettung, über die sogar die Europawährung ins Wanken geriet, wendeten die Mitgliedstaaten 280 Milliarden auf. Ein Fünftel dessen, was es jetzt kosten soll, Deutschland „wieder in Ordnung zu bringen“, wie Merz sagt. 

"Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse" 

Veronica Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft, macht eine historische Perspektive auf. „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse“, sagt die Ökonomin, inzwischen zur liberalen Anwältin der zur Ader gelassenen Steuerzahler aufgestiegen. 

Die Regierungen unter Angela Merkel hätten die Friedensdividende aufgebraucht. Was angesichts des Putinschen Imperialismus sicher voreilig war – naiv und machtvergessen, dafür aber, man darf es nicht vergessen: wohlstandsfördernd. Grimm weiter, unerbittlich an der Wahrheit einer dekadenten Gesellschaft entlang, die nie fragte, woher der Wohlstand eigentlich kommt: „Seitdem es die Friedensdividende nicht mehr gibt, nimmt jede neue Regierung einen großen Schluck und vermeidet so Strukturreformen.“ 

"Lieber bequeme Schulden als unbequeme Reformen" 

Schluss damit – das hatte Merz versprochen. Es war ein großes Versprechen. Merz hat es gebrochen. Im Wahlkampf habe man in den Wahlkreisen das Gegenteil erzählt, erinnerte der Merz-Vorgänger als Fraktionschef, Ralph Brinkhaus: 

„Ist das der Preis, den Du dafür bezahlen musstest? Wir haben im Wahlkampf das Gegenteil erklärt.“ Und Johannes Winkel, Chef der Jungen Union und nun Mitglied des Bundestages, bringt, was Merz gemacht hat, auf eine bestürzend eingängige Formel:  „Lieber bequeme Schulden als unbequeme Reformen.“ 

Es handle sich um eine „deutliche Niederlage für die Union“. Die, auch das gehört zum Bild, von zwei CDU-Länderchefs mit Applaus bedacht wurde – von Hendrik Wüst und Daniel Günther, die beide mit den Grünen regieren.

Das kann noch spannend werden

Kein Wunder: Vorgesehen ist, von den 500 Schulden-Milliarden für die Infrastruktur Deutschlands gleich einmal 100 Milliarden an die strukturklammen Länder weiter zu reichen. Damit wäre dann wohl auch die Zustimmung des Bundesrats, der Länderkammer, zur notwendigen Grundgesetzänderung gesichert. 

Apropos Verfassungsänderung: Was Friedrich Merz und Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken da planen, braucht eine Zweidrittelmehrheit. Im alten Bundestag. Das alte, abgewählte Parlament, in dem viele Frustrierte sitzen, die nicht mehr wiedergewählt wurden auf den lukrativ entlohnten Posten eines Bundestagsabgeordneten, soll nun neuen Schulden zustimmen. Legal ist das, ob es politisch legitim ist, darüber lässt sich streiten. 

Auf jeden Fall gilt: Das kann noch spannend werden. Für Mehrheiten sorgen die Parlamentsgeschäftsführer – Leute, die bei Bedarf auch mal unangenehm werden können. Über den alten Bundestag haben allerdings die Geschäftsführer ebenso wenig Macht wie die Fraktionsvorsitzenden. 

Union und SPD brauchen die Stimmen der Grünen 

Die Abgeordneten sind bei dieser Abstimmung, die schon in der kommenden Woche stattfinden soll, ausnahmsweise einmal so frei, wie es im Grundgesetz steht. Auf jeden Fall sind es die Parlamentarier ohne Rückfahrticket. Das Zählen hinter den Kulissen hat schon begonnen. 

Union und SPD brauchen im Übrigen die Stimmen der Grünen. Hilfreich wären die der gesamten Ampelregierung, die der CSU-Vorsitzende Markus Söder gerade triumphierend zur „Geschichte“ erklärt hat. Für diese Abstimmung ist allerdings die Ampel noch keine Geschichte, sondern höchst lebendige Gegenwart. 

Und Söder hat es sich nicht nehmen lassen, die Grünen nicht nur zu verspotten auf dem Politischen Aschermittwoch in Passau, sondern. Zu erniedrigen. Nun stehe ein Neustart der Wirtschaft an, so der CSU-Chef: 

Söder und Merz brauchen Habeck und die Seinen 

„Deswegen ist es wichtig, dass nicht mehr der die Verantwortung trägt, der sie ruiniert hat – nämlich Robert Habeck. Ein Minister muss nicht alles wissen, aber ein Minister der gar nichts weiß, den kann man in Deutschland nicht gebrauchen“. 

Söder und Merz brauchen allerdings Habeck und die Seinen – wenigstens noch dieses eine Mal. Und die Grünen haben sich abgesprochen, ihre Führung verbreitet dieses Narrativ: Merz habe sich „an die Macht gelogen“. An den Haaren herbeigezogen ist das nicht.  

Zu diesem Vorwurf ein passendes Zitat von Merz: „Warum ich bei der Schuldenbremse so klar bin? Die schützt das Geld und die Steuerzahlungen der jungen Generation. Sollen wir deren Geld heute schon ausgeben, weil wir mit dem was wir haben nicht auskommen? Wir nehmen 1000 Milliarden an Steuern ein. Und damit sollen wir nicht auskommen?“ 

Für die Grünen stellt sich eine interessante Frage 

Der CSU-Generalsekretär Martin Huber freut sich: „Robert Habeck kann wieder Kinderbücher schreiben, Annalena Baerbock über feministische Außenpolitik philosophieren und Cem Özdemir kann Tofu-Schnitzel essen. Aber endlich auf der Oppositionsbank.“ Spricht hier der Hochmut, der vor dem Fall kommt? 

Bevor sie auf der Oppositionsbank sitzen, sollen die Grünen jedenfalls noch mitregieren – und willfährig tun, was auch die CSU von ihnen verlangt. Wolfgang Kubicki, der alte Spötter, kommentiert die postkarnevaleske Rabauken-Psychologie der Christsozialen so: „Die CSU weiß, wie man fehlende Stimmen für die verfassungsändernde Mehrheit organisiert.“ 

Für die Grünen stellt sich darum eine interessante Frage: Nachdem die Union ihrem Vormann Habeck das Geld verweigert hat, weshalb sollten sie dann dafür sorgen, dass der CDU-Vormann Marz mit ihrer Hilfe Milliarden ausgeben kann, die er sich – in der Grünen Diktion – erschlichen hat? 

Grüne werden an ihre Zustimmung ein Preisschild hängen 

Was jetzt passiert? Die Grünen werden an ihre Zustimmung ein Preisschild hängen. In jedem Interview warnt nun Katharina Dröge, den Klimaschutz nicht zu vergessen. Das kann teuer werden. Ob Merz es unter diesen Bedingungen schafft, wie versprochen das Heizungsgesetz von Habeck wieder abzuschaffen? 

Zum Schluss noch ein Kubicki, allein, weil wir ihn noch vermissen werden, mit einer mehr als neckischen Anmerkung: „Frage für einen Freund: Was passiert, wenn die Grundgesetzänderungen vollzogen sind und Friedrich Merz nicht zum Kanzler gewählt wird? Kann die weiter amtierende Regierung Scholz über die Sondervermögen frei verfügen?“ 

Die Antwort lautet: Ja. 

Es ist ein Traum: Für Olaf Scholz.