Berliner Politik - US-Presse über Kanzler in spe: „Dumm und gefährlich, Merz zu verärgern“
"Wie ‘Make America Great Again’ die deutschen Wahlen vermasselt hat", lautet die Überschrift des jüngsten „Wall Street Journal“-Leitartikels. J.D. Vance und Elon Musk seien die wahren Verlierer der deutschen Wahlen, heißt es in dem vernichtenden Kommentar, – denn beide Politiker hätten offenbar nicht begriffen, dass sie mit Friedrich Merz einen der Amerika-freundlichsten deutschen Kanzler bekommen würden.
„Deutschlands Wahl hat viele Loser hervorgebracht. Die zwei größten sind nicht einmal Deutsche: Elon Musk und J.D. Vance. Und sie können noch nicht einmal sagen, man hätte sie nicht gewarnt.“
Dass die AfD trotz Musks und Vances Zuspruch die von vielen erwarteten 22 bis 23 Prozent nicht erreichte, wertet das "WSJ" als bedeutend: „Bei der Bildung einer parlamentarischen Koalition machen ein paar Punkte viel aus.“
Das Resultat der AfD - letztlich 20,8 Prozent der Stimmen - sei umso bemerkenswerter, „als dass das Schicksal die aktuellen Ereignisse zugunsten der Partei zu arrangieren schien.“ So hätten die Verbrechen zweier Migranten kurz vor der Wahl der AfD Zulauf beschert.
„Wall Street Journal“: MAGA-Einfluss auf deutsche Wähler überschätzt
„Doch dann traten die Herren Musk und Vance ins Spiel“, so das "WSJ" zu Musks Live-Talk mit Alice Weidel und Vances Auftritt bei der Münchener Sicherheitskonferenz. „Peinlicherweise hatten diese Aktionen der beiden Amerikaner scheinbar keinerlei Wirkung auf die deutschen Wähler.“
Der leichte Anstieg der AfD in Umfragen, „nachdem Herr Musk im Januar anfing, im Porzellanladen herumzustampfen“, habe sich nur als eine „bloße Fortsetzung allmählich verbesserter Umfragewerte schon seit geraumer Zeit“ herausgestellt.
„Ein Grund für den mangelnden Einfluss von MAGA auf den Wahlausgang könnte der Verdacht der Deutschen sein, dass die Herren Musk und Vance eben nicht wussten, wovon sie sprachen“, glaubt das "WSJ".
WSJ warnt: „Dumm und gefährlich, Friedrich Merz zu verärgern“
Es sei nicht nur dumm, sondern auch gefährlich gewesen, Merz zu verärgern, meint das konservative Wirtschaftsblatt darüber hinaus – schließlich sei Deutschland immer noch die größte Volkswirtschaft Europas. „Leider geht es hier um mehr als nur die Peinlichkeiten ein paar dummer amerikanischer Politiker, deren unglücklicher Ausflug in die deutsche Politik negative Folgen für Amerikas Interessen haben könnte“.
Die größte Gefahr: Musk und Vance könnten Merz vergrämt haben – einen der „pro-amerikanischsten Politiker von Deutschlands pro-amerikanischster Partei“.
US-Sender CNN: Merz könnte nur eine Übergangsfigur sein
Der US-Sender CNN berichtete ebenfalls über Merz’ amerikafreundliche Haltung und seine ehemalige Führungsrolle in der deutsch-amerikanischen Atlantik-Brücke – meinte jedoch über den neuen Kanzler: „Er erinnert an Joe Biden.“ Beiden Politikern liege zwar ein starkes Amerika-Europa-Bündnis am Herzen.
Aber: „Das Problem ist, dass die USA gerade zur anderen Seite übergetreten sind und sich immer feindseliger gegenüber der EU und Deutschland äußern. Die Europäer stehen deshalb noch unter Schock.“
Der TV-Sender hält es für „gut möglich, dass Merz keine volle Amtsperiode durchhält“ und zu einer “Übergangsfigur” wird. Denn die starken Gewinne der AfD und der Linken, vor allem unter jungen Wählern, würden zeigen, dass „die Volksparteien in Deutschland zunehmend den Halt verlieren“.
NYT: Merz wird Europa mehr Verantwortung für Verteidigung übertragen
Die „New York Times“ (NYT) erwartet zwar von Merz eine Außenpolitik, „die sich stärker an Herrn Trumps Vorstellungen über die Übernahme der Verantwortung Europas für seine eigene Verteidigung orientiert.“ Merz habe einst als potenziell besserer Gegenpart zu Präsident Trump gegolten als Olaf Scholz, heißt es weiter.
Doch kurz vor der Wahl habe Merz offen überlegt, ob die USA unter Trump eine Demokratie bleiben würden. „Und Herr Merz, der für sein durchsetzungsfähiges und direktes, wenn auch etwas unbeholfenes Auftreten bekannt ist, verurteilte aufs Schärfste, was die Deutschen als Einmischung von J.D. Vance ansehen“.
Olaf Scholz sei häufig für seine Zurückhaltung und Vorsicht kritisiert worden, so die "NYT" – ein starker Kontrast zu Merz: „Kühnheit ist charakteristisch für Herrn Merz und spiegelt die Überzeugung wider, dass Deutschland sich stärker in europäischen und globalen Angelegenheiten engagieren muss.“
Reuters: Merz’ aggressiver Stil könnte Koalitionsbildung erschweren
Auch die US-Nachrichtenagentur Reuters meinte: Einerseits würden Kritiker – selbst innerhalb seiner Partei – befürchten, „Merz’ aggressiver Stil könnte die Bildung einer tragfähigen Koalition erschweren und in einer kritischen Phase ein Vakuum im Herzen einer der Großmächte hinterlassen“.
Andererseits würden seine Befürworter hoffen: Merz habe genau „das Durchsetzungsvermögen, das Deutschland nun im Kampf gegen die angeschlagene Wirtschaft und eine mögliche Sicherheitskrise angesichts des Rückzugs der USA unter der neuen Trump-Regierung braucht“.