Wie ARD-Mann Zamperoni uns das Aushalten von unsinnigen Argumenten lehrt

„Man sollte dem jungen Mann mal einen Urlaub in der Ukraine spendieren“, rät ein älterer Herr. Um ihn herum steht eine Gruppe, die den Kopf schüttelt und etwas ungläubig schaut. Der junge Mann hatte zur besten Sendezeit in der ARD erzählt, dass man „den Medien keinen Glauben schenken“ dürfe. ARD, ZDF und auch alle anderen Sender seien Kriegstreiber, so das Argument des 19-jährigen Rufus Weiß aus Euskirchen. „Es gibt nämlich keinen richtigen Krieg in der Ukraine.“ 

In Deutschland, in der Ukraine, in Russland und in den USA regierten „überall die gleichen Leute“, die uns „Angst machen wollen“. „Der Krieg ist nur Show, um uns Angst zu machen“, erklärt der Student. Andernfalls hätte Russland längst die Ukraine eingenommen. Er selbst würde hingegen seinen „eigenen freien Willen nutzen“. Aber die Medien „juckt nicht, was ich weiß“.

Ingo Zamperoni: „,Die 100’ ist eine Zuhörsendung“

Putin, Trump, Weltunordnung – muss Deutschland kriegstüchtig werden?, lautet die Frage, die in Deutschland - und auch in der ARD-Polit-Show „Die 100 – Was Deutschland bewegt“ - kontrovers diskutiert wird. Die Journalisten Anna Planken und Ralph Caspers liefern Pro- und Contra-Argumente. 

Einhundert Menschen in der Mitte des Spielfeldes stimmen mit ihren Füßen ab: Welches Argument überzeugt? „,Die 100’ ist vor allem eine Zuhörsendung. Wir hören den Menschen zu. Hier geht es in erster Linie darum, eine Seite mit ihren Argumenten kennenzulernen, sie wirken zu lassen – und sich erst dann dazu zu verhalten. Denn wir müssen auch Meinungen aushalten, von denen wir nicht überzeugt sind“, hat Moderator Ingo Zamperoni jüngst in einem Interview mit dem Domradio gesagt. Mit anderen Worten: Provokante Aussagen gehören in der ARD und in der Gesellschaft einfach dazu.

Gegensätzliche Positionen akzeptieren

Wahrscheinlich braucht es so ein TV-Format, um den Zuschauern beziehungsweise der Bevölkerung zu spiegeln, wie sehr wir verlernt haben, Argumenten, die nicht die unseren sind, zuzuhören, und ohne Schaum vor dem Mund darauf zu reagieren. 

Ingo Zamperoni erklärt: „Es geht darum, zu erkennen, dass es auch eine andere Seite gibt, die genauso leidenschaftlich argumentiert und die auch einen Punkt haben kann. Und es geht darum, diese Position zu respektieren und anzuerkennen. Ich glaube, dass droht heute verloren zu gehen.“ 

So gesehen lässt diese Sendung jene Internetblasen zerplatzen, in denen sich viele Bürger grundsätzlich aufhalten und sich nicht mehr im realen Raum begeben. Die Demokratie scheint solch Formen wie „Die 100 – Was Deutschland bewegt“ zu brauchen.

Ein junger Mann sagt: „Lieber unter Putin leben als Krieg“

Provokant ist auch Ralph Caspers, den die „Sendung mit der Maus“ bekannt gemacht hat, und der in der Polit-Show Argumente für die Wehrpflicht liefert. Caspers spottet darüber, dass viele Jugendliche nach der Schule ein sogenanntes „Gap Year“ einlegen, das auch schon mal länger als ein Jahr dauern kann und die jungen Leute eher schlapper macht als unternehmungslustiger. 

Caspers sagt: „Der Wehrdienst als ,Gap Year’ bringt mehr Sinn ins Leben. Wehrdienst und Zivildienst könnten ein Jahr werden, das mehr Sinn stiftet, als ein Jahr um die Welt zu reisen.“ Das sehen offenbar nicht alle geladenen Gäste der ARD-Show so. Ein jüngere Teilnehmer erklärt: „Ich bin gegen die Wehrpflicht, weil ich mein Leben nicht für Landesgrenzen opfern will. Ich würde lieber von Wladimir Putin beherrscht werden, als im Krieg zu leben.“

Für den Dienst an der Waffe
Ralph Caspers findet ein Jahr Wehrpflicht "sinnstiftend". ARD-Sreenshot

Alle Argumente muss man aushalten

Natürlich sind die einhundert Menschen, die an der Sendung teilnehmen, keineswegs repräsentativ. Aber immerhin kommen einhundert Menschen quer durch alle Schichten der Bevölkerung zu Wort. Diesmal waren Soldaten und Christen dabei, Bürokaufleute und Pazifisten, Rentner und Azubis, Männer und Frauen aller Altersklassen. 

Die ARD war offenbar bemüht, einen echten Querschnitt der Bevölkerung zusammenzustellen. Vielleicht wird auch diesmal der Aufschrei kommen, dass angeblich ein Gast ein Schauspieler sei und dessen Argumentation vom Sender gekauft. Nach einer Folge zum Thema „Ist die AfD eigentlich ein Problem?“ wurde damals ebendieser längst als falsch überführte Vorwurf erhoben. 

Gut möglich, dass nun die Reaktionen auf Rufus Weiß ähnlich sind. Aber viel wahrscheinlicher ist, dass der junge Euskirchener tatsächlich nur gesagt hat, was er denkt. Das ist erschreckend, dagegen muss man argumentieren, aber man muss es eben auch aushalten. Und genau das ist die größte Qualität dieses TV-Formats.