So schließen wir die 172-Milliarden-Lücke, ohne dass Sie einen Euro mehr zahlen

Die Bundesregierung berät dieser Tage über den Bundeshaushalt für 2026 und über den Finanzplan für die drei Jahre danach. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft dabei noch eine riesige Lücke: 172 Milliarden Euro an Ausgaben sind bisher nicht gegenfinanziert. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) erwartet deswegen heftige Auseinandersetzungen und prophezeit bereits, dass er zum Buhmann der kommenden zwölf Monate werden wird.

Die Lücke ist so groß, weil die Bundesregierung hohe Ausgaben plant. Für das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität sollen bis 2029 etwa rund 240 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen werden. Hinzu kommen allein 2026 80 Milliarden Euro neue Schulden für die Bundeswehr. Die muss die Bundesregierung zwar erst viel später zurückzahlen, da die Schulden aber über Anleihen gemacht werden, müssen dafür Zinsen gezahlt werden. Allein deren Last soll um 30 Milliarden Euro pro Jahr anwachsen – über drei Jahre machen sie damit rund die Hälfte des Finanzlochs aus.

Teuer werden auch andere Projekte der Bundesregierung: Die Mütterrente kostet zwar nur 4,5 Milliarden Euro pro Jahr, in drei Jahren summiert sich das aber eben auch auf 13,5 Milliarden Euro. Zusammen mit den allgemein wohl steigenden Zuschüssen an die Rentenversicherung kostet allein dieser Posten bis 2029 rund 54 Milliarden Euro zusätzlich. Auf der Einnahmenseite verzichtet die Bundesregierung durch den eben erst beschlossenen Investitionsbooster auf Steuern. Ökonomen schätzen, dass es rund 46 Milliarden Euro kosten wird.

Nur wenige dieser riesigen Ausgabenblöcke sind bisher gegenfinanziert. Eine Annahme der Politiker ist, dass durch Investitionen und Steuererleichterungen für Unternehmen die Wirtschaft wieder wächst. Wenn Unternehmen expandieren, zahlen sie mehr Steuern. Gleichzeitig werden mehr Leute in höher bezahlten Jobs beschäftigt, was einerseits die Steuereinnahmen erhöht und andererseits die Sozialausgaben senkt. Allerdings: Damit Wachstum allein die 46 Milliarden Euro des Investitionsboosters durch höhere Steuereinnahmen ausgleicht, müsste die Wirtschaft schon sehr stark wachsen.

Den Großteil des Geldes müssen Klingbeil und die anderen Minister also aus anderen Quellen besorgen. Diskutiert werden Einschnitte im Bundeshaushalt, es werden aber auch neue Geldquellen auf den Verhandlungstisch kommen müssen. Wir haben ein Paket von Maßnahmen zusammengestellt, welches dabei helfen könnte – und ordnen ein, was das für Sie jeweils bedeuten würde.

1.  Sozialausgaben können nicht gekürzt werden, aber…

Die Sozialausgaben sind und bleiben der größte Ausgabenposten im Bundeshaushalt. 134 Milliarden Euro zahlt der Bund schon dieses Jahr an Zuschüssen an die Gesetzliche Rentenversicherung. Hinzu kommen geplante 29,6 Milliarden Euro für Bürgergeld, 13 Milliarden Euro für Hilfen bei Mieten und Heizung für Grundsicherungsempfänger, 5,25 Milliarden Euro Verwaltungskosten für die Grundsicherung für Arbeitssuchende und 4 Milliarden Euro für die Eingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Das Bundesgesundheitsministerium schießt zudem den Krankenkassen 16,8 Milliarden Euro zu. Somit machen allein diese Posten rund 40 Prozent aller Ausgaben des Bundeshaushalts aus.

Daran lässt sich aber kaum sparen. Kein Politiker wird die Renten kürzen wollen, schließlich wurde die Haltelinie von 48 Prozent Rentenniveau erst kürzlich bestätigt. Die Mütterrente III mag umstritten sein, ist aber eigentlich auch nur ein fairer Ausgleich für Mütter mit älteren Kindern, die bisher benachteiligt wurden. Das Bürgergeld ist vom Bundesverfassungsgericht als Existenzminimum bestätigt worden und kann nicht gekürzt werden – die angedachten Sanktionen gegen Totalverweigerer werden hier an den Ausgaben kaum etwas ändern. Und ohne Zuschuss aus dem Bund müssten die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge noch stärker anheben als ohnehin schon.

2. … die Einnahmen der Sozialversicherung könnten erhöht werden

Die Bundesregierung hat zwei Reformkommissionen einberufen und angekündigt, die Vorschläge für einen Umbau des Gesundheits- und des Pflegesystems machen sollen. Klingbeil betont, dass die Experten angehalten sind, Vorschläge zu machen, die den Haushalt entlasten. Sprich, Reformen sollten entweder die Einnahmen erhöhen oder die Kosten senken.

Die Einnahmen ließen sich etwa dadurch erhöhen, dass die Beitragsbemessungsgrenzen wegfallen oder zumindest im Bereich von Kranken- und Pflegekassen von derzeit 66.150 Euro Bruttoeinkommen auf das Level der Rentenversicherung von 96.600 Euro Bruttoeinkommen pro Jahr angehoben werden. Die Linken hatten für ihr Wahlprogramm ausgerechnet, dass ein völliger Wegfall den Krankenkassen-Beitrag inklusive Zusatzbeiträgen von derzeit durchschnittlich 17,7 auf 13,3 Prozent fallen lassen würde. Damit würden Sie weniger Beiträge bezahlen, wenn Sie weniger als 7100 Euro brutto im Monat verdienen – was etwa 95 Prozent der Gesellschaft sind. Alternativ könnten die Beiträge auch etwas weniger stark gesenkt werden und dafür die 16,8 Milliarden Euro Zuschuss eingespart werden. Auf drei Jahre von 2027 bis 2029 gerechnet, würde das bereits den Bundeshaushalt um 50,4 Milliarden Euro entlasten.

3. Digitalisierung im Gesundheitssystem

Eine weitere Reform wäre, das Gesundheits- und Pflegesystem konsequent zu digitalisieren – von Patientenakten bis Einsatzplänen. „In vielen Pflegeheimen gibt es nicht einmal W-Lan“, sagt Andreas Hein. Der Professor leitet an der Universität Oldenburg die Abteilung Assistenzsysteme und Medizintechnik. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey hat ausgerechnet, dass eine starke Digitalisierung pro Jahr rund 40 Milliarden Euro an Verwaltungsausgaben einsparen könnte. Aber: Das System zu digitalisieren, wird Jahre dauern und wird sich bis 2027 oder 2029 noch nicht komplett umsetzen lassen. Für diesen Zeitraum wäre die Ersparnis also geringer. Und der Bundeshaushalt würde davon nur gering profitieren, wenn die 16,8 Milliarden Euro Bundeszuschuss schon durch den vorigen Punkt eingespart würden.

Für Sie hätte das aber viele Vorteile: Das gesparte Geld könnte wieder in niedrigere Beiträge fließen. Außerdem erhöht es schlicht den Komfort des Gesundheitssystems auch für Patienten.

4. Wiederaktivierung der Vermögensteuer

Nur mit Ausgabenkürzungen wird die Finanzlücke nicht zu schließen sein, der Bundeshaushalt braucht auch zusätzliche Einnahmequellen. Eine einfach umzusetzende wäre, die seit 1998 ausgesetzte Vermögensteuer wieder zu aktivieren. Dabei müssten Menschen mit einem Vermögen über einem bestimmten Schwellwert pro Jahr einen niedrigen Prozentsatz desselbigen an Steuern bezahlen.

Wie viel Geld sich damit einnehmen ließe und wer davon betroffen wäre, hängt stark von der genauen Ausarbeitung ab. In der radikalsten Form fordern die Linken eine Steuer für alle Vermögen ab einer Million Euro von einem Prozent pro Jahr. Ab 50 Millionen Euro Vermögen soll der Steuersatz auf fünf Prozent steigen und ab einer Milliarde Euro auf zwölf Prozent. Betriebsvermögen wären dabei bis fünf Millionen Euro steuerfrei, damit keine kleine oder mittelständischen Unternehmen aufgespalten werden müssen. Die Linken rechnen dadurch bis 82,6 bis 119,3 Milliarden Euro Steuereinnahmen pro Jahr.

In einer weniger drastischen Form wollen SPD und Grüne eine Vermögensteuer einführen. Geplant ist ein Steuersatz von einem Prozent, der ab einem Vermögen von zwei Millionen Euro greift. Für Ehepaare will die SPD den Schwellwert auf vier Millionen Euro anheben. In beiden Konzepten gäbe es ebenfalls hohe Freibeträge für Betriebsvermögen. Beide Parteien rechnen so mit 7,5 bis 20 Milliarden Euro zusätzlichen Einnahmen pro Jahr. Von 2027 bis 2029 könnte das Finanzlücke also um 22,5 bis 60 Milliarden Euro verringern.

5. Reform der Erbschaftsteuer

Das Statistische Bundesamt wertete für 2022 aus, dass Großerben, die mehr als 26 Millionen Euro erben oder geschenkt bekommen, im Schnitt weniger als zehn Prozent Steuern darauf zahlen. Kleinerben von weniger als 200.000 Euro mussten hingegen im Schnitt 14 Prozent Steuern zahlen – dabei sollte es eigentlich genau umgekehrt sein. Würden zahlreiche Ausnahmen und Privilegien für große Erbschaften abgeschafft, brächte das dem Staat zusätzliche Einnahmen. Die genaue Summe hängt hier wieder von der genauen Ausgestaltung der Steuer ab. Die Schätzungen reichen von 5 bis 17 Milliarden Euro pro Jahr. Das wären 15 bis 51 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2027 bis 2029.

Für Sie würde sich durch eine Reform kaum etwas ändern. Bei allen Konzepten geht es lediglich darum, die Abgaben auf besonders hohe Erbschaften und Schenkungen im Millionen- und Milliardenbereich zu erhöhen. Damit Normalverdiener davon nicht betroffen sind, sollen in fast allen Konzepten auch die Freibeträge nach oben angepasst werden – für Partner und Kinder teils auf bis zu eine Million Euro.

6. Abbau von umweltschädlichen Subventionen

Im Bundeshaushalt stecken immer noch eine Menge umstrittener Subventionen oder Steuerprivilegien. Ökonomen kritisieren diese vor allem, weil sie nicht mit der zu Klimaneutralität verpflichteten Politik vereinbar sind – und damit eigentlich gestrichen werden könnten. Konkret geht es um folgende Punkte:

  • Das Dieselprivileg belohnt Fahrer von Dieselautos gegenüber Benzinern mit einer niedrigeren Mineralölsteuer. Zwar ist im Gegenzug die Kfz-Steuer etwas höher, doch je mehr sie fahren, desto mehr lohnt sich der Diesel. „Durch die Abschaffung des Dieselprivilegs würden unnötige Vorteile für fossile Verbrennerfahrzeuge vermindert und gleichzeitig Anreize geschaffen, auf alternative Fahrzeuge zu setzen“, sagt etwa Claudia Kemfert, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), gegenüber FOCUS Online. Das Umweltbundesamt und das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) haben ausgerechnet, dass eine Abschaffung dem Staat Zusatzeinnahmen von 8 Milliarden Euro bringen würde, von 2027 bis 2029 also 24 Milliarden Euro.
  • Während Benzin und Diesel besteuert werden und die Bundesregierung beim Deutschlandticket für den Zug jedes Jahr um jeden Euro feilscht, müssen Fluggesellschaften keine Kerosinsteuer bezahlen. International ist das durch ein Abkommen so geregelt, doch Inlandsflüge könnten durchaus besteuert werden. Das würde Flugtickets verteuern, im Gegenzug könnte aber das Deutschlandticket verbilligt werden. Wie auch immer das Geld eingesetzt würde, eine Kerosinsteuer könnte je nach Ausarbeitung mehrere Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Für den Gesamtzeitraum von 2027 bis 2029 rechnen wir deshalb einmal vorsichtig mit 3 Milliarden Euro.
  • Das Dienstwagenprivileg gibt Arbeitnehmern mit einem Dienstwagen steuerliche Vorteile gegenüber einem privat angeschafften Pkw. Auch Unternehmen können dadurch Steuern sparen. Zwar setzt der Staat mittlerweile Anreize, dass mehr Elektroautos als Dienstwagen genutzt werden, doch noch immer sind knapp 90 Prozent aller neu zugelassenen Dienstwagen mit Benzin oder Diesel angetrieben. Diese schlicht steuerlich gleich wie Privatautos zu behandeln, würde dem Staat laut FÖS rund 5,5 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr einbringen – für die Jahre 2027 bis 2029 also zusammen 16,5 Milliarden Euro.
  • Wer mit dem Flugzeug auf Reisen geht, der zahlt auf seine Flugtickets bisher keine Mehrwertsteuer. Das ist ebenfalls international so geregelt, weil Airlines im Gegenzug ihre Infrastruktur, also Flughäfen, selbst bezahlen. Die Bundesregierung könnte eine Steuer hier nur auf Inlandsflüge und den im Inland stattfindenden Teil von internationalen Flügen erheben. Ähnlich wie bei der Kerosinsteuer liegen die zusätzlichen Einnahmen dadurch wahrscheinlich bei rund einer Milliarde Euro pro Jahr, also 3 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2027 bis 2029.

Fazit: Haben wir die Finanzlücke geschlossen?

Rechnen wir also zusammen: Die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen in der Kranken- und Pflegeversicherung würde 50,4 Milliarden Euro von 2027 bis 2029 einbringen, der Abbau von umweltschädlichen Subventionen 46,5 Milliarden Euro. Die Aktivierung der Vermögensteuer würde dem Staat 22,5 bis 60 Milliarden Euro einbringen, eine Reform der Erbschaftsteuer zwischen 15 und 51 Milliarden Euro.

Allein diese Maßnahmen würden die Finanzlücke von 172 Milliarden Euro bereits um 134,4 bis 207,9 Milliarden Euro vermindern. Im besten Fall wäre die Finanzlücke also schon geschlossen und es blieben sogar noch 35,9 Milliarden Euro übrig. Wichtig: Als Normalverdiener würden Sie kaum einen Euro mehr bezahlen. Lediglich Inlandsflüge und Dienstwagen würden sich verteuern, im Gegenzug könnte aber mehr Geld in die Bahn und das Deutschlandticket fließen.

Das Ifo-Institut geht zudem davon aus, dass sich durch günstige Reformen wie einen starken Bürokratieabbau bis 2030 sogar ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent pro Jahr erreichen ließe. Würden die Steuereinnahmen des Bundes dadurch in gleichem Maße steigen, wären das Mehreinnahmen von 8,6 Milliarden Euro pro Jahr, also weiteren 25,8 Milliarden Euro von 2027 bis 2029. Damit wäre die Finanzlücke selbst im pessimistischsten Szenario schon bis auf 10,8 Milliarden Euro geschlossen.