Daran hakt es bei uns: Mehr Frauen als Chefs: Warum Deutschland anderen Staaten trotz Quote hinterherhinkt

Als einen „historischen Schritt“ werteten vor allem weibliche Parlamentarier vor zehn Jahren den Beschluss des Führungspositionen-Gesetzes. Seitdem müssen 30 Prozent aller Aufsichtsräte von größeren Unternehmen mit Frauen besetzt sein und mindestens eine Frau im Vorstand von Unternehmen sein, deren Führungsriege aus mehr als drei Personen besteht. Jahrzehntelang hatten Frauen zuvor um die Quote gekämpft. 1980 hatten die Redakteurinnen der taz sie erstmals erstritten, in den folgenden zwei Dekaden legten die meisten Parteien Frauenquoten für ihre Wahllisten und Führungsgremien fest. Bei Grünen und Linken etwa wird der Vorsitz mittlerweile immer aus einem Mann und einer Frau gebildet.

Die Quoten wirken: Im Bundestag, der schließlich das Volk repräsentieren soll, stieg der Anteil von Frauen von mageren 8,5 Prozent im Jahr 1980 auf einen Höchststand von 36,5 Prozent im Jahr 2013. Im gerade verabschiedeten Bundestag waren es mit 35,6 Prozent die zweithöchste Quote der Geschichte, der neue Bundestag landet mit 32,4 Prozent knapp dahinter.

In der Wirtschaft war lange um die Quote gerungen worden. Freiwillige Vereinbarungen unter Unternehmen führten zu keiner merklichen Verbesserungen. Mit der gesetzlichen Quote geht es aber nach oben. Die Initiative FidAR, das steht für „Frauen in die Aufsichtsräte“ hat ausgerechnet, dass sich der weibliche Anteil in den Gremien in der deutschen Wirtschaft von 20 auf 37,5 Prozent in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt hat. Die AllBright-Stiftung hat dasselbe für Vorstände ausgewertet. So sitzen hier mittlerweile bei börsennotierten Unternehmen in Deutschland zu 20 Prozent Frauen. Vor zehn Jahren waren es noch sechs Prozent. Vier Dax-Unternehmen – Merck KgaA, Fresenius Medical Care, die Commerzbank und Daimler Truck – werden von Frauen als CEOs geführt.

Andere Länder sind Deutschland voraus

Insofern zeigt sich, dass die Quote wirkt. Laut einer Statistik der OECD stieg der Anteil von Frauen in Vorständen in der Wirtschaft insgesamt bei uns von 2013 bis 2021 von 21,5 auf 36 Prozent. Das liegt in etwa auf den Werten, die auch FidAR errechnet hat. Aber: International sind wir damit nicht Top. Waren wir 2013 das Land mit der elfthöchsten Frauenquote in Vorständen, haben wir uns in acht Jahren gerade einmal um einen Platz verbessert. Denn auch andere Länder holen auf. Ganz vorne liegt Island mit einem Anteil von 47,3 Prozent vor Frankreich mit 45,3 Prozent und Neuseeland mit 43,5 Prozent. Wie stark die Entwicklung bei uns an der gesetzlichen Frauenquote hängt, zeigt der Blick auf den Anteil von Frauen in Führungspositionen insgesamt. In Deutschland hat sich der von 2013 bis 2021 unmerklich von 28,9 auf 29,2 Prozent erhöht. Das ist Platz 32 von 38 Ländern in der OECD-Statistik. Der Durchschnitt läge bei 34,6 Prozent, Spitzenreiter Lettland ist uns mit 45,9 Prozent meilenweit enteilt.

Erfolg von Frauen in der Wirtschaft hängt damit selten mit einer Quote zusammen. Die besitzen nur 14 der 50 von der OECD untersuchten Länder. Australien etwa hat eine 30-Prozent-Quote für Vorstände seiner Konzerne im Leitindex ASX 300 festgelegt. In Finnland sind es sogar 40 Prozent für alle Unternehmen ab einer bestimmten Größe im Mittelstand. Japan mit 12 und Singapur mit 20 Prozent haben die geringsten festgeschriebenen Quoten. In nur wenigen Ländern mit Quote liegen die Frauenanteile mittlerweile höher als es die Quote vorschreibt. Und Spitze ist keines. Schweden erreicht als bestes Land mit Frauenquote Platz 7 unter 50 Ländern.

Die besten Frauenquoten erreichen also Länder, die diese nicht per Gesetz vorschreiben. Was machen also Island, Frankreich, Neuseeland, Lettland, Polen und Schweden – die sechs Spitzenreiter – anders als Deutschland?

1. Höhere Frauenerwerbstätigkeit

Auf den ersten Blick arbeiten sehr viele Frauen in Deutschland. 2023 hatten 73,6 Prozent aller Frauen einen Job. Das ist auch international ein sehr guter Wert. Aber: Sehr viele Frauen arbeiten nur in Teilzeit. 49 Prozent waren es im vierten Quartal des Vorjahres laut einer Statistik von Eurostat. Der EU-Durchschnitt liegt bei 29 Prozent. 

Von den sechs Spitzenreitern liegt nur Island mit 35 Prozent über dem Durchschnitt. In Schweden liegt die Teilzeitquote von Frauen bei 27 Prozent, in Frankreich bei 26 Prozent, in Lettland nur bei 10 und in Polen sogar nur bei 8 Prozent. Gerade die beiden osteuropäischen Länder haben eine lange Tradition darin, dass auch Frauen Vollzeit arbeiten.

Die Folgen einer hohen Teilzeitquote für den Frauenanteil in Führungspositionen in eindeutig. Wer nur den halben Tag arbeitet, qualifiziert sich seltener für Beförderungen als jemand, der doppelt so lange arbeitet und entsprechend auch mehr Wissen, mehr Kontakte und mehr Erfolge erarbeiten kann. Zudem steigt mit Führungsverantwortung auch der Arbeitsaufwand. Gerade einmal ein Viertel aller weiblichen Führungskräfte arbeiten noch in Teilzeit. „Phasen in Teilzeit sind immer noch Karriere-Killer“, sagt die Soziologin Jutta Allmendinger schon 2017 in einem Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung.

2. Bessere Kinderbetreuung

Einer der Hauptgründe, warum so viele Frauen in Deutschland in Teilzeit arbeiten, während Männer in Vollzeit Karriere machen, ist die mangelhafte Kinderbetreuung. Laut einer Statistik der OECD wurden 2022 nur rund 37 Prozent der Kinder zwischen 0 und 2 Jahren hierzulande professionell betreut. Das entspricht etwa dem OECD-Durchschnitt. In Frankreich hingegen liegt die Betreuungsquote bei fast 60 Prozent, womit sie die vierthöchste weltweit ist. Schweden mit rund 50 Prozent und Neuseeland mit 45 Prozent liegen ebenfalls deutlich vor uns. Lettland hat eine leicht geringere Betreuungsquote und nur in Polen ist sie mit unter 20 Prozent viel schlechter.

Das Problem mit der Kinderbetreuung haben deutsche Politiker seit langem erkannt. Zwar gibt es einen rechtlichen Anspruch auf einen Kita-Platz und ab kommendem Jahr auch auf einen Platz in einer Ganztagsschule, doch die Realität hinkt dem Anspruch weit hinterher. So mangelt es vor allem in Großstädten an Betreuungsplätzen allgemein und an bezahlbaren Plätzen im Besonderen. Die Teilzeitquote von Müttern mit einem Kind unter 12 Jahren liegt bei unglaublichen 69 Prozent. Diese Frauen gehen dem Arbeitsmarkt und möglichen Führungspositionen also allein dadurch verloren, dass sie keine Möglichkeit haben, adäquat an der Arbeitswelt teilzuhaben.

3. Kein Ehegattensplitting

Wer als Ehepaar in Deutschland Steuern sparen möchte, der teilt sich die Arbeit am besten ganz klassisch auf. Ein Partner macht Karriere mit einem möglichst hohen Gehalt, während der andere daheimbleibt und Kinder sowie Haushalt betreut. Und weil das so ein althergebrachtes Modell ist, sind es weiterhin meist Frauen, die auf die Karriere verzichten. Belohnt werden sie vom Staat dafür mit dem Ehegattensplitting, dass Paare in solchen Konstellationen die geringste Steuerlast aufbürdet.

Schweden etwa hat ein solche System schon 1971 abgeschafft. Männer und Frauen werden hier schlicht nach ihrem eigenen Einkommen besteuert. Eine Heiratsurkunde bringt keinen Vorteil mehr. Auch Neuseeland und Lettland setzen strikt auf eine solch individuelle Besteuerung. Island tut dasselbe, erlaubt aber, ungenutzte Steuerfreibeträge auf den Ehepartner zu übertragen. Nur Polen und Frankreich kennen ein System gemeinsamer Veranlagung, wobei dies in Polen nur optional verfügbar ist und in Frankreich als Familien-Splitting ausgeübt wird, wo das Einkommen nicht durch die beiden Ehepartner, sondern durch alle im Haushalt lebenden Angehörigen, also zumeist Kinder, geteilt wird. Dadurch spielt der Einkommensunterschied beider Partner keine so große Rolle mehr.

Das Ehegattensplitting wird in Deutschland seit Jahren von Ökonomen kritisiert. „Es ist ein Überbleibsel des Patriarchats“, sagt etwa DIW-Chef Marcel Fratzscher in einem Blog-Beitrag auf der Instituts-Webseite. „Keine Privilegien für die Alleinverdiener-Ehe“, fordert der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen, der die Bundesregierung berät. Konkrete Änderungen sind von CDU/CSU und SPD aber bisher nicht geplant.

Fazit: Brauchen wir die Frauenquote weiterhin?

Ja. Zwar wäre es besser, Frauen würden wie in anderen Ländern auch ohne Quote stärker in der Wirtschaft partizipieren, aber wie gezeigt, bekommen sie diese Möglichkeit derzeit aus verschiedenen Gründen viel seltener als Männer. Eine Quote sorgt demnach also nicht nur dafür, dass irgendwelche Frauen in Vorstände und Aufsichtsräte aufrücken, sondern gibt Unternehmen auch einen Anreiz, dafür zu sorgen, dass Frauen in ihrer Belegschaft die bestmöglichen Karrierechancen bekommen – schließlich würde das am ehesten garantieren, dass die Frauen in Führungspositionen dafür auch sehr gut qualifiziert sind. Dazu gehören etwa flexiblere Arbeitszeitmodelle, die es erlauben, Kinderbetreuung und Arbeit unter einen Hut zu bringen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten am Unternehmenssitz oder auch eine Änderung der Unternehmenskultur dahingehend, dass mehr männliche Mitarbeiter ermutigt werden, Elternzeit oder andere Erziehungsaufgaben zu übernehmen. „Wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen sehen wollen, brauchen wir, verkürzt gesagt, auch mehr Männer in Teilzeit und mehr Männer, die mit dem kranken Kind zu Hause bleiben“, sagt etwa AllBright-Geschäftsführerin Wiebke Ankersen gegenüber der Tagesschau.