Was hinter Trumps Ukraine-Kehrtwende steckt – und warum Botschafterin zum Spielball wird

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Am 3. Juli 2025 kündigte das Pentagon überraschend an, geplante Waffenlieferungen an die Ukraine – darunter Flugabwehrraketen und präzisionsgelenkte Artillerie – auszusetzen. Die offizielle Begründung: Die eigenen US-Bestände seien zu stark geschrumpft. 

Nur fünf Tage später, am 8. Juli, erklärte Präsident Donald Trump öffentlich, dass die USA „mehr Waffen schicken müssen“ – insbesondere zur Luftverteidigung. Er begründete dies mit der Notwendigkeit, dass sich die Ukraine gegen verstärkte russische Angriffe verteidigen könne. 

Warum dieser plötzliche Kurswechsel? Die Kehrtwende lässt sich auf mehrere Faktoren und auf ein grundlegendes Dilemma zurückführen.

Trump wollte Handlungsfähigkeit demonstrieren

Am 4. Juli 2025 führten die beiden Präsidenten, Amerikas Donald Trump und Ukraines Wolodymyr Selenskyj, ein Telefonat, das Letzterer als „wichtig und nützlich“ bezeichnete. Laut Selenskyj ging es um die Stärkung der ukrainischen Flugabwehr und um gemeinsame Rüstungsprojekte. 

Ob die zuvor gestoppten Waffenlieferungen – darunter Patriot-Raketen – wieder aufgenommen würden, ließ der amerikanische Präsident zunächst offen. Offenbar wollte Trump innen- und außenpolitische Handlungsfähigkeit demonstrieren – nicht zuletzt auch gegenüber Russland, das er kurz zuvor ungewöhnlich scharf kritisiert hatte.

Hinter Aussagen von US-Minister steckte ausgeklügelte Strategie

Nur wenige Tage zuvor hatte das Pentagon mit Verweis auf eine „Bestandsrevision“ angekündigt, geplante Waffenlieferungen an die Ukraine auszusetzen. Diese Begründung wurde von vielen Beobachtern als Vorwand gewertet, um politischen Spielraum zu gewinnen – sowohl im Inneren, gegenüber dem Kongress, als auch nach außen, gegenüber Kiew und Moskau.

Die Aussagen des Verteidigungsministers Pete Hegseth über „leere Depots“ könnten Teil einer Strategie gewesen, um den Kongress vor der wichtigen Abstimmung zu Trumps Haushaltsgesetzgebung, des „One Big Beautiful Bill“, zu weiteren Rüstungsausgaben zu bewegen.

Nicht der erste Waffen-Stopp des Trump-Ministers

Nach Angaben mehrerer US-Beamter, die von NBC News zitiert wurden, hat Hegseth am 2. Juli 2025 eine Waffenlieferung an die Ukraine gestoppt, obwohl interne Einschätzungen des Pentagons bestätigten, dass die Hilfe die militärische Bereitschaft der USA nicht beeinträchtigen würde. 

Die Lieferung umfasste kritische Systeme wie Patriot-Abfangjäger, Hellfire-Raketen und 155-mm-Artilleriegeschosse, von denen einige bereits in Polen auf Lastwagen verladen worden waren, als der Stopp angeordnet wurde.

Dieser Schritt traf das Außenministerium, den Kongress und die europäischen Verbündeten unvorbereitet – zumal er nur wenige Tage vor einem großen russischen Raketenangriff auf Kiew erfolgte, bei dem Zivilisten getötet wurden.

Über Josef Braml

Dr. Josef Braml ist Politikwissenschaftler, USA-Experte und European Director der Trilateral Commission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog eines exklusiven Kreises politischer und wirtschaftlicher Entscheider/innen Amerikas, Europas und Asiens.

Mit koordinierter Drucktaktik erpresste Hegseth den US-Kongress

Der Zeitpunkt von Hegseths Entscheidung ist von besonderer Bedeutung. Sie fand nur wenige Tage vor einer wichtigen Abstimmung über Trumps umfassendes Haushaltspaket, das „One Big Beautiful Bill“, statt, das wichtige Bestimmungen für die Verteidigungsausgaben enthält. 

Obwohl es keine internen Dokumente gibt, die den Stopp explizit mit dem Gesetz in Verbindung bringen, lassen Indizien eine koordinierte Drucktaktik vermuten: Berichten zufolge war dies der dritte derartige Stopp von Hegseth seit Februar, was auf ein Verhaltensmuster hindeutet, bei dem Bereitschaftsbehauptungen verwendet werden, um breitere politische oder budgetäre Ergebnisse zu beeinflussen.

Mit dem Bild der „leeren Depots“ versuchte Hegseth möglicherweise den Kongress unter Druck zu setzen, höhere Verteidigungsausgaben zu genehmigen, indem er den Zustand der US-Bestände dramatisiert. 

Gleichwohl wird damit auch ein Signal an Trumps Basis gesendet, dass die Regierung der „America First“-Bereitschaft Vorrang einräumt – auch wenn dies bedeutet, dass die Auslandshilfe vorübergehend ausgesetzt wird. Und schließlich gibt die Entscheidung Trump einen Hebel in die Hand, um sie später rückgängig zu machen und entschlossen zu erscheinen, insbesondere nach seinem Telefonat mit Selenskyj.

Trump muss von Waffen-Stopp seines Ministers gewusst haben

Es ist schwer vorstellbar, dass Verteidigungsminister Hegseth im Alleingang ohne Rücksprache mit Präsident Trump die Waffenlieferungen an die Ukraine aussetzte. Sicherlich ist es möglich, dass Trump seine Zustimmung für die „Pause“ gab, um dann doch wieder mit weiteren Lieferungen seinen „Goodwill“ zu demonstrieren. 

Der selbsternannte „Deal-Maker-in-Chief“ weiß diese Unberechenbarkeit denn auch immer wieder als Verhandlungsgeschick zu verkaufen, indem er seine Gegenüber in Unsicherheit versetzt, um seine Machtposition zu stärken.

Ablösung von Ukraine-Botschafterin als Trump-Schmeichelei?

Die US-Regierung könnte tatsächlich versucht haben, durch den Lieferstopp weiteren Druck auf Kiew auszuüben – etwa in Bezug auf Personalentscheidungen oder Verhandlungsbereitschaft.

Nach dem Telefonat zwischen Selenskyj und Trump am 5. Juli 2025, das Selenskyj als „das beste Gespräch mit einem US-Präsidenten“ bezeichnete, kündigte Trump am 8. Juli öffentlich an, die zuvor gestoppten Waffenlieferungen an die Ukraine wieder aufzunehmen. 

Nur Stunden später wurde bekannt, dass Selenskyj die ukrainische Botschafterin in den USA, Oksana Markarowa, abberufen will. Laut übereinstimmenden Berichten von Financial Times und Bloomberg wurde die Entscheidung zur Abberufung der Botschafterin im Rahmen des Telefonats zwischen Trump und Selenskyj besprochen. 

Die Personalie Markarowa wird nicht nur als diplomatische Geste verstanden, sondern auch als Versuch, die Waffenhilfe zu sichern und den Einfluss republikanischer Hardliner auf die US-Außenpolitik zu entschärfen. 

Markarowa, seit 2021 im Amt, wurde von Teilen der republikanischen Partei als zu „nah an den Demokraten“ kritisiert. Ihre Ablösung wird daher als symbolischer Schritt gewertet, um das Verhältnis zur neuen US-Regierung zu verbessern – insbesondere in einer Phase, in der die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine auf dem Spiel steht.

Mit Waffen-Kehrtwende will sich Trump als Krisenmanager präsentieren

Schon seit Längerem verfolgt Trump eine Strategie, die militärische Hilfe als Verhandlungsmasse zu nutzen. Er will Kiew an den Verhandlungstisch zwingen und könnte Waffenlieferungen als Druckmittel einsetzen – oder auch als Signal an Putin, dass er zu Deals bereit ist.

Die widersprüchlichen Aussagen deuten auf ein zentrales Dilemma hin: Die USA stehen unter Druck, ihre globalen Verpflichtungen (Ukraine, Nahost und Taiwan) mit begrenzten Ressourcen zu erfüllen. Das Pentagon warnt seit Monaten vor Engpässen in der Munitionsproduktion. 

Gleichzeitig ist Trump bemüht, seine außenpolitische Linie flexibel zu halten – zwischen Isolationismus (MAGA-Basis), Machtdemonstration und Dealmaking.

Einmal mehr hat US-Präsident Trump seine erratisch wirkenden außenpolitischen Entscheidungen gezielt zur Demonstration seiner Macht und seines Verhandlungsgeschicks genutzt. 

Der Lieferstopp könnte bewusst inszeniert worden sein, um den US-Präsidenten anschließend als entschlossenen Krisenmanager zu präsentieren.  

Trump entschärft gerne Krisen, die er selbst verursacht hat. Ob es Amerikas Position und jene der Ukraine stärkt, um Putin zu einem Waffenstillstand zu bewegen, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.