58 Tage Sommerpause – Merz vergisst seinen eigenen Appell
Die Fakten am Morgen
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Erinnern Sie sich an all die Sofortprogramme, die Kanzler Friedrich Merz schon bis zur Sommerpause durchziehen wollte? Circa 1,8 Mal die Republik retten inkl. diverser Booster und Turbos sowie Turbobooster zumindest an der polnischen Grenze, wenn dort jemand „Asyl“ murmelt. Ein bisschen was ist tatsächlich passiert, aber jetzt ist erst mal – genau! – Sommerpause.
Sie haben richtig gelesen, obwohl Friedrich Merz vollmundig verkündet hatte, dass Schluss sein müsse mit diesem Urlaubs-Schlendrian: „Politikwechsel macht keine Sommerpause“, hatte er im CDU-Bundesvorstand verkündet. „Es wird Schlag auf Schlag weitergehen.“ Soweit die wilde Theorie.
Erst Apokalypse, dann Adiletten
In der knöchernen Praxis ist heute der letzte Tag, an dem im politischen Berlin gearbeitet wird. Gerade wurde noch die Apokalypse verkündet. Jetzt werden die Adiletten aus dem Schrank geholt. Wenn man von den Mitgliedern des Haushaltsausschusses absieht, die sich tatsächlich ein paar Wochen über die völlig verspäteten Budgets fürs laufende Jahr beugen, geht es jetzt erst wieder am 8. September weiter mit Regieren.
Das sind 58 (!) Tage Stillstand. Allenfalls unterbrochen von ein paar Pflichtbesuchen im Wahlkreis oder in Kurzarmhemden absolvierten sogenannten Sommerinterviews, die oft genauso sinnlos sind wie die Ferien drumherum.
Der Kanzler hat heute seinen 67. Tag als Regierungschef und kümmert sich nun also um seine Work-Life-Balance. Vielleicht wird er medienwirksam durchs Sauerland wandern, für die Fotografen zahme Paarhufer streicheln und en passant mit wenigen Sätzen den Nahostkonflikt befrieden oder irgendeinen anderen Zirkus.
67 Tage regiert – und Merz braucht schon Urlaub?
Siebenundsechzig Tage! In der freien Wirtschaft wäre da noch nicht mal seine Probezeit beendet. Ausgerechnet Merz, der uns vorher überzeugend erklärt hat, dass wir Deutschen viel zu wenig arbeiten. Ich glaube das übrigens auch. Aber ich darf derweil weiter schwitzen im Büro, während die feinen Polit-Herrschaften ihre gerade erst um 5,4 Prozent erhöhten Diäten verjuxen. Bin ich schon populistisch genug?
Mir muss jetzt erst mal niemand mehr mit „Gürtel enger schnallen“ kommen. Oder mit der Idee, diverse Feiertage zu streichen, damit das schwindsüchtige Bruttoinlandsprodukt wieder ein bisschen wächst.
Warum ich vom Kanzler enttäuscht bin
Ich will gar nicht an all die schon gebrochenen Wahlversprechen erinnern. Aber die Verkürzung der Sommerpause hatte Merz erstens persönlich garantiert. Zweitens hätte ihm da wohl niemand widersprochen – weder Ver.di noch AfD oder die Omas gegen rechts. Und drittens würde ein bisschen mehr parlamentarische Arbeit ja nicht mal was kosten. Im Gegenteil.
Warum also hat er seinen eigenen Plan stillschweigend begraben? Unfassbar! So wenig Rückgrat enttäuscht mich jetzt wirklich.
In Sommerpause ein Naturgesetz?
Im Ernst: Geht es uns so gut, dass sich unsere Volksvertreter schon wieder zurücklehnen können? Waren die ersten Regierungswochen einfach zu anstrengend? Folgt das Prinzip Sommerpause gar einem Naturgesetz? Oder gibt es eine eherne Reichsurlaubsverordnung von 1926, gegen die man leider gar nichts machen kann? Ansonsten sollten wir noch mal reden.
Hallo? HALLO? Noch jemand da?
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