„Energie wie eine Hiroshima-Bombe“: Experte spricht über Extremwetter und besondere Gefahrensituationen

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Eine Kurve um die Ammergauer Alpen macht die Wolke, die sich oft im Bereich des Lechs bildet, um auf ihrem Weg nicht mindestens 800 Höhenmeter aufsteigen zu müssen. Sie wählt lieber die Route außenrum und zieht somit unter anderem über Bad Bayersoien hinweg. © pms

Hagel, Starkregen, Sturm - all diese Wetterereignisse kennt man in der Region. Gefühlt treten Unwetter immer häufiger auf. Ob das tatsächlich so ist? Unter anderem darüber informierte Experte Stefan Schwarzer in Bad Bayersoien.

Bad Bayersoien – Das Wetter ist eine Naturgewalt. Eine, die man nicht aufhalten kann. Trotz Technik, sagt Stefan Schwarzer, „sind wir von Natur und Wetter abhängig“. Beidem ausgeliefert. Überall auf der Welt. Um heftige Niederschläge oder Stürme zu erleben, braucht aber niemand nach Indien oder Island zu reisen. In den vergangenen 20 Jahren traten genug Unwetter in nächster Nähe auf. „Damit“, betont der Peißenberger, „müssen wir leben.“ Auch in Zukunft. Nur wann sie kommen, dazu gibt es keine langen Vorhersagen.

Schwarzer weiß, wovon er spricht. Er brennt für dieses Thema seit rund 30 Jahren. Elf Jahre lang war er als Wetterbeobachter auf der Zugspitze tätig und arbeitet seither auf dem Hohenpeißenberg, der ältesten Bergwetterwarte der Welt. Aufgrund seines Erfahrungsschatzes buchte ihn der Obst- und Gartenbauverein Bad Bayersoien für einen Vortrag. Eine Folge des verheerenden Hagels 2023. Damals hatte der Verein alle Veranstaltungen eingestellt, weil jeder mit den Reparaturen der Schäden beschäftigt gewesen war. „Aber irgendwann“, meint Vorsitzender Daniel Haser, „wollten wir wissen, wie sich das Wetter entwickelt.“ Eine Frage, die nicht nur ihm und seinem Team unter den Nägeln brannte. Über 60 Interessierte, vornehmlich aus dem Dorf, erscheinen deshalb zum Vortrag in der Gunklstube, quetschen sich in jede Lücke. Was ihnen Schwarzer an diesem Abend aber nicht liefern kann: die wohl erhoffte Entwarnung vor einem weiteren massiven Unwetter.

Nehmen Unwetter zu?

Die gewaltigsten Ereignisse in und um Bad Bayersoien führt der Experte, der als Hobby in seinem Garten eine private Wetterstation betreibt, als Beispiel an (siehe Kasten). Sie scheinen zu verdeutlichen, was viele denken. Dass bedingt durch den Klimawandel die Unwetter zunehmen. Doch Schwarzer klärt auf: In der Theorie ja, in der Praxis schwer zu belegen. Es fehlt ein entsprechend engmaschiges Messnetz.

Unwetterbeispiele aus der Region

Das Pfingsthochwasser von 1999 haben noch viele im Kopf. Auch Stefan Schwarzer. Von der Zugspitze aus blickte er damals gen Norden und sah das „Murnauer Meer“. Zirka 155 Liter Wasser pro Quadratmeter in 24 Stunden fielen. Im Juli 2021 folgten immer wiederkehrende Hagel- und Windereignisse. Bei Füssen entstand damals eine Wolke, die jeden Tag die gleiche Bahn nahm und in den hiesigen Landkreisen Hagel abschüttete. Der Wind entwurzelte zahlreiche Bäume. „Sowas hab’ ich noch nie erlebt.“ Kein Jahr später, am 5. Mai 2022, entlud sich eine Super-Zelle über Saulgrub und Teile Bad Bayersoiens. In der gefluteten Umfahrung verlor ein Mann sein Leben. Was da vom Himmel kam, ist für Schwarzer bis heute kaum zu glauben. Es handelte sich um fast genau so viel Niederschlag wie beim Pfingsthochwasser, nur nicht in 24, sondern in zwei Stunden. An die die Hagel-Katastrophe im Sommer braucht er niemanden erinnern, sie steckt den Soiern bis heute in den Gliedern. „Man kann wirklich nur zum Glück sagen, dass niemand verletzt wurde.“

Im Gegensatz dazu gibt es aber eindeutige Daten und Veränderungen in anderen Bereichen. Unter anderem bei den Temperaturen. Die Februarwerte am Hohenpeißenberg zieht der Wetterbeobachter heran. Das Mittel liegt bei minus 0,4 Grad, 1990 seien es bereits 5,1 Grad gewesen. Und heuer? Rekord – 6,2 Grad! So wird es zwar nicht konstant weitergehen, prophezeit Schwarzer, aber die Werte dürften sich auf hohem Niveau einpendeln. Die Konsequenz: Blumen und Bäume blühen früher. Doch die frostigen Nächte erledigen ganze Arbeit, die Blätter frieren ab, Schaden entsteht.

Daniel Haser (l.) und Stefan Schwarzer.
Auf Einladung des Obst- und Gartenbauvereins Bad Bayersoien um den Vorsitzenden Daniel Haser (l.) referiert Stefan Schwarzer in Bad Bayersoien. © schauer

Ein anderes Problem: Trockenheit. Vor allem 2023 „stand absolut Kopf“. Normalerweise gibt es den höchsten Niederschlag im Juni, im vergangenen Jahr war dies im November der Fall. Der Juni entpuppte sich dafür als trockenster Monat. Was folgte: Erst eine Dürreperiode und dann zu viel Wasser. Dabei wurden insgesamt normale Niederschlagsmengen verzeichnet, nur fallen die Schwankungen extrem aus. „Ein Problem der heutigen Zeit“, sagt Schwarzer, der als Programmierer für das Global Atmosphere Watch arbeitet und das Hochwasserfrühwarnsystem SWarn entwickelte.

Garmischer See - nur eine Frage der Zeit

Als unmittelbar Betroffene richtet sich das Interesse der Zuhörer vor allem auf die Gefahren durch Unwetter. Drei Varianten durchleuchtet Schwarzer an dem Abend:
■   Dazu zählt der dauerhafte Niederschlag, der über Stunden und Tage andauert. Anschaulich und in für Laien verständlicher Version erklärt der Experte, der auf einer Webseite über das lokale Wetter berichtet, wie dieses Phänomen entsteht. Das normale Tiefdruckgebiet würde vom Atlantik kommend von West nach Ost ziehen. Doch gibt es Ausnahmen, etwa so genannte Vb-Lagen. Dabei verhalte sich das Tief wie die Menschen. Es weicht dorthin aus, wo es warm ist, in Richtung Mittelmeer bei Genua und macht dort Urlaub. Warme Luft aber nimmt viel Wasserdampf auf. Auf gut Deutsch: Das Tief tankt auf. Um die Kräfte, die im Spiel sind, zu verdeutlichen, zieht Schwarzer einen schier unglaublichen Vergleich heran: „Eine handelsübliche Gewitterwolke“, sagt er und erntet Staunen, „hat die Energie der Hiroshima-Bombe.“ Zurück zum Urlaub: Der ist vorbei, das Tief wandert zu den Alpen. Auf dem Weg über die Berge kühlt die feuchte Luft ab, es beginnt zu regnen.

Welche Niederschlagsmengen möglich sind, da geht die Schere weit auseinander. Zirka 155 Liter pro Quadratmeter waren es beim Pfingsthochwasser. „Da hatten wir Land unter.“ Das Elbhochwasser 2006 spielte in einer anderen, einer noch dramatischeren Liga – mit 354 Litern in 24 Stunden. „Wenn das kommen würde, kann man bei Eschenlohe nur noch eine Staumauer ziehen“, betont Schwarzer. Dahinter wäre alles ein Garmischer See. Ein Szenario, mit dem zu rechnen ist. Rein statistisch. „Es ist eine Frage der Zeit, dass es kommt.“ Nur wann. . .

■  Noch so ein Paradebeispiel sind lokale starke Niederschläge im Sommer. Deren unbeliebter Bruder heißt Höhenwind. Unbeliebt dann, wenn er durch Abwesenheit glänzt und die Wolken nicht wie er sollte übers Land schiebt, sodass sie regional verteilt das Wasser ablassen können. Stattdessen bewegt sich die Wolke bei konstanter Wetterlage kaum vom Platz. Ergo: Es regnet und regnet und regnet an einer Stelle. Nur wo die genau zu verorten ist, dafür bräuchte es eine Glaskugel. „Man kann nur ein ganzes Gebiet warnen, dass Potenzial für eine explosive Wetterlage vorherrscht.“ Die „gute“ Nachricht dabei: Nicht jeden Ort trifft es jedes Jahr.

■  Nichts mehr als das wünschen sich die Soier. Auf Hagelereignisse der Dimension des vergangenen Jahres können sie getrost verzichten. Am liebsten für immer. 150 Gramm schwere Eiskugeln schossen mit zirka 130 Stundenkilometern vom Himmel und hinterließen eine Schneise der Verwüstung. Doch der Referent dämpft die Hoffnungen. Für Ereignisse dieser Art „sind wir einer der Hotspots“. Und zwar, weil eine Wolke tickt wie mancher Mensch. Sie möchte sich nicht unnötig plagen. Oft bildet sie sich im Bereich des Lechs in der Nähe von Füssen, wo das Wasser des Forggensees ihr noch zusätzlich „Nahrung“ bietet. Der oft vorherrschende, wenn auch schwache Westwind schubst sie an, nur stößt die Wolke dann schnell auf die Berge der Ammergauer Alpen. Sie müsste mindestens 800 Höhenmeter aufsteigen. „Das braucht Energie“, erklärt Schwarzer. Die spart sie sich lieber und wählt die softere Route außenrum über Wildsteig und Bad Bayersoien. Dort muss sie vielleicht noch 150 Höhenmeter bezwingen. „Das ist eine super Option für die Wolke.“ Eine noch bessere übers flachere Land führt über Peiting und weiter. „Aber es ist die Natur“, unterstreicht Schwarzer. „Da können wir nichts machen. Wir können den Hagel nicht irgendwo abstellen.“

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