Kommentar: Die Zukunft vom Haus International in Kempten

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Das Kemptener Haus International braucht eine Erneuerung. © Claudia Schöwe

Im Haus International muss sich einiges ändern: In diesem Punkt sind sich fast alle einig, die sich an der aktuellen Diskussion beteiligen.

In der Debatte wird auf die Frage „Was?“, also auf die Inhalte einer notwendigen Veränderung, kaum ein Wort verschwendet. Aber über das „Wie?“ wird leidenschaftlich gestritten. Der Sozial- sowie der Haupt- und Finanzausschuss haben sich mehrheitlich auf die von der Verwaltung vorgeschlagene Lösung geeinigt. In Thomas Hartmanns kritisch treffender Formulierung geht es um das „Aushungern des Vereins“, das den Weg für einen „Neuanfang“ freimachen soll. Wie soll man sonst die Methode nennen, den städtischen Netto-Zuschuss auf null zu setzen, und zu erwarten, dass „das interkulturelle Zentrum der Stadt Kempten“ rein ehrenamtlich geführt wird und dass diese Ehrenamtlichen neben dem offenen Betrieb, der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen, Leitung und Neuakquise von Projekten, niederschwelliger Beratung von Besuchern, intensiver Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Erledigung von Verwaltungstätigkeiten, Putzen des Hauses und Pflege des Grundstücks noch im Jahr einen hohen fünfstelligen Betrag erwirtschaften bzw. einwerben?

Warum interveniert der Oberbürgermeister nicht?

Und das in einer Situation, in der sie von den Leuten in der Stadtverwaltung, die sie unterstützen sollten, an den Pranger gestellt werden? Stelle man sich vor, das Gleiche passiert mit vergleichbaren städtischen Einrichtungen wie dem Altstadthaus oder den vier Jugendzentren. Würden diese ohne Personal und städtischen Zuschuss bestehen bleiben? Wer die Situation des Haus International als „Chance eines Neuanfangs für den Verein“ schönredet, steckt den Kopf in den Sand, um Gedanken über die eigene Verantwortung zu verdrängen. Der Oberbürgermeister hat mehrfach versprochen, dass durch die Kürzung im Haushalt keine Kollateralschaden entstehen dürfen. Warum interveniert er hier nicht?

Siegfried Oberdörfer hat es in dem mit ihm geführten Interview bei der 50-Jahr-Feier des Integrationsrates klar formuliert: Zuerst muss ein neues Konzept her, dann kann man über Gelder reden. Da auf die Inhalte eines Konzepts überhaupt niemand eingeht, kann man das Wort „Konzept“ getrost durch „Personen“ ersetzen. Je öfter und je lauter das Gegenteil betont wird, und das ohne Aufforderung, umso sicherer kann man sein, dass das stimmt. Wenn es wahr ist, was gemunkelt wird, dass Oberdörfers Parteikollegin und Nachfolgerin in den beiden wichtigsten ehrenamtlichen Ämtern für Integration, Ilknur Altan, bereits öfter laut darüber nachgedacht haben soll, für den Vorsitz zu kandidieren, fragt man sich: Werden nach ihrer Wahl die Mittel wieder freigegeben?

Warum schaltet man keinen sachkundigen Vermittler ein?

Es wird dauernd über das fehlende Vertrauen zwischen dem Vereinsvorstand und dem Amt für Integration gesprochen. Warum setzt man hier auf Eskalation, statt einen neutralen und sachkundigen Vermittler einzuschalten? Als es zwischen dem Verein City-Management und der Stadtverwaltung wegen der Einführung des Stadtmarketings knisterte, hatte der zuständige Referent die Professionalität, diesen Weg zu gehen – mit Erfolg. Hier wäre diese Möglichkeit mit minimalem Aufwand realisierbar. In einem solchen Prozess könnte auch geklärt werden, wie viel Professionalität von einer ehrenamtlichen Struktur realistisch erwartet werden kann und ob die von der Verwaltung gestellten Forderungen, wie Vereinsvorsitzende Gaby Heilinger behauptet, wirklich überzogen sind.

Als Vermittlungsperson via Amt könnte man erwarten, dass sich die Integrationsbeauftragte und Vorsitzende des Integrationsbeirats aktiv einschaltet, um die zentrale Einrichtung der Integration samt Trägerverein zu retten und eine mehr als vier Jahrzehnte lange Tradition, die maßgeblich zum sozialen Frieden in der Stadt beigetragen hat, fortzuführen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie ist vor kurzem aus dem Vereinsvorstand zurückgetreten, im Sozialausschuss zündelt sie mit und bei der Gesprächsrunde zwischen den Stadträten und dem Vorstand sowie Mitarbeitern des Vereins hat sie sich entschuldigt: Die Anwesenheit bei der Eröffnungsveranstaltung von „Leben statt Schweben“ des SJR war ihr wichtiger. Woher kommt diese Gleichgültigkeit?

Könnte die Stadtverwaltung mit Halbwahrheiten den Stadtrat manipulieren?

Altan hat den Kurs des Vereins jahrelang geprägt. Annette Hauser-Felberbaum ist nicht ganz so lange dabei, aber lange genug, um die Arbeit des Vorstands mitzugestalten. Deswegen konnte man nur mit dem Kopf schütteln, als sie im Ausschuss eine bessere Kommunikation zwischen dem Vorstand und den Mitgliedern einforderte, etwas, was zu ihren ureigenen Aufgaben als Vorstandsmitglied gehört.

Franz Josef Natterer-Babych ist mit dem Haus International verbunden, er hat sich insbesondere für die Integration ukrainischer Geflüchteter dort aktiv eingesetzt. Trotzdem erwies er dem Verein einen Bärendienst, indem er zwar etliche richtige Fragen stellte, aber mit seiner Wortwahl seine Stadtratskollegen gegen sich und so auch gegen sein ursprüngliches Anliegen aufbrachte. Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll mit ihrem Aufruf zur Entschuldigung und Oberbürgermeister Thomas Kiechle mit seinem Statement haben versucht, ihren Mitarbeiter zu schützen. Eine verständliche und ehrenvolle Reaktion. Trotzdem bleibt aufgrund dessen, was wir wissen, der Verdacht im Raum, dass die Stadtverwaltung Kempten mithilfe von Halbwahrheiten politische Entscheidungen des Stadtrats manipulieren könnte. Das wäre fatal, deswegen wäre der OB gut beraten, hier auch die letzten Zweifel aus dem Weg zu räumen. Ob das eingereichte Konzept tatsächlich nicht einmal als Diskussionsgrundlage taugt, kann ein neutraler Fachmann oder eine Fachfrau einschätzen. Ob das Haus International tatsächlich keine Berichte und Verwendungsnachweise eingereicht hat, lässt sich leicht überprüfen. Der E-Mail-Verkehr bietet die Möglichkeit festzustellen, ob der Vorstand die Kommunikation mit dem Amt wirklich blockierte.

Ein möglicher Neuanfang: Verlegung der Zuständigkeit zum Kulturamt

Das Haus International ist eine klassische Einrichtung der Soziokultur. Deswegen spielt es sowohl im Kommunalen Integrationskonzept als auch in der Kulturentwicklungskonzeption eine zentrale Rolle. In der letzteren wird das Haus in der Poststraße als Anker-Einrichtung im interkulturellen Bereich definiert. Auch die Möglichkeit einer institutionellen Förderung wird dort aufgezeigt. Stellt sich der Verein neu auf, wäre es nicht eine Option, auch bei der Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Verwaltung durch deren Verlegung zum Kulturamt einen Neuanfang zu ini­tiieren? Stadtrat Josef Mayr hat im Gespräch zwischen Verein und Stadträten gemeint, diese Entscheidung könnte der OB als Chef der Verwaltung im Alleingang treffen. Diese Lösung hätte einen weiteren positiven Nebeneffekt: Bis zur Gründung des Amtes für Integration hatte das Haus International de facto viele Aufgaben einer fehlenden Struktur in der Verwaltung übernommen, in enger Absprache mit dem damals zuständigen OB-Büro. Dass später über die Folgen der Änderung nie offen gesprochen wurde, führte immer wieder zu Reibereien. Durch den Zuständigkeitswechsel hätte man eine klare Trennung der Kompetenzen.

Das Niveau der jetzigen Diskussion ist einer Stadt, die stolz auf ihre kulturelle Vielfalt ist und einst die Avantgarde der Integrationsarbeit bundesweit stellte, nicht würdig. Es wäre ratsam, sich auf die Inhalte und die dafür notwendigen Strukturen zu konzentrieren.

Haus International braucht eine Erneuerung

Es steht außer Zweifel, dass das Haus International eine Erneuerung braucht. Zu lange hat man an Vorstellungen festgehalten, die vor 40 Jahren fortschrittlich, aber heute überholt sind. Die Gesellschaft hat sich massiv verändert. Neben der Integration von Neuzuwanderern muss man beispielsweise verstärkt auf die Bedürfnisse von Menschen mit vielfachen kulturellen Identitäten eingehen. Für die Etablierung eines offenen Betriebs ist man auf die von der Stadt seit Jahren versprochenen Umbaumaßnahmen angewiesen. Eigenleistungen wie früher sind heute hierbei nicht mehr erlaubt. Der Verein muss ein Stück von seiner „Wagenburgmentalität“ aufgeben und sich mehr öffnen für die zahlreichen Akteure, die es heute im Bereich der Integration gibt. Vor 40 Jahren war es anders. Man findet aber auch Arbeitsbereiche, die inzwischen fast vergessen wurden und heute wieder Aktualität gewinnen: Für das politische Engagement im Interesse von Geflüchteten und Diskriminierten und gegen Rassismus und Gleichgültigkeit in der Gesellschaft dürfte man wieder mehr Mut beweisen. In einer Zeit, in der die zeitlichen Ressourcen und die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement weniger werden, sollte man mehr auf Teamarbeit setzen. Es gibt aber auch Arbeitsbereiche, die man unbedingt beibehalten muss: Die Schülerbetreuung ist die Keimzelle des Haus International. Die dort geleistete wertvolle Arbeit wird auch nach der Einführung des Rechtsanspruchs auf Nachmittagsbetreuung in den Grundschulen unverzichtbar bleiben.

Ich bin davon überzeugt, dass diese Änderungen auch im Dialog erreicht werden können, wenn man will. In einer Stadtgesellschaft mit über 40 Prozent Migrationsanteil dürfte eine Debatte über die Existenzberechtigung eines interkulturellen Zentrums gar nicht aufkommen. Diese Einrichtung braucht man für die Stärkung der Demokratie und eines friedlichen Zusammenlebens, beides eine stark betonte Herzensangelegenheit des Oberbürgermeisters, mehr als je.

Transparenzhinweis: Der Autor war von 2015 bis 2022 Geschäftsführer des Haus International.

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