Israels Armeesprecher Shalicar im Interview: „Wir boxen für die UN die Resolution durch“

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Israels Armee-Sprecher Shalicar spricht im Interview mit dem Münchner Merkur über die Kriegsziele und die jüngsten Zusammenstöße mit Blauhelmen im Libanon.

München – Arye Sharuz Shalicar, der Sprecher der israelischen Armee, hat der Bundesregierung vorgeworfen, den „jüdischen Staat in seiner schwersten Stunde in Sachen Rüstung im Stich“ zu lassen. Wir sprachen mit dem in Deutschland geborenen Major über diesen Vorwurf, über die Kriegsziele Israels im Libanon und in Gaza und über den jüngsten Beschuss von Blauhelm-Stellungen im Libanon durch israelische Truppen.

Robert Habeck (M r, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, besucht die Stadt Sderot und wird vom Sprecher der israelischen Streitkräfte, Arye Sharuz Shalicar (M l), begleitet.
11.01.2024, Israel, Sderot: Robert Habeck (M r, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, besucht die Stadt Sderot und wird vom Sprecher der israelischen Streitkräfte, Arye Sharuz Shalicar (M l), begleitet. Sderot liegt an der Grenze zum Gazastreifen. Die Stadt wurde am 07.10.2023 von Hamas-Kämpfern angegriffen. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ © Kay Nietfeld/dpa

Israels Armeesprecher Shalicar – bei deuteschen Waffenlieferungen herrscht eine Doppelmoral

Liefert Deutschland inzwischen mehr Waffen an Israel?

Deutschland hat in Sachen Waffenhilfe für Israel auf die Bremse gedrückt, trotz des Terrorüberfalls der Hamas vom 7. Oktober. Aus meinen Gesprächen mit dem israelischen Verteidigungsministerium habe ich aber herausgehört, dass das Problem zwischen Berlin und Tel Aviv inzwischen behoben ist.

Dabei soll es um eine Unterschrift Israels gegangen sein, die deutschen Waffen nicht völkerrechtswidrig einzusetzen ...

Israel wird seit einem Jahr aus sieben verschiedenen Gebieten angegriffen. Deutschland müsste sich fragen, was man unter „völkerrechtswidrig“ versteht. Israel befindet sich in einem asymmetrischen Selbstverteidigungskrieg, wo unsere Widersacher nicht aus Militärkasernen operieren, sondern ausschließlich aus Städten, Schulen, Moscheen oder Krankenhäusern aus schießen. Deshalb ist es für uns eine äußerst schwierige Situation. Zudem muss sich die Bundesregierung fragen, warum sie in diktatorisch geführte Staaten wie Katar oder die Türkei Waffen liefert, die Kurden in Syrien angreift, aber nicht nach Israel, das sich in einem Selbstverteidigungskrieg gegen Terrororganisationen befindet. Hier herrscht in Deutschland eine Doppelmoral.

Angriffe auf Blauhelme im Libanon – „Unifil ist nicht unser Feind“

Insbesondere die Angriffe auf Blauhelm-Stellungen im Libanon durch israelische Truppen werden von der UN als völkerrechtswidrig bezeichnet. Waren das versehentliche oder bewusste Angriffe?

Unifil ist nicht unser Feind, sondern unser Partner. Die Blauhelme sind seit Jahrzehnten vor Ort und insbesondere seit 2006 im Südlibanon gefragt, um die UN-Resolutionen 1559 und 1701 (siehe Grafik) durchzusetzen. Aber leider verstößt die Hisbollah seither jeden Tag gegen diese Resolutionen und schießt aus der libanesischen Region, die sie laut UN-Sicherheitsrat verlassen müsste, auf Israel. Dabei missbraucht sie die UN-Soldaten, die das geschehen lassen, auch noch als menschliche Schutzschilde. Vor wenigen Tagen haben wir gezeigt, dass die Hisbollah einen rund 40 Meter tief liegenden Tunnel unmittelbar neben einem Unifil-Stützpunkt gegraben hatte. In mindestens 25 Fällen hat die Hisbollah aus unmittelbarer Nähe zu UN-Posten auf Israel geschossen. Die israelische Armee steht in ständigem Kontakt mit Unifil, wir sprechen uns taktisch ab und warnen vor Beschuss in deren näherem Umfeld. Die Armee und die politische Führung Israels haben die Blauhelme gebeten, die Kampfzone im Süden Libanons zu verlassen. Es liegt an der UN-Führung, in diesen heiklen Wochen diese Kampfzone zu verlassen.

Was ist das Kriegsziel im Libanon?

Die Terrormiliz Hisbollah feuerte seit dem 8. Oktober 2023 mehr als 13 000 Raketen auf Israel ab. Der Norden Israels ist dadurch zu einem Geisterort geworden. Bis zu 200 000 Menschen mussten evakuiert werden, noch immer sind über 60 000 Israelis Binnenflüchtlinge im eigenen Land und können nicht mehr in ihren eigenen Häusern leben. Unser Kriegsziel ist ganz einfach, dass diese Menschen ohne Angst vor Beschuss nach Hause zurückkehren können. Und ohne dass sie fürchten müssen, dass die Hisbollah über die Grenze kommt wie am 7. Oktober die Hamas. Wir wollen eine rund 100 Kilometer breite Grenzregion von der Hisbollah reinigen. Laut UN-Beschluss dürfte die Hisbollah dort gar nicht sein. Weil Unifil dafür nicht sorgen konnte, muss die israelische Armee jetzt diese UN-Resolution durchboxen.

Israels Armeesprecher über Krieg in Gaza: „Es darf keinen einzigen 7. Oktober mehr geben“

Haben Sie Hoffnung, dass sich die reguläre libanesische Armee gegen die Hisbollah wendet?

Viele Partner wie Deutschland oder Frankreich haben ihre Hoffnungen in die libanesische Armee gesetzt. Aber die Hisbollah ist die stärkere Miliz. Und sie hat auch noch den Iran im Rücken. Deshalb kann die libanesische Armee nichts gegen die Hisbollah tun, ohne Gefahr zu laufen, vernichtet zu werden. Ein Problem ist auch, dass jede Waffe, mit der der Westen die libanesische Armee unterstützt, am Ende von der Hisbollah übernommen werden könnte.

Wie enttäuscht ist Israel, dass die Hamas auch nach einem Jahr noch immer nicht besiegt ist?

Was in Deutschland oft nicht verstanden wird: Die Hamas ist nicht wie der Islamische Staat, der Gebiete erobert und dort eine Schreckensherrschaft errichtet. Die Hamas wird von dort geborenen und verwurzelten Palästinensern geprägt. Nahezu jeder Zweite im Gazastreifen ist entweder Mitglied der Hamas, mit einem Funktionär verwandt oder steht auf deren Gehaltsliste. Das macht den Kampf so schwer. Das Traurige ist, dass wir nach einem Jahr und einer Woche noch immer 101 Geiseln nicht befreien konnten. Die Hoffnung ist, dass wir es irgendwann doch noch schaffen, die Geiseln freizubekommen. Das zweite Ziel im Gazastreifen ist es, die Hamas so zu schwächen, dass sie ihre Androhung nicht wahr machen kann: tausende Anschläge wie am 7. Oktober gegen Israel. Es darf keinen einzigen 7. Oktober mehr geben.

Zur Person

Arye Sharuz Shalicar ist 1977 in Göttingen geboren. Seine Eltern sind iranische Juden. Er hat eine bewegte Jugend hinter sich, die er in dem (2021 verfilmten) Roman „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ beschreibt: Nach dem Umzug seiner Familie nach Berlin wurde der 16-jährige Shalicar, der anfangs gar nichts von seiner jüdischen Herkunft wusste, Opfer muslimischen Antisemitismus. Er wurde Mitglied der kurdisch-libanesischen Gang Kolonie Boys, die sich mit türkischen Gangs zoffte. Shalicar machte sich als Graffiti-Sprayer und Rapper in Berlin einen Namen. 2001 wanderte er nach Israel aus, wo er heute für die Regierung und die Armee im Rang eines Majors arbeitet.

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