Julia Ruhs: In einem Punkt ist Merz‘ Koalitionsvertrag ziemlich woke

Beim Lesen des neuen Koalitionsvertrags musste ich mir verwundert die Augen reiben. Steht da doch großspurig, die „tatsächliche Gleichstellung“ von Frauen und Männern in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zu einem „zentralen Anliegen“ machen zu wollen. Man setze sich dafür ein, dass Gleichstellung schneller erreicht werde. Denn Frauen seien in Führungspositionen, in der IT, Politik und bei Start-ups unterrepräsentiert, heißt es. 

Die perfekte geschlechtergerechte Welt 

Das klingt fast so wie die Ampel, die sich einst ein gleichstellungspolitisches Jahrzehnt in den Koalitionsvertrag schrieb, aber damit genau wie bei ihrer feministischen Außenpolitik kläglich scheiterte. Nicht einmal Händeschütteln mit den neuen syrischen Machthabern war für Außenministerin Annalena Baerbock bekanntlich drin. 

Auch die eigens für Gleichstellung gegründete Bundesstiftung soll bleiben. Jahr für Jahr schluckt sie seit 2021 mehr als fünf Millionen Euro Steuergeld, veranstaltet „Gleichstellungstage“ und produziert Berichte mit abenteuerlichen Titeln wie „Gleichstellung in der sozial-ökologischen Transformation“. 

Ich glaube also, man sollte nicht nur die steuerfinanzierten „NGOs“ mal kräftig durchchecken, sondern auch so mache komplett staatlich alimentierte Spezialstiftung. Man könnte viel Geld sparen, wenn man nur will. 

Gleichberechtigung und Gleichstellung widersprechen sich

Denn egal, wie viel Geld noch fließt, nach vier Jahren Merz-Regierung wird es um die Gleichstellung wohl nur schwerlich besser bestellt sein als heute. Und das nicht, weil Friedrich Merz ein Frauenproblem hätte. 

Sondern weil Männer und Frauen sich wohl in einigen Bereichen einfach nicht gleichstellen lassen – jedenfalls nicht ohne massiven staatlichen Eingriff. 

Das liegt daran, wie der Soziologe Martin Schröder von der Universität des Saarlandes erklärt, dass Gleichberechtigung und Gleichstellung sich widersprächen. Das dürfte gerade diejenigen überraschen, die beide Begriffe gerne synonym durch die Gegend werfen, und das sind leider viele. 

Gleichstellung ist wie Planwirtschaft

Dabei ist der Unterschied groß: Gleichberechtigung will faire Chancen – Gleichstellung aber verlangt gleiche Ergebnisse. In der idealen Welt der Gleichstellung sitzen Männer und Frauen exakt 50:50 in Vorständen, Parlamenten und Aufsichtsräten. 

Schließlich, so die omnipräsente Begründung, gibt es ja ungefähr gleich viele von beiden in der Gesellschaft. Wird keine 50:50-Verteilung erreicht, lautet die Diagnose: Es gibt immer noch diskriminierende Strukturen!   

Gleichstellung bedeutet also, einen wünschenswerten Endzustand zu markieren. Man steuert ein gesellschaftliches Ideal von oben. Es ist wie Planwirtschaft – nur diesmal in Sachen Geschlecht. 

Friedrich Merz und Saksia Esken gehen vor Lars Klingbeil und Markus Söder.
Friedrich Merz und Saksia Esken gehen vor Lars Klingbeil und Markus Söder. Getty

Das Gleichstellungs-Paradoxon

Doch die Sache ist paradox. Denn je freier Frauen und Männer sind, desto unterschiedlicher werden sie. Das zeigt der sogenannte „Gender Equality Paradox“. Ausgerechnet dort, wo es um die Gleichberechtigung nicht gut bestellt ist, studieren Frauen technische Fächer wie Mathe oder Ingenieurswissenschaften. 

Zum Beispiel in Algerien, Marokko oder Saudi-Arabien. Weil diese Fächer dort Sicherheit und Einkommen versprechen. Typische „Frauenfächer“ studieren Frauen vor allem in Ländern wie Schweden, Norwegen, Dänemark oder Finnland. Also in wohlhabenden, sehr freien, gleichberechtigten Gesellschaften.

Mit anderen Worten: Mehr Gleichberechtigung verstärkt die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sie ebnet sie nicht ein. Vielleicht sind also nicht alle Unterschiede böse. Vielleicht wollen Frauen und Männer manchmal einfach Verschiedenes. Vielleicht ist doch nicht alles Sozialisation.

Es bräuchte also noch mehr Zwang

Das heißt auch: Wenn mehr Gleichberechtigung Männer und Frauen nicht gleicher macht, braucht es wieder mehr Zwang, um Männer und Frauen trotzdem gleichzustellen, so Soziologe Schröder. 

Der Staat müsste die unterschiedlichen Vorlieben von Männern und Frauen wieder korrigieren. Um mehr Frauen in die IT-Branche zu kriegen, zum Beispiel. Schon etwas irre, oder? 

Doch die ganze Gleichstellerei treibt noch weitere Blüten. Und zeigt, wie schnell man unter die Räder seiner eigenen Ideologie kommt. Gerade dann, wenn man Quoten gar gesetzlich verankert. In Großbritannien war das so, dort hatte man eine Frauenquote von 50 Prozent in Führungsebenen von staatlichen Einrichtungen eingeführt. 

Eine Frauenrechtsgruppe um die Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling klagte dagegen, weil Trans-Frauen bei der Quote miteinbezogen wurden. Jetzt gab das oberste Gericht des Landes ihnen Recht und urteilte: Trans-Frauen sind rechtlich keine Frauen. Für gesetzliche Frauenquoten zählt das biologische, nicht das soziale Geschlecht. 

Plötzlich ist Gleichstellung „transfeindlich“

Das zeigt: Wer Gleichstellung fordert und dafür auf Quoten setzt, der kommt schnell in ein Dilemma. Schließt in Großbritannien damit künftig Transfrauen aus. Bedient sich ab jetzt eines in den eigenen Augen „transfeindlichen“ Instruments. Aber so ist das eben: Wer anfängt, Menschen in Gruppen zu sortieren, muss auch klären, wer dazugehört und wer nicht.

Vielleicht wäre es also besser, statt einem gesellschaftlichen Ideal hinterherzurennen, sich wieder ausschließlich auf gleiche Chancen zu konzentrieren: bessere Kinderbetreuung, flexible Arbeitsmodelle, keine Nachteile im Job für Frauen, wenn sie schwanger werden.  

Nicht falsch verstehen: Auch ich freue mich, wenn Frauen eine tolle Karriere hinlegen oder sich wie Katy Perry mutig ins All schießen lassen. Doch wenn in der IT, im Start-up-Bereich und auch in Führungspositionen weiterhin mehr Männer arbeiten und in Grundschulen mehr Frauen, dann gibt es nicht immer Grund zur Panik. Es muss nicht gleich Diskriminierung sein. Sondern vielleicht auch schlicht Ausdruck von Freiheit – und geschlechtlichen Unterschieden, die nicht immer ein Problem sein müssen. 

Über die Kolumnistin 

Julia Ruhs ist Journalistin, vor allem beim Bayerischen Rundfunk. Sie ist Teil jener Generation, die vor Klimaaktivisten, Gender-Bewegten und Zeitgeist-Anhängern scheinbar nur so strotzt. Sie will denjenigen eine Stimme geben, die sich darin nicht wiederfinden und sich oft allein fühlen mit ihrer Meinung. Wenn alle das gleiche zu denken scheinen, verspürt sie Unwohlsein.