Wer konservativ denkt, für den ist der Koalitionsvertrag von Merz eine Zumutung
Die neue Regierungskoalition hat sich viel vorgenommen. Sie hat sich vor allem viel vorgenommen, was sie nicht leisten kann. Sie will zum Beispiel das Lügen verbieten. Und das kann gefährlich werden.
„Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“ So steht es im Koalitionsvertrag. Aber: Wer legt fest, was eine Tatsachenbehauptung ist – und was „nur“ eine Meinungsäußerung? Wer stellt fest, was eine Lüge ist – gibt es überhaupt Wahrheiten?
Sachlich ist das eine Tatsachenbehauptung
Als es um eines ihrer wichtigsten Vorhaben ging, das so genannte Selbstbestimmungsgesetz, da sagte die grüne Familienministerin Lisa Paus: „Eine Transfrau ist eine Frau.“ Sprachlich ist das eine Tatsachenbehauptung. Ist es aber eine Tatsache, dass eine Transfrau eine Frau ist? Und gilt das unter allen Umständen?
Wer sagt, es gebe „nur“ zwei Geschlechter, muss damit rechnen, „gecancelt“ zu werden, etwa an Universitäten. Nur: Es gibt das biologische Geschlecht, und es gibt das soziale Geschlecht. Das soziale Geschlecht ist eine neuere Erfindung, die einer Ideologie folgt, die das Soziale dem Biologischen vorzieht, das Gefühlte dem Realen.
Der Satz von Paus, wonach eine Transfrau eine Frau sei, verwischt – politisch mit Absicht – die Grenzen zwischen „Geschlecht“ und „Gender“. Derlei nennt Christiane Nüsslein-Volhard „Wahnsinn“. Es gebe biologisch ausschließlich Frau und Mann.
Nüsslein-Volhard ist Nobelpreisträgerin
Nüsslein-Volhard muss es wissen: Sie ist Biologin und als solche: Nobelpreisträgerin. Jedenfalls ist sie fachlich beim Geschlechter-Thema sicher qualifizierter als Paus; die allerdings versteht sich besser auf das Steuern gesellschaftspolitischer Debatten.
Eine weitere Herausforderung für eine neue Regierung, die verspricht „falsche Tatsachenbehauptungen“ verbieten zu wollen, bietet dieser Satz: „Der Islam ist keine Religion des Friedens.“ Das ist ein rechter Satz. Von selber Wahrheits-Problematik ist das Gegenteil: „Der Islam ist eine Religion des Friedens.“ Das ist ein linker Satz.
Den hört man von Islamverbänden nach Anschlägen, die von Islamisten begangen wurden. Spitzenpolitiker behaupten gerne nach Attentaten, bei denen „Allahu akbar“ gerufen wurde, dies habe nichts mit dem Islam zu tun; so ließ sich seinerzeit auch die Kanzlerin Angela Merkel nach dem islamistischen Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo vernehmen.
Was ist anti-muslimisch?
Nun: Sind die beiden Islam-Sätze eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung? Sind sie wahr oder sind sie falsch? Zumal nicht einmal klar ist, was „der Islam“ eigentlich ist, auch in Bezug auf seine Wortlaut-Treue zum Koran.
Jedenfalls: Auch die Regierung von Friedrich Merz, dem CDU-Mann, will nun gegen „antimuslimischen Rassismus“ angehen. Nur: Dieser Begriff ist schon falsch. Der Islam ist eine Religion, keine Rasse. Und was ist anti-muslimisch? Wie geht man mit Religionskritik um, die in einem säkularen Gemeinwesen, in dem Religion und Staat getrennt sind, nicht nur erlaubt, sondern wohl auch geboten ist – von Teilen des Islam allerdings als Häresie verfolgt wird, auch blutig?
Es gibt in Deutschland Demonstrationen für die Errichtung eines Kalifats auf hiesigem Boden. Wer das öffentlich will, der betrachtet seine Religion nicht mehr als Privatsache. Und angesichts der tausendfachen Einwanderung aus islamischen Ländern von Menschen mit oft antisemitischer Sozialisation – wie stellt sich die nächste Regierung das gesellschaftliche Zusammenleben vor?
Für Konservative enthält der Koalitionsvertrag Zumutungen
Eine konservativ-liberale Idee wäre gewesen, einen demokratie-verträglichen islamischen Glauben zu fördern und dabei islamischen Gelehrten, die es zunehmend an deutschen Unis gibt, gegen Islamisten zur Seite zu springen.
In dieser Hinsicht ist der Koalitionsvertrag eine Enttäuschung. Um es in grüner Sprache zu sagen: Antimuslimischer Rassismus wird verfolgt, wo proislamistischer Rassismus zu verfolgen wäre. Kurzum: Für Konservative (und auch Liberale) enthält dieser Koalitionsvertrag Zumutungen. Womöglich ist er darum auch eine Zumutung.
Das Ansinnen, Lügen per Staatsdekret unterbinden zu wollen, ist nicht die einzige Grenzüberschreitung. Einen großen Teil der identitätspolitisch geprägten Gesellschaftspolitik hat die Ampelkoalition überlebt.
Unionsführung schreckte vor Krawall zurück
Nur: Jetzt ist der Vertreter einer christdemokratischen und damit mindestens einmal „auch“ konservativen Partei der Bundeskanzler. Und bald schon ist für das Selbstbestimmungsgesetz – eine grüne Erfindung zur Klientelpflege der Trans-Community – ein Christdemokrat Chef-verantwortlich.
Denn dieses grüne Gesetz – mitverantwortet von einem liberalen Bundesjustizminister - soll keineswegs abgeschafft, sondern nur evaluiert werden, so steht es im neuen Koalitionsvertrag. Und zwar im Hinblick auf die Verletzung von Frauenrechten (etwa, wenn Penisträger, die behaupten, Frauen zu sein, Zugang zu Frauenschutzräumen verlangen) und Kinderrechten.
Die Unionsführung, Friedrich Merz wie Markus Söder, wollte eine grundsätzliche Debatte über den ideologischen Gehalt des Selbstbestimmungsgesetzes nie führen. Sie schreckte zurück vor dem zu erwartenden Krawall.
"Antidiskriminierungsstelle" soll Arbeit fortsetzen dürfen
Und so bleibt das Selbstbestimmungsgesetz mindestens vorerst unangetastet, obwohl auch Feministinnen wie Alice Schwarzer es als Zumutung begriffen. Und obwohl es die große Bevölkerungsmehrheit nötigt, sich einen grünen Geschlechterbegriff für eine winzige Minderheit anzueignen, andernfalls droht sogar Strafe.
So wie das Selbstbestimmungsgesetz von nun an von einem christdemokratischen Bundeskanzler und einer christdemokratischen Bundesfamilienministerin verantwortet wird, so bleibt auch das umstrittene Programm „Demokratie leben“ erhalten. Im Koalitionsvertrag werden dafür sogar „weitere Maßnahmen“ versprochen.
Was die Mehrheit der Bevölkerung, die glaubt, staatliche Eingriffe in ihr Demokratieverständnis nicht nötig zu haben, als Drohung auffassen sollte. Auch die „Antidiskriminierungsstelle“, derzeit geführt von Ferda Ataman als „Unabhängiger Bundesbeauftragter für Antidiskriminierung“, soll ihre Arbeit fortsetzen dürfen.
Was Rassismus ist und was nicht, unterliegt einem Werturteil
So steht es auf Seite 104, kombiniert mit dem Versuch, die inflationäre Verwendung von „Rassismus“ unangreifbar zu machen, und zwar so: „Wir werden den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus aufbauend auf einer wissenschaftlichen Rassismus-Definition neu auflegen, um Rassismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu bekämpfen.“
Was für ein problematisches Ansinnen: Was Rassismus ist und was nicht, unterliegt einem Werturteil. Auch wenn Gesellschaftswissenschaften sich an den Versuch einer Definition eines gesellschaftlichen Phänomens machen – eine objektive Tatsache wird niemals dabei herauskommen. Soziologie ist nicht Mathematik.
Die Anschauung darüber, was Rassismus ist, unterliegt einem gesellschaftlichen Wandel. Was jahrzehntelang „Diskriminierung“ hieß, heißt heute „Rassismus“. Was historisch geschulten Menschen einen permanenten Schmerz beschert: Wird doch dadurch der Nationalsozialismus seiner historischen Einmaligkeit beraubt.
„Rassismus“ ist zur Totschlagvokabel hinabgesunken, ebenso wie „Faschist“, was jetzt schon nicht auf Adolf Hitler und Benito Mussolini angewendet wird, sondern auch auf Donald Trump und Viktor Orban.

Linkes Ansinnen ist erfolgreich durch die Institutionen marschiert
Wobei diese Parallelisierung beabsichtigt ist. Konservatives Gedankengut lässt sich von links leichter unterdrücken, wenn man es erst als „rechts“ framt und dann als „Nazi“ cancelt. Es geht also nicht um wissenschaftliche Objektivität, sondern darum: sich in einem kulturpolitisch heftig ausgefochtenen Meinungskampf durch sprachliche Bauerntricks diskursive Vorteile zu verschaffen.
Wir beschreiben hier ein linkes Ansinnen, das einen erfolgreichen Marsch durch die Institutionen hinter sich gebracht hat. Es gibt allerdings einen Unterschied zu der Ampelregierung:
Dass Grüne in einer Regierung, an der sie beteiligt sind, grüne Kulturkampf-Ziele in Regierungshandeln übersetzen würden, konnte niemanden überraschen. Dass Sozialdemokraten dabei mitmachten, ist nur der Ergrünung einer jüngeren SPD-Generation zu verdanken, die längst der proletarischen Welt und deren handfesten Werten entwachsen sind (man kann Sigmar Gabriel danach fragen).
Die NGO bleiben auch unter Merz an Bord
Dass aber auch Liberale dabei mitmachten, war eine Überraschung. Dass ihr Mittun am grünen Kulturkampf ein Beitrag zu ihrem parlamentarischen Ende leistete, war dann schon weniger überraschend.
Nun lassen sich Christdemokraten gleichfalls auf diese Spur ziehen. Eines der ersten Dinge, die Friedrich Merz als CDU-Verhandlungsführer auf Druck von Lars Klingbeil gleich kleinlaut wieder einsammelte, war die kritische Unions-Anfrage zu den – vorwiegend – linken NGO.
Jenen Organisatoren von „Demos gegen rechts“ – wobei die Union erst sehr spät erkannte, dass mit „rechts“ keineswegs nur die AfD gemeint war, sondern eben auch sie selbst. Die NGO bleiben nun auch unter der Kanzlerschaft von Merz an Bord dieser Regierung. Zuletzt flossen an sie 182 Millionen Steuergeld. Die Folgen für die Union lassen sich noch nicht absehen.
Merz: "Links ist vorbei"
Jedenfalls: Die CDU nährt jetzt auch noch die Schlange, die sie erwürgen will. Vielleicht ändert die Union aber auch ihr Mindset – durch einen Abschied von konservativen Restbeständen. Dann bliebe die Schlange friedlich.
Am letzten Samstag vor der Bundestagswahl hielt Friedrich Merz im Löwenbräukeller in München eine Rede. Vor dem Jubel seiner Anhänger rief er triumphierend aus: „Links ist vorbei.“ Wie heißt es nochmal im Koalitionsvertrag? „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“