Warum Frankfurts iranische Bürgermeisterin Israels Krieg gegen Mullahs gutheißt
FOCUS online: Frau Eskandari-Grünberg, Sie sind als junge Frau aus dem Iran ausgewandert. Welche Beziehungen haben Sie persönlich in das Land?
Nargess Eskandari-Grünberg: Ich lebe seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Aber die Kontakte in meine alte Heimat sind nie abgerissen. Ich habe eine starke emotionale Bindung dorthin. Meine Betroffenheit über das, was dort passiert, hat nie abgenommen. Im Gegenteil. Und im Moment ist sie besonders groß!
Warum haben Sie damals den Iran verlassen?
Eskandari-Grünberg: Ich war als junge Frau politisch aktiv in Teheran. Ich bin dort in dieser islamischen Republik zur Schule gegangen. Dann hat das Regime angefangen, alles einzuschränken. Die Frauenrechte wurden quasi abgeschafft. Scheidungen und das Sorgerecht für Frauen wurden eingeschränkt. Es war nicht mehr erlaubt, bestimmte Berufe auszuüben. Akademikerinnen wurden von der Uni verbannt. Es gab keine Meinungsfreiheit mehr. Viele Regimegegner wurden inhaftiert, manche hingerichtet. Das Regime ist eine Diktatur und autokratisch, es beruht auf Terror. Als ich wegen meiner Protesthaltung inhaftiert wurde und wieder freikam, bin ich geflohen und als Geflüchtete in Deutschland aufgenommen worden.
Nargess Eskandari-Grünberg ist ehemalige grüne Oberbürgermeisterin und jetzt Bürgermeisterin in Frankfurt. Sie wurde 1965 in Teheran geboren und wuchs dort auf. Wegen ihrer politischen Aktivitäten saß sie im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran und musste dort unter schrecklichsten Bedingungen ihre Tochter zur Welt bringen. Zu den Angriffen auf ihre Heimat hat sie eine glasklare Meinung: Das Mullah-Regime muss weg.
Wie so viele . . .
Eskandari-Grünberg: . . . ja, seitdem das Regime an der Macht ist, sind zehn Millionen Menschen geflohen. Das ist das Vierzehnfache der Einwohner und Einwohnerinnen der Stadt Frankfurt. Es sind Wissenschaftler, Akademikerinnen und solche, die aus wirtschaftlicher Not fliehen. Allein in Frankfurt lebt eine iranische Community von etwa 5000 Menschen. Jeden Samstag und Dienstag finden hier Kundgebungen statt. Die sind sehr aktiv. Das Problem ist, dass die Opposition keine homogene Gruppe ist. Es gibt Monarchisten, Republikaner, linke Gruppen. Sie eint, dass sie das Regime ablehnen, aber eigentlich müssten sie viel mehr zusammenhalten. Das Regime aber fördert die Spaltung mit Fake News und Cyberangriffen.
"Es ist kein Krieg gegen das iranische Volk, sondern gegen das Regime"
Wie beurteilen Sie die Lage jetzt?
Eskandari-Grünberg: Die Diktatur des Terror-Regimes in Teheran gibt es nicht erst seit gestern. Kurz nach der Machtübernahme der Mullahs, ich erinnere mich daran, stellten sie eine Countdown-Uhr auf, die gehen sollte, bis Israel vernichtet sein würde. Ich konnte das nicht verstehen. Vor dem Regimewechsel war Israel der Partner des Irans. Meine Familie hatte einen jüdischen Freundeskreis. Iraner und Iranerinnen fuhren gern nach Tel Aviv. Aber dann kam das Mullah-Regime mit seiner antisemitischen Überzeugung. Es unterstützte nach und nach Huthis, Hisbollah und Hamas mit Waffen. Sie müssen sich das vorstellen: Die Menschen im Iran leben in einem der reichsten Länder der Welt in prekären Verhältnissen. Das liegt daran, dass 40 Prozent des verdienten Geldes in Waffenlieferungen ins Ausland gehen.
Sie befürworten den Krieg Israels gegen den Iran?
Eskandari-Grünberg: Es ist kein Krieg von Israel gegen den Iran und gegen seine Bevölkerung, sondern es ist ein Krieg gegen das Regime. Über 100.000 Menschen sitzen im Gefängnis, 1500 Menschen sind im letzten Jahr hingerichtet worden. Das Regime hat 80 Millionen Menschen in Geiselhaft genommen. 80 Prozent sind nicht zu Wahlen gegangen. Jetzt nach den ersten Angriffen gibt es eine große Freude über den Tod der Kommandeure. Die haben das Blut unserer Kinder an den Händen.
Gleichzeitig bin ich sehr besorgt um die Menschen im Iran. Es gibt keine Bunker, keinen Schutz, kein Alarmsystem. Deshalb leiden die Menschen unter den Angriffen. Gestern bekam ich eine Nachricht aus Teheran, dass an den Stadtgrenzen Wachen patrouillieren, die von jedem, der aus der Stadt flieht, Gebühren verlangen. Selbst während der Bombardierungen gibt es Verhaftungen. Es ist eine unglaubliche Repression. Das Regime versucht angesichts des Angriffs patriotische Gefühle zu wecken. Aber der Angriff gilt ausdrücklich nicht den Bewohnern und Bewohnerinnen, sondern dem Regime, dass die Menschen knebelt.
Was passiert, wenn jetzt die USA eingreifen sollten?
Eskandari-Grünberg: Ich höre davon, dass die Menschen nachts auf den Dächern stehen und „Nieder mit dem Regime“ rufen. Ich glaube nicht, dass selbst mit Hilfe der Amerikaner von außen das Regime gestürzt werden kann. So etwas muss immer von innen kommen. Von außen können wir nur mit öffentlichem Protest unterstützen. Das Regime ist jedoch jetzt so geschwächt wie noch nie. Das gibt den den Menschen im Iran Mut, weil sie erkennen: Die Mullahs können gestürzt werden. Dennoch braucht das Volk Verbündete im Ausland.
Uns? Den Westen? Israel? Amerika?
Eskandari-Grünberg: Alle die, die wissen: Mit Verbrechern darf man keinen Deals machen. Mir tut es in der Seele weh, wenn ich dieses wirtschaftlich und kulturell so starke Land sehe, das von diesem Regime so sehr missbraucht und unterdrückt wird.
"Die Revolutionsgarde ist das Instrument der Angst"
Neben dem Militär gibt es die Revolutionsgarden im Iran, muss ich mir das wie einst die Wehrmacht und die SS vorstellen?
Eskandari-Grünberg: Das ist gar nicht so abwegig. Diese Garde wurde einzig zum Schutz des Regimes eingerichtet. Sie ist aber keine Garde, sondern eine Terrortruppe, die nichts als Angst verbreitet. Sie ist überall auf der Welt beteiligt, wenn es um Terror des Regimes geht. Sie ist es, die die Menschen im Inland inhaftiert. Sie ist das Instrument der Angst
Der Schah-Sohn, der in den USA lebt, macht als Oppositionsfigur auf sich aufmerksam. Trauen Sie ihm?
Eskandari-Grünberg: Er genießt die Zustimmung vieler Exiliranerinnen und -iraner. Die sagen sich: In der Schah-Zeit ging es uns gut. Seit das Mullah-Regimes an der Macht ist, nicht mehr. Er ist also eine starke Stimme. Er genießt Anerkennung auch aus dem Inneren des Irans. Man muss ihn ernst nehmen. Er ist die stärkste Oppositionsfigur, die wir haben. Ich hoffe, er schafft es, dass die Opposition verstärkt zusammenarbeitet.
"Irans Regime hat keine Legitimation durch das Volk"
Was können wir Deutschen tun?
Eskandari-Grünberg: Protestieren, protestieren, protestieren. Gegen das Regime im Iran. Der Opposition den Rücken stärken. 80 Millionen Menschen erwarten unsere Unterstützung für Menschenrechte, für Frauenrechte, für das Leben. Und für die Bewegung Frau – Leben – Freiheit. Es wird von Atomdeals gesprochen, aber ich finde man sollte mehr über die Lage der Menschen im Iran reden. Dieses Regime hat keine Legitimation durch das Volk.
Ich bin sehr zuversichtlich: Wenn es abgesetzt wird, kommt es zu einer demokratischen Alternative. Sehen Sie: Ich schaue jeden Morgen auf die Paulskirche, das ist die Wiege der Demokratie in Deutschland. Und danach haben die Menschen Sehnsucht. Und nach dem, was Demokratie ausmacht: Sie möchten singen, tanzen, Kunst machen, eine kurze Hose anziehen. Sie sehen auf Instagramm, wie wir leben. Sie wollen leben wie wir. In Freiheit.
"Schweigen bedeutet, sich schuldig zu machen"
Ihr Apell?
Eskandari-Grünberg: Seien wir nicht neutral. Seien wir auf der richtigen Seite. Schweigen bedeutet, sich mitschuldig zu machen.