Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter in München: Die Pop-Show der Plauderer
In der ausverkauften Münchner Isarphilharmonie zeigten die Bestseller-Autoren Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter sich als Stand-up-Comedians.
Das soll eine Lesung sein? Ganz sicher nicht. Natürlich hat niemand in der ausverkauften Isarphilharmonie an diesem Montagabend eine öde, kunstlederjackenknarzende Literatur-Leier erwartet. Dafür sind Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre schon als Typen zu schillernd. Und ihr zweiter gemeinsamer Bestseller „Kein Grund, gleich so rumzuschreien“ – eine Plauderei in Schriftform – ist ja an sich schon eine Performance zwischen Buchdeckeln. Aber das, was die Autoren hier abziehen, ist eher eine Mischung aus Impro-Theater und Stand-up-Comedy.
Der pointenversessene Zappelphilipp und der Zürcher Gemütsmensch könnten unterschiedlicher nicht sein
Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein, das macht den Reiz ihrer Zusammenarbeit und sicherlich auch ihrer Freundschaft aus. Stuckrad-Barre (50), der pointenversessene Zappelphilipp, und Suter (76), der Zürcher Gemütsmensch, betreten schon die Bühne in typischer Manier: Suter greift sich bescheiden schmunzelnd ans Herz, Stuckrad-Barre steckt die Zunge in die Backe und macht das Victory-Zeichen. Im Hintergrund Electro-Beats wie bei seinen Helden, den Pet Shop Boys. Applaus! Es ist eine Pop-Show.
„Das ist unser Tourauftakt“, verkündet Stuckrad-Barre denn auch den Zuhörern im Saal und „an den Radio-Geräten“. Denn Bayern 2 überträgt live, was an diesem Abend durchaus ein Segen ist. Suter würde gerne was auf der Mundharmonika spielen, hat aber leider kein Instrument dabei. „Spontaner Mundharmonikabedarf“, hebt der Kollege an. „Liebe Radiohörer, Sie haben eine Aufgabe.“

Dann widmen sie sich nach gut zehn Minuten auch mal dem Buch, in dem sich wieder Triviales und Tiefgang, Sisyphos und Seidenkrawatten abwechseln. Wie der Titel andeutet, wird in unserer Zeit wahrlich schon genug geschrien. Wie wohltuend ist es da, dass sich zwei unterschiedliche, aber einander wohlgesinnte Gesprächspartner über Gott und die Welt unterhalten. Wobei die beiden sich live derart oft verhaspeln, in den Zeilen verrutschen und die Dialoge mitunter so hölzern vortragen, dass allein das schon urkomisch ist.
Wer eine Lesung gerne strukturiert und scharmützelfrei hat, der ist fehl am Platz an diesem Abend
Und so ist es auch kein Problem, dass sie immer wieder ausbüxen und etwa berichten, sie hätten im selben Hotel genächtigt wie US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Sicherheitskonferenz, dessen Make-up-Utensilien noch herumgelegen seien. Beim nahe liegenden Thema Eitelkeit mutmaßt Suter, diese sei doch eigentlich nur Kompensation eigener Mängel. Worauf sein Freund schimpft: „Wir sind hier zwar bei Bayern 2, aber nicht bei 3sat. Du hast gerade meine Stelle vorgelesen, lass uns jetzt nicht intertextuell werden.“ Und Suter antwortet: „Ich dachte schon, so geschwollen rede ich doch nicht.“
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Also: Wer seine Lesung gerne strukturiert und scharmützelfrei hat, der ist fehl am Platz an diesem Abend, an dem es ein Publikumsvoting zu der Frage gibt, ob Martin Suter seine Haare gefärbt hat. An dem die acht Piercings seiner Tochter besprochen werden, während die Anwesende vom Rang herunterruft, mittlerweile seien es zwölf. An dem zwei junge Damen auf die Bühne gebeten werden, weil sie sich bei Stuckrad-Barre via Instagram gemeldet haben. Jessica hat Constanze dessen Buch „Panikherz“ auf Ebay-Kleinanzeigen verkauft. Constanze fand jedoch nur eine angebrochene Kokos-Duschcreme in der Post. Die beiden bekommen natürlich ein brandneues, signiertes „Panikherz“ vom Büchertisch.
Und dann kommt Holger aus Sendling, der tatsächlich im Radio vom Mundharmonikabedarf gehört hat. Er hat seinem Sohn dessen Instrument abgeschwatzt und überreicht es Suter, der später schauerlich-schön darauf bläst. Dann, ganz am Ende des Abends, lesen sie das Eingangskapitel des Buchs, in dem es um Schnittblumen geht, aber auch um den Tod von Suters Frau. Da merkt man wieder, dass das eben doch alles zum Leben gehört: der Schmerz, der Schabernack und die Show.