„Ich wollte nie Solistin sein“: Sabine Meyer über ihr Karriere-Ende

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„Jetzt beginnt für mich ein neues Leben, das ausgefüllt sein wird“, sagt Sabine Meyer – und denkt dabei an ihre Enkelkinder, Klavierüben und den Familienhund.  © sholzshootpeople

Am Beginn ihrer Laufbahn gab es einen Eklat. Die Berliner Philharmoniker stimmten gegen die Anstellung von Sabine Meyer, obwohl Karajan darauf bestand. Heute möchte sie nicht mehr darüber reden. Ihre Karriere überstrahlt das Skandälchen. In diesem Jahr beendet Klarinettistin Sabine Meyer ihre Karriere.

In den nächsten Monaten geben Sie eigentlich keine Solo-Konzerte. Warum „nur“ Kammermusik mit Kolleginnen und Kollegen?

Ich liebe die Kammermusik, und die Solokonzerte mit Orchester sind doch sehr anstrengend. Daher habe ich vergangenes Jahr letztmals Mozarts Klarinettenkonzert gespielt, und das im Salzburger Mozarteum! Daraufhin in Bregenz letztmals Webers Konzert. Also wird 2025 hauptsächlich schöne Kammermusik stattfinden.

Edita Gruberova hat immer gesagt, sie wolle auf jeden Fall 50 Karrierejahre hinbekommen und danach aufhören. War das bei Ihnen ähnlich?

Überhaupt nicht. Ich denke nicht so. Das waren jetzt, so glaube ich, 45 sehr schöne Jahre. Aber bei uns Bläsern ist das wie bei Sängern. Es gibt eine aufwendige Vorbereitung. Nicht nur üben und in Form bleiben: Wir müssen auch ständig Blätter fürs Mundstück schnitzen. Das fand ich immer das Schlimmste. Außerdem ist unsere Mundmuskulatur im Alter nicht mehr so flexibel und kraftvoll, Pianisten haben es da leichter. Ich finde: Man muss aufhören, wenn man sich noch wohlfühlt auf der Bühne. Und ich fühle mich toll. Jetzt beginnt für mich ein neues Leben, das ausgefüllt sein wird. Wir haben vier wunderbare Enkelkinder und uns gerade noch einen Hund angeschafft. Einen großen Biogarten gibt es auch. Das alles nimmt genug Zeit in Anspruch. Mir wird’s nicht langweilig.

Der Regisseur Peter Konwitschny hat einmal gemeint, das eigentliche Leben spiele sich für ihn auf der Probebühne und im Opernhaus ab. Eine gefährliche Haltung, oder?

So etwas kann ich von mir nicht behaupten. Außerdem bin ich, so glaube ich, sehr bodenständig. Als Musikerin gibt es viele Entbehrungen. Man muss wegfahren, auch wenn die Kinder krank sind, und man spielt auch, wenn es einem selber nicht so gut geht. Das war schon manchmal schwierig. Insofern kommt jetzt ein schöner Abschnitt.

Ist es in unserem aktuellen Musikleben leichter, ein Leben mit zwei Kindern zu managen?

Ich war immer in der unglaublich guten Situation, dass ich mir meine Konzerte aussuchen konnte. Da bin ich auch der Konzertdirektion Schmid dankbar, die mich betreut, seitdem ich Anfang 20 war. Als die Kinder kleiner waren, habe ich natürlich zurückgesteckt. Ich habe nicht mehr als 50 Konzerte gespielt, davor waren es teilweise über 100 pro Jahr. Deswegen war und ist es bestimmt viel schwerer für Musikerinnen und Musiker, wenn sie alle Angebote annehmen müssen. Aber das Kulturleben hat sich auch wahnsinnig entwickelt. Es gibt ganz andere Formate und Strukturen, und da findet man womöglich leichter seinen Platz in der jeweiligen Lebenssituation.

Sie gehören also nicht zu denjenigen, die um das Konzertleben fürchten.

Das Publikum für klassische Musik ist natürlich ziemlich alt. Aber Senioren wird es ja auch in der Zukunft geben – sogar mehr als heute. Und man muss um neues Publikum kämpfen. Man muss interessante Programme machen, und man muss das Publikum auch fordern. Und meistens war es von Unbekannterem dann begeistert. In der bildenden Kunst stehen die Leute zum Beispiel vor den Ausstellungen Schlange, um sich moderne Gemälde anzuschauen. Zur modernen Musik müssen wir sie noch locken. Neue Musik darf nicht nur in Ghettos von bestimmten Konzertreihen stattfinden.

Empfanden Sie es also auch als moralische Pflicht, mit Ihrem Promi-Namen solche Konzerte anzubieten?

Ja, und das habe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten auch durchgesetzt, wobei wir meist immer nur ein modernes Stück im Programm hatten. Aber das größte Hindernis waren immer die Veranstalter, die jegliches Risiko scheuten.

Haben Sie mit Ihrem Eintreten für die Neue Musik auch aus der Not eine Tugend gemacht? So viele Solo-Konzerte für Klarinette gibt es ja nicht.

Es sind wirklich nicht so viele, wenn ich an Entsprechendes für Klavier oder Geige denke. Ich brauchte die Moderne aber auch für mich. Ich wollte aufgeschlossen sein und bleiben, gerade durch den Kontakt mit vielen Komponisten. Manches habe ich auch abgelehnt. Ich muss das neue Stück verstehen und spielen können, das waren meine Kriterien. Viele neue Werke können nur von absoluten Spezialisten aufgeführt werden, da stimmt doch was nicht.

Wann war in Ihrer Karriere die Schwelle erreicht, ab der Sie spielen oder Veranstaltern anbieten konnten, was Sie wollten?

Ich hatte eigentlich immer das Glück, dass ich dies selbst entscheiden konnte. Das Standardrepertoire der Klarinette ist natürlich großartig mit den Werken von Mozart, Schubert, Schumann oder Brahms, aber die Mischung mit neuen oder ungewöhnliche Stücken macht es spannender. Das Mozart-Konzert konnte ich immer spielen, da war und ist so viel zu entdecken. Es spielt sich nie ab.

Inwieweit nehmen Sie Persönliches oder private Emotionen mit auf die Bühne? Oder können Sie sich beim Auftritt freimachen von alledem?

Man geht auf die Bühne und spielt einfach um sein Leben – auch wenn man vielleicht mal schlechter drauf ist. Gerade deshalb ist ja jeder Auftritt anders.

Was ist Ihr Instrument für Sie? Ein Partner? Eine verlängerte Luftsäule?

Vielleicht spiele ich gerade deshalb ein Blasinstrument, weil man mit der Luftführung wie im Gesang gestalten kann. Es ist nicht nur ein Klappendrücken. Man kann sehr viel variieren, formen und flexibel sein.

Und muss man wie beim Profi-Sänger sein Timbre, seinen Klang erst finden?

Bei uns ist unglaublich viel abhängig vom Mundstück und dem kleinen Holzblatt. Aber natürlich spielt auch bei der Klangformung das eigene Innere, das Körperliche eine Rolle. Jeder hat seinen individuellen Ton, und das ist schön.

Sie waren lange Professorin. Was war das Schwierigste, das man dem Nachwuchs beibringen musste?

Das Wichtigste für meinen Mann Reiner Wehle und mich war immer: Der Nachwuchs sollte seinen eigenen Weg finden trotz aller Schwierigkeiten. Und manchmal musste ich mehr Psychologin als Pädagogin sein. Wir haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu jedem Studierenden gehabt. Es ging nicht darum, ihnen die Stücke beizubringen, sondern ein Fundament aufzubauen. Man kann kein Hochhaus bauen, wenn das Fundament nicht stabil ist. Dazu zählen Klangempfinden oder die körperliche Haltung. Deshalb habe ich Meisterkurse nicht so gern gegeben. In dieser kurzen Zeit kann man vieles gar nicht realisieren. Viele sagten mir immer, sie brauchten noch das i-Tüpfelchen. Darauf meinte ich: Wenn das i fehlt, kann man auch kein Tüpfelchen draufsetzen.

Sie haben einmal gesagt: „Ich wollte nie Solistin werden.“ Haben Sie sich anfangs im Orchester besser geschützt und ummantelt gefühlt?

Ich wollte einfach nie Solistin sein. Ich war das auch nie, wenn ich Solo-Konzerte spielte. Für mich war das immer Kammermusik im großen Stil. Ich brauchte einen engen Kontakt zum Orchester – und zum Publikum. Wenn Orchester merken, dass der Solist wirklich mit ihnen zusammen spielen will, wird die Sache erst richtig erfüllt. Aber als Solist ist man oft allein, ich denke nur an die Stunden nach dem Auftritt oder ans Reisen. Auch da ist die Kammermusik schöner.

Sie sind recht hoch eingestiegen. Erst Mitglied des BR-Symphonieorchesters, dann der Berliner Philharmoniker. Wie schwierig war es, sich in diesen Elite-Ensembles zu behaupten?

Das musste ich nicht. Beim BR waren tolle Menschen um mich herum. Eine wahnsinnig schöne Atmosphäre. Und bitte fangen Sie jetzt nicht mit der Berliner Geschichte an.

Stört es Sie, wenn die ständig herausgekramt wird?

Ja. Karajan ist lange tot und die Geschichte auch. Das hatte mit Musik gar nichts zu tun. Sondern mit einem gestörten Verhältnis zwischen Karajan und den Philharmonikern. Das war eher etwas Politisches.

Warum dirigieren Sie eigentlich nicht wie andere Instrumentalsolisten? Man nehme nur Andreas Ottensamer, Francois Leleux oder Karl-Heinz Steffens.

Och, es ist doch gut, wenn das andere machen. Ich spielte zwar sehr gern ohne Dirigenten, weil man einen unmittelbareren Kontakt zum Orchester hat. Aber mich vorn hinstellen mit Taktstock, das muss wirklich nicht sein.

Und mit was belohnen Sie sich nach diesem letzten Karrierejahr? Mit einer Weltreise vielleicht?

Um Himmels willen. Ich will ja endlich mal nicht reisen! Ich habe jedenfalls noch nichts geplant.

Aber Sie spielen weiter im privaten Kreis Klarinette.

Vielleicht für die Enkelkinder! Ansonsten freue ich mich darauf, dass ich endlich wieder Klavier üben kann.

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