Neues Album der Pet Shop Boys: Sehnsucht in der Disco

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Bereit für die Tanzfläche: Neil Tennant (li.) und Chris Lowe haben Humor, auch wenn man‘s hier nicht sieht. Nach vier Jahren sind sie mit einem neuen Album zurück. © Alasdair McLellan

Die Pet Shop Boys sind Experten für Melancholie in der Disco. Zum 40-jährigen Jubiläum ihres ersten Hits bringen sie jetzt mit „Nonetheless“ ein besonders nostalgisches Album heraus.

Als Neil Tennant im Jahr 1985 die Musikzeitschrift „Smash Hits“ verließ, bastelten ihm die Redakteurskollegen zum Abschied ein Cover der Pop-Postille mit dem Foto seiner neuen Band darauf. Der Journalist hatte sich entschieden, die Seiten zu wechseln, ernst zu machen mit seinem Disco-Duo mit Chris Lowe. „Ein Jahr später wurde aus dem Jux Wirklichkeit – wir waren wirklich auf dem Cover von ,Smash Hits‘“, sagte Tennant kürzlich im BBC-Interview zum neuen Album „Nonetheless“, das an diesem Freitag erscheint. Immer noch ein bisschen verwundert darüber, wie populär die Pet Shop Boys in den Achtzigerjahren waren. Bis heute haben sie weltweit mehr als 100 Millionen Tonträger verkauft.

Wie John Lennon weiß auch das Elektropop-Duo: Popmusik ist ein Trojanisches Pferd

In diesem April jährt sich zum 40. Mal das Erscheinen der Debüt-Single „West End Girls“, Tennant wird im Juli 70 Jahre alt. Es ist also Zeit, zurückzublicken. Ungewöhnlich für die Briten, die sich selbst immer in den Hintergrund rückten. Auf Plattenhüllen gähnten oder unscharf fotografiert in der U-Bahn rumlungerten. Ihre knallige, melodieselige, melancholische und gleichzeitig euphorische Musik war wichtig, nicht die langweiligen Typen, die sie spielten. Wenn man so will das Gegenteil zum Megastar der Gegenwart, Taylor Swift, deren Persona zuletzt so überlebensgroß wurde, dass sie ihre Musik zu überschatten droht.

Als gelernter Musikkritiker hatte Neil Tennant stets eine Distanz zu seinem Schaffen. „Wie bin ich hierher gekommen?“, fragt er im Stück „Why am I dancing?“. Man möchte ihm zurufen: Weil die Pet Shop Boys kein schlechtes Album gemacht haben. Weiß er wahrscheinlich selber. Genauso wie er weiß, dass Popmusik ein Trojanisches Pferd ist, mit dem man den Leuten intelligente, auch mal unangenehme Inhalte unterjubeln kann. In diesem Sinne fabrizieren die Pet Shop Boys seit 40 Jahren Quietsche-Entchen mit Tiefgang.

„Nonetheless“ ist da keine Ausnahme. Allein der Titel ist typisch: „Trotzdem“. Kann alles bedeuten oder auch nichts. Weil man die Pet Shop Boys aber kennt, bezieht man diesen Trotz auf die herrschenden Zustände. Auch wenn an allen Ecken der Welt die Alarmglocken schrillen, wir tanzen. Trotzdem. Das Eröffnungsstück „Loneliness“ führt diesen Gedanken weiter. Der Erzähler kämpft sich hier zurück aus der Depression (im Video geht‘s deftig zu: Ein junger Mann entdeckt seine schwule Identität). „Where you gonna run now from Loneliness?“, fragt Tennant. Die Musik gibt die Antwort: auf die Tanzfläche, das Leben spüren, sich zu verbarrikadieren bringt nichts. Und zum Beat schwärmen die Streicher.

Nach den rein elektronischen Disco-Platten zuvor sind auf „Nonetheless“ wieder üppigere Arrangements zu hören. Das Album ist das erste des Duos mit James Ford, der bereits die Arctic Monkeys, Depeche Mode, Blur und Gorillaz produziert hat. Er hat den nicht mehr ganz jungen Buben – passend zum Jahr der Rückschau – einen nostalgischen Sound angedeihen lassen. Die Pet Shop Boys haben es immer geschafft, gleichzeitig zeitgenössisch und unverwechselbar wie sie selbst zu klingen. Diesmal nehmen sie hörbar Abschied vom Up-to-date-Sein. „A new Bohemia“ beginnt wie ein altes Beatles-Lied, während Tennant singt, dass er sich fühle wie ein Stummfilmstar im Sechzigerjahre-Hollywood: „Keiner kennt dich mehr in der Hipster-Nachbarschaft.“

Die Selbstironie ist offenkundig. Und doch schwingt hier erstmals die Frage mit, ob früher nicht manches besser war. „Where have they gone, les petits bon mots, who dances now to that sweet old Song?“, fragt Tennant mit seiner Bubenstimme, die klingt, als wäre es ewig 1984. „The Secret of Happiness“ schwelgt wie ein sommernächtlicher Lounge-Klassiker von Burt Bacharach. Und mit „The Schlager Hit Parade“ lassen sie sogar eine Ode an die deutsche happy Musik vom Stapel, die einen „Wurst and Sauerkraut“ vergessen lässt. Sie sind langjährige Wahl-Berliner.

Neil Tennant ist einer der geistreichsten Pop-Dichter unserer Zeit

Natürlich gibt es auch hier viele klassische Pet-Shop-Boys-Momente. Die Captain-Future-Fanfare, die den Refrain von „Feel“ einläutet. Die Koexistenz von Traurigkeit und Ekstase in „Why am I dancing? “ Und Tennant würde es nie zugeben – aber er ist einer der geistreichsten Pop-Dichter unserer Zeit. In „Bullet for Narcissus“ schlüpft er in die Rolle eines Personenschützers von Donald Trump. In den Strophen rechnet er mit dem Wesen seines Chefs ab, und doch würde er sich für den Narzissten eine Kugel einfangen. In „Dancing Star“ erinnert er an Ballett-Ikone Rudolf Nurejew: „Dancing Star, more Power than a Tsar“. Die Macht der Kunst übertrifft die des Zaren – man denkt unweigerlich an Wladimir Putin. Und gemeinerweise an Taylor Swift, die die Bewältigung eines Verlusts zuletzt in 31 Songs abhandelte. Man wird das Gefühl nicht los, dass Neil Tennant das in vier Zeilen schafft.

So bleiben die Pet Shop Boys bei allem Hang zur Nostalgie auch diesmal fest im Hier und Jetzt. Sie feiern das Leben. Trotzdem. Und wir feiern mit.

Das neue Pet-Shop-Boys-Album „Nonetheless“
Das neue Pet-Shop-Boys-Album „Nonetheless“. © Parlophone

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