Eine Chefin für München? Joana Mallwitz dirigiert das Akademiekonzert
Wilde Gerüchte gibt es gerade über die Bayerische Staatsoper: Warum wurden die Verträge von Serge Dorny und Vladimir Jurowski noch nicht verlängert? Ausgerechnet in dieser Situation dirigiert Senkrechtstarterin Joana Mallwitz ein Akademiekonzert.
Einatmen, ausatmen, möglichst geräuschvoll, als Stöhnen oder mit flatternden Lippen: Das ist das Einzige, was in den letzten Sekunden noch hilft. Die Tür zum Podium ist für Joana Mallwitz jetzt das Tor zur Hölle. Draußen sitzt das Orchester und ein 2000-köpfiges Publikum. Lampenfieber kann man das nicht mehr nennen, jeder würde ihr in diesen Panikmomenten zu einem anderen Beruf raten. Bloß raus hier. Zu sehen sind diese Szenen, die nichts mit Koketterie zu tun haben und dieser Dirigentin immer noch widerfahren, im Dokumentarfilm „Momentum“.
Sehr dicht, sehr unbarmherzig rückt die Kamera ihr in diesen 88 Minuten auf den Leib und schaut auch neugierig ins Privatleben. Wo sie mit ihrem Mann, dem Tenor Simon Bode, Sohn Noah aufzieht. Wo sie verzweifelt über dem vollen Terminkalender brütet. Wo sie längst zerlesene Partituren mit hektischen Bleistiftstrichen durcharbeitet. Und wo sie von ihrem Mann nach dem Berliner Debütabend auf dem Balkon des Konzerthauses innig umarmt wird, während er flüstert: Er habe während Mahlers erster Symphonie fast durchgehend geweint.
Intime Kino-Einsichten in das Leben der Dirigentin
So intim, so authentisch ist das andere Leben eines Pultstars vielleicht noch nie gezeigt worden. Und dass Joana Mallwitz dies zugelassen hat, wundert fast. Doch in vielerlei Hinsicht ist sie ein neuer Fixstern am Klassikhimmel, und das muss eben auch fürs Kino dokumentiert werden. Gerade ist sie, nach triumphalen Jahren am Staatstheater Nürnberg, als Chefdirigentin beim Konzerthausorchester Berlin angekommen. Und schon wird vom nächsten Job geraunt: Ob sie 2028 oder früher Nachfolgerin von Vladimir Jurowski und damit Generalmusikdirektorin der Bayerischen Staatsoper wird?
Ausgerechnet jetzt, wo wilde Gerüchte um die Führung des Hauses toben, wo Intendant Serge Dorny einsame Entscheidungen samt ruppigem Stil angelastet werden und Vladimir Jurowski eher weniger geliebt wird, da dirigiert Joana Mallwitz ein Akademiekonzert im Nationaltheater. Zweimal ausverkauft, tout Munich ist da. Man gehe heute „zur Mallwitz“, ist in den Foyers zu hören. 38 Jahre jung ist sie und schon eine Marke. Und eine Künstlerin, die den Werken energisch ihren Stempel aufdrückt. Wobei: In Tschaikowskys sechster Symphonie erzählt Joana Mallwitz nicht von ihren Emotionen, sondern tatsächlich vom Werk.
Straff klingt alles, auch dicht an der Grenze des noch Spielbaren, überreich in der Detailarbeit, logisch in der Tempo-Dramaturgie. Keine Larmoyanz, kaum Weltschmerz, obgleich die „Pathetique“ zum großen Gefühlsausbruch einlädt. Da ist viel Energie im Spiel des Staatsorchesters, aber eben keine Drastik, kaum Pathos. Der dritte Satz lärmt nicht als Marsch, sondern ist wirklich ein Scherzo. Mozarts „Linzer Symphonie“ davor ist viel mehr als ein Einspielstück. Bei aller Pointierung im Kleinen ist alles großbogig empfunden, organisch, nie demonstrativ. Im Trio dürfen die Bläser Verzierungen riskieren. Mancher mäkelt hinterher, die Körpersprache der Mallwitz drifte in Richtung Ballett. Doch entscheidend ist, was dabei herauskommt. Über die Bewegungen der Kollegen René Jacobs, Philippe Herreweghe oder früher Nikolaus Harnoncourt ätzt ja auch kaum einer.
Kunstminister Markus Blume verfolgt das Konzert
Vorne rechts im Parkett wird das alles von Bayerns Kunstminister Markus Blume verfolgt. Anders als sein Chef Markus Söder ist er häufiger hier. Aus Neigung, aber heute gilt es da jemanden zu begutachten. Passt also Joana Mallwitz nach München? Zweifellos, so wie an viele andere Pulte im Klassikzirkus. Zumal die gebürtige Heidelbergerin ja im Musiktheater sozialisiert wurde. Ihr Handwerk ist dementsprechend stil- und metiersicher. Und herzlicher als Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski geht sie auf der Bühne auch mit dem Staatsorchester um – was, zugegeben, nicht schwer ist.
Der ist der Mann fürs Intellektuelle und für Schlachtrösser à la „Krieg und Frieden“ und fremdelt mit Komponisten, wo er vertrauensvoll loslassen oder einfach musizieren müsste. Man denke nur an seine Mozart-, Strauß- und Strauss-Abende. Mit Serge Dorny ist er 2021 an der Staatsoper angetreten, die Entscheidung über eine Verlängerung ist (gerade angesichts langer Vorplanzeiten) überfällig. Der Intendant sagt im persönlichen Gespräch, er sei entspannt. Ersatzlösungen zeichnen sich (noch) nicht ab; Stuttgarts Intendant Viktor Schoner, früher Künstlerischer Betriebsdirektor am Münchner Haus, hat fast amüsiert abwinken lassen.
Ihr Berliner Vertrag läuft bis 2028
Also Serge Dorny mit einem neuen Gegenüber, einer Sparringspartnerin? Der Berliner Vertrag von Joana Mallwitz läuft bis 2028. Ihre bisherigen Chefpositionen in Erfurt und Nürnberg hat sie nach nur einer Vertragslaufzeit verlassen. Und: Da gibt es noch ihren Agenten, den so mächtigen wie ungeliebten Michael Lewin mit Sitz in der Wiener Schleifmühlgasse. Ohne ihn, der seine Schützlinge wie Kirill Petrenko, den früheren Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, gern offensiv platziert, lässt sich das Phänomen Mallwitz auch nicht denken.
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Neben der künstlerischen gibt es also auch eine andere Wahrheit. Dass das Berliner Konzerthausorchester kein Job auf Dauer ist im steilen Höhenflug von Joana Mallwitz, ist eigentlich fast jedem klar. „Ein bisschen ist da was dran, wenn man sagt, man soll gehen, wenn es am schönsten ist“, sagt die Dirigentin in „Momentum“, der Kino-Dokumentation. Auch „weil man gezwungen ist, sich weiterzuentwickeln“.
Der Kino-Film „Momentum“
über Joana Mallwitz läuft auf dem Münchner Dok.fest: 5.5., 18 Uhr, Deutsches Theater; 8.5., 18 Uhr, Pasinger Fabrik; 9.5., 16 Uhr, Neues Rottmann; 10.5., 20.30 Uhr, Gasteig HP 8; Karten unter www.dokfest-muenchen.de. Kinostart ist am 16. Mai.