Ein Leben mit ME/CFS
ME/CFS: Die unsichtbare Krankheit
Sie sind oft unsichtbar. Viele der Menschen, die schwerst erkrankt sind an ME/CFS, sieht man nicht, weil sie Tag und Nacht in abgedunkelten Räumen liegen, noch nicht einmal den Kontakt zu ihren Familienmitgliedern ertragen können. Aber dennoch wünschen sie sich, wahrgenommen zu werden, sie sehnen sich nach Mitgefühl, Verständnis und Rücksichtnahme. hoffen auf medizinische und politische Hilfe, die nicht kommt.
ME/CFS ist eine Krankheit, die seit vielen Jahren unter uns ist, die die Lebensqualität so stark einschränkt wie keine andere. Und die jeden treffen kann.
„Es ist, wie gefangen zu sein im eigenen Körper.“ So beschreibt Lina E. ihre Erkrankung. Laura P. erklärt, dass sie das Gefühl hatte, dass ihr Körper nicht richtig funktioniert. Die Krankheit sei Lebensverschwendung, findet Nico S.. Monika L., die Mutter von Paul, wünscht sich viel größeres Verständnis von Mitmenschen, „denn es kann jeden treffen“ (alle Namen geändert). Die persönlichen Geschichten von vier an ME/CFS Erkrankten aus dem Landkreis Dachau zeigen, wie stark ME/CFS die Lebensqualität einschränken kann, was sich die Erkrankten und ihre Angehörigen wünschen:
In einem Interview klärt eine Ärztin über Symptome, Ursache und Stand der Forschung auf.
Und hier formuliert eine Betroffene ihre Gedanken.
Der Name klingt sperrig: ME/CFS (siehe Kasten). Zu den Beschwerden zählen unter anderem Fatigue, also extreme Erschöpfung, starke Schmerzen sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Die Symptome können sich schon nach leichten körperlichen oder geistigen Aktivitäten für Tage oder auch Wochen oder länger verschlimmern. Schwer Betroffene sind in der Regel an Haus und Bett gebunden und pflegebedürftig.
Ein kurzer Überblick über ME/CFS
Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere körperliche Erkrankung. Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird ME/CFS seit 1969 als neurologische Krankheit klassifiziert. Die Krankenkassen gehen aktuell von ca. 600 000 ME/CFS-Betroffenen in Deutschland aus, mit unterschiedlichen Schweregraden natürlich. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher.
Es erkranken überwiegend noch junge Menschen. Die Erkrankung verläuft chronisch, es gibt bislang keine zugelassene Behandlung.
ME/CFS-Betroffene sind schwer krank. Ein Viertel aller Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. Über 60 Prozent werden arbeitsunfähig. Studien zufolge ist die Lebensqualität von ME/CFS-Erkrankten oft niedriger als die von Multiple Sklerose-, Schlaganfall- oder Lungenkrebspatienten.
Die Versorgungslage in Deutschland ist kritisch. Trotz Häufigkeit und Schwere wurde die Erkrankung vom Gesundheitssystem jahrzehntelang stark vernachlässigt und missverstanden: Es gibt keine zugelassene Behandlung, keine eigene medizinische Leitlinie, und ME/CFS ist nicht fester Inhalt der ärztlichen Ausbildung. Das Europäische Parlament verabschiedete 2020 eine Resolution zur Anerkennung und Erforschung von ME/CFS und beschrieb die Erkrankung als „verborgenes Problem im Gesundheitssystem“.
Informationen gibt es im Internet unter nichtgenesen.org, www.mecfs.de und fatigatio.de.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für ME/CFS / Fatigatio e.V.
Karen Breece, Regisseurin aus Dachau, und ihr Mann Tobias Schneider, Kulturamtsleiter, sind seit Anfang 2020 pflegende Angehörige eines von ME/CFS betroffenen erwachsenen Kindes. Auslöser war noch vor der Corona-Pandemie eine EBV-Infektion. Die Eltern sind beide berufstätig und drücken sich bei der Pflege die Klinke in die Hand. Der Alltag ist seit bald fünf Jahren eng getaktet. „Es gibt kein geschultes Pflegepersonal, keine Therapien oder zugelassenen Medikamente für ME/CFS, so dass man sehr auf sich allein gestellt ist.“ Die Diagnose konnte durch Professor Behrends zwar relativ rasch gestellt werden, es folgten aber herausfordernde Kämpfe etwa um Pflegegrad und Fortzahlung des Kindergeldes. Eltern, die ihre Kinder, die in vielen Fällen bereits erwachsen sind und wieder zu ihren Eltern zurückkehren müssen, zu Hause betreuen, leisten Enormes.
„Allein eine geeignete Wohnumgebung zu finden, ist ein enormer Kraftakt“, sagt Karen Breece. „Wir suchen zum Beispiel seit drei Jahren ein absolut ruhig gelegenes freistehendes Haus mit Garten zur Miete“, so Tobias Schneider. „Alles andere funktioniert auf Dauer nicht.“ Plötzliche Geräusche wie Baustellenlärm, Bohrmaschine, Laubbläser, laute Musik, Partys und Bässe – all das kann bei ME/CFS-Betroffenen unerträgliche Überreaktionen des autonomen Nervensystems und starke Fatigue auslösen. „Das ist irgendwann für alle Beteiligten unzumutbar.“
Auch in der Ärzteschaft gibt es noch viel Unwissenheit und Mythen über ME/CFS, da die Erkrankung bisher nicht in den Lehrplänen des Medizinstudiums vorkommt. In der Neurologie wurde in Deutschland lange Zeit eine psychosomatische Ursache behauptet und mit Aktivierungstherapie gearbeitet – ein Kardinalfehler, der in der Regel zu einer massiven Verschlechterung des Zustandes der Betroffenen führt. „Doch langsam setzen sich auch hierzulande die internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisse durch“, berichtet Breece. Grundsätzlich geht es aber immer wieder darum, an Ärztinnen und Ärzte, aber auch an die Versorgungsämter und medizinischen Dienste zu appellieren, die Betroffenen und die Krankheit ernst zu nehmen. „Fehldiagnosen, Fehlbehandlungen, die zu noch mehr Leid führen, und stigmatisierendes Verhalten wie Gaslighting in Arztpraxen oder seitens der Behörden müssen ein Ende haben“, fordert Breece. „Wir sind sehr froh darüber, dass der Kontakt zu unserer Pflegeberatung so professionell ist und sie sich in die Problematik des Krankheitsbildes vertiefen.“
Es muss laut Breece politischer Wille sein, „dass die Aufmerksamkeit für diese Krankheit endlich erhöht wird“. Dass die von der Ampelregierung versprochenen Forschungsanstrengungen und Forschungsgelder endlich fließen. „Die Pandemie hat uns doch gezeigt, wie schnell sich ein Impfstoff entwickeln lässt, wenn der politische Wille da ist“, sagt Tobias Schneider. Der scheint bei ME/CFS noch zu fehlen.
„Seit fünf, sechs Jahren“ kämpft Bernhard Seidenath, CSU-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, dafür, dass die Forschung vorangetrieben und vernetzt werde. Denn es sei klar: „Wir wissen zu wenig über diese Krankheit“, sagt Bernhard Seidenath. Immerhin habe der Freistaat eine Studie mit einem Medikament gefördert und dafür 1,6 Millionen Euro bereitgestellt, in die Forschung flossen rund 800 000 Euro. Zum anderen sei für die soziale Betreuung der Betroffenen und der Angehörigen in Augsburg eine Anlaufstelle eingerichtet worden.
„Wie wir mit dieser Krankheit umgehen, zeigt, wo wir als Gesellschaft stehen. Ob wir empathisch sind oder nur vorgeben es zu sein“, so Breece. Die Regisseurin und ihr Mann berichten, dass sich ihr Freundes- und Bekanntenkreis nach fast fünf Jahren mit ME/CFS ausgedünnt habe. Sie haben großes Verständnis dafür, dass die meisten Menschen nicht annähernd nachvollziehen können, was es bedeutet, dauerhaft in einem solchen Ausnahmezustand zu leben. „Aber respektvoll im Umgang kann jeder sein.“ Sie freuen sich, wenn Menschen sie ansprechen, Anteil nehmen, sich informieren wollen. „Das zeigt uns, dass es sehr viele Menschen gibt, die eigentlich schon verstehen wollen. Zu wissen, dass wir damit nicht allein sind, gibt uns ein gutes Gefühl.“Ei
Ein Kommentar zum Thema ME/CFS.
Wünsche von ME/CFS-Betroffenen, die man erfüllen kann
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