Gefangen im eigenen Körper
Die schlimmste Zeit in ihrem Leben hat Laura P. (Abkürzung des Nachnamens geändert) im Keller verbracht. In einem Bett, dunkel, keine Geräusche, Flüssignahrung, zur Toilette krabbelnd. „Ich hatte die krankesten Schmerzen.“ Jetzt, knapp zwei Jahre nach dieser Zeit, kennt sie ihren Körper besser. Sie teilt sich ihre wenige Energie ein. Sie hält durch in der Hoffnung auf Heilung.
Die schlimmste Zeit in ihrem Leben hat Laura P. (Abkürzung des Nachnamens geändert) im Keller verbracht. In einem Bett, dunkel, keine Geräusche, Flüssignahrung, zur Toilette krabbelnd. „Ich hatte die krankesten Schmerzen.“ Jetzt, knapp zwei Jahre nach dieser Zeit, kennt sie ihren Körper besser. Sie teilt sich ihre wenige Energie ein. Sie hält durch in der Hoffnung auf Heilung.
Laura P., 29 Jahre alt, Laboratoriumsassistentin, war technische Leiterin einer Abteilung im MLL Münchner Leukämielabor, Großhadern. 2021 arbeitete sie im Sommer auf einer Alm in den Bergen. „Das war mein Traum.“ Sie beschloss, auch im Winter dort in der Gastronomie auszuhelfen. Im Januar 2022 erkrankte sie an Corona. Nach einigen Tagen mit Ohrenschmerzen, Müdigkeit und Atemnot in ihrer Wohnung im Tal dachte sie, sie hätte die Krankheit überstanden. Wieder oben auf der Hütte wurde sie ohnmächtig, hatte rasende Kopfschmerzen. Eine Ärztin empfahl ihr, vorerst im Tal zu bleiben, die Höhenluft sei nicht gut. Laura P. fuhr nach Hause zu ihren Eltern nach Weichs, für zwei Wochen, dachte sie. Sie kehrte nie mehr auf die Hütte zurück.
Monatelang blieb sie bei ihren Eltern, hatte immer wieder Infekte, sie, die früher nie länger als fünf Tage krank war. Chronische Nasennebenhöhlenentzündung, Hals- und Ohrenschmerzen, Herzklopfen. „Ich wollte in ein Long-Covid -Programm, aber mein Hausarzt hat das abgelehnt.“
Dann wurde es ein bisschen besser. Sie kehrte zurück in ihre Münchner Wohnung. Aber zurück in ihren alten Job, „das war mir zu anstrengend“. Sie bewarb sich bei den Barmherzigen Brüdern in der Kardiologie, „keine besonders anspruchsvolle Aufgabe für mich“. Eines Tages kam sie die Treppen nicht mehr hoch. „Ich dachte, meine Kondition ist so schlecht.“ Doch nach einem Acht-Stunden-Arbeitstag war sie einfach nur erledigt und extrem erschöpft. Weitere Arztbesuche folgten, Blut wurde abgenommen, ohne Befund. Die nächste Diagnose lautete dann: die Psyche. „Aber nein, das war es nicht. Ich hatte einfach das Gefühl, dass mein Körper nicht richtig funktioniert.“
Nach einem Arbeitstag dann der erste Crash* (Erklärung der Begriffe siehe Randspalte). „Ich bin in dieser Nacht zweimal ohnmächtig geworden, hab so geschwitzt. Ich saß auf dem Boden und wusste, ich muss ins Krankenhaus.“ Ihr Vater fuhr sie hin und holte sie am nächsten Tag wieder ab. „Laura kam im Rollstuhl wieder nach Hause.“ Doch ohne Befund. Hormonspezialist, HNO-Spezialist, Orthopäde, Physio, Osteopathie, Spezialheilpraktikerin, Tropeninstitut. Eine Ärztin dort äußerte erstmals den Verdacht: ME/CFS.
Zu dem Zeitpunkt, Ende 2022, konnte Laura P. keine Strecken mehr zu Fuß zurücklegen, sie fuhr immer Fahrrad. Ein weiterer Arztbesuch bei einem Internisten in München brachte mehr Klarheit: „Der Arzt sagte zu mir, ich muss Energie sparen. Mit dem Bus fahren, mich hinsetzen.“ Nicht mehr in die Berge, keinen Sport mehr machen, „ich soll ins Museum gehen“.
Weihnachten 2023 war eine Katastrophe, „mir war alles zu viel“. Laura P. steuerte auf ihren nächsten Crash zu, im Februar 2023. Sie bezog das dunkle Zimmer im Keller im Haus ihrer Eltern, Tage, Wochen, Monate voller Schmerzen am ganzen Körper, Nervenschmerzen, Muskelschmerzen, „ich war sensibel auf Bettwäsche, auf Geruch, auf Helligkeit, auf Geräusche“. Sie vertrug nicht die Berührung der Brille, der Bettwäsche, der Schlafanzug durfte nur superweich sein. Sie konnte sich im Bett noch nicht mal umdrehen, nichts Festes essen, nur Vanillepudding und Mandelmus. Nicht lesen, kein Hörspiel hören, kein Buch lesen, einfach nur im Bett liegen. Und der Brainfog*, „Laura wusste keine Tageszeit, keinen Monat mehr, konnte sich nichts merken“, sagt ihre Mutter. Der Arzt machte Laura klar, dass sie gar nichts mehr machen durfte. Ihr Vater baute in den Keller eine Toilette. Einmal die Woche wurde sie gebadet. Dazu kam, dass Laura P. die Anwesenheit von anderen Personen im Raum nicht vertrug, „bis heute halte ich manchmal Nähe nicht aus“. Laura spürt die Gefühle der anderen Menschen, „das halte ich nicht aus“. Von Zeit zu Zeit habe sie sich in eine einsame Waldhütte gewünscht.
„Die Zeit, als es mir so schlecht ging, das war wie ein Nahtod-Erlebnis“, sagt Laura P. heute. „Ich hatte so eine Ruhe in mir.“ Lauras Mutter ergänzt: „Ich hatte Angst, sie stirbt im Keller.“ Ein Arzt kam und hat Hausbesuche gemacht, legte Infusionen, probierte vieles aus, war offen, hörte zu, hat sich gekümmert, „er war unsere Rettung von medizinscher Seite her“.
„Es war auch schwierig für uns, wie wir uns richtig verhalten sollen“, sagt ihre Mutter. Inzwischen ist es besser geworden, aber vieles hat sich bis heute nicht verändert. „Wir haben halt alles optimiert.“ Keiner packt die Papiertüte vom Bäcker aus, „das Rascheln war die größte Katastrophe“. Die Mikrowelle, der Ofen, die Kaffeemaschine, alles zu laut, keine Musik mehr, leise reden, nur eine Person auf einmal. Kein Besuch mehr. Mutter und Vater gehen morgens aus dem Haus in die Arbeit – und Laura P. hat ihre ersehnte Ruhe.
Inzwischen kann Laura P. „gut haushalten“, wie sie sagt. Sie kann wieder die Treppen hochgehen, weiß, wie viel sie verträgt. Entweder ein Spaziergang oder eine E-Mail – beides an einem Tag funktioniert nicht. Sie hat Kapazität, sich 30 Minuten lang zu konzentrieren – wenn es ein guter Tag ist. Wenn sie weiß, dass sie einen Termin hat, bei dem sie sich kognitiv anstrengen muss, dann macht sie am Tag davor und danach nicht viel.
Und dabei hätte sie so viele Ideen, Therapieansätze für ihre Krankheit. Aufgrund ihres großen medizinischen Wissens kann sie den Ärzten wichtige Hinweise liefern. Zum Beispiel bemerkte sie, dass sie nach einer Vollnarkose, die aufgrund einer eiligen Operation notwendig war, normal denken konnte, für wenige Tage, „ich konnte ein Buch lesen!“ Laura P. freute sich so sehr. Denn über ein Jahr lang konnte sie noch nicht mal eine Whatsapp-Nachricht lesen. Sie versuchte daraufhin, die Ärzte zu überzeugen, verschiedene Wirkstoffe im Kampf gegen die ME/CFS zu testen. „Bei allen Ideen, die ich habe, muss ich die Ärzte überzeugen, dass sie das so sehen wie ich.“ Und dann sagen die meisten, dass sie sich erst informieren müssen. „Und ich muss immer wieder E-Mails schreiben und nachfragen.“
Um die E-Mails und Anliegen kümmern sich die beiden Geschwister der 29-Jährigen. Einmal die Woche besprechen sich die Geschwister und die Eltern online, dann kriegt jeder eine To-do-Liste. Die Schwester schreibt E-Mails, der Bruder erledigt andere Dinge, Anträge werden gestellt. Mit Ärzten hat die Familie P. regen Kontakt: ein Arzt aus einer Münchner Praxis, der sich mit ME/CFS auskennt, aber leider nichts verschreiben darf, „den hab ich nur, um Inspiration, Ideen auszutauschen, und weil er so viel Erfahrung hat“, erklärt Laura P.. Die Neurologin, die Laura P. klar machte, dass sie so wenig wie möglich macht, damit sie keinen Crash mehr hat.
Mit Freunden konnte Laura P. keinen Kontakt mehr halten. „Mir waren die am liebsten, die mich in Ruhe gelassen haben.“ Natürlich schmerze es zu sehen, wie Freundinnen heiraten, Kinder bekommen, an solchen emotionalen Momenten nicht teilhaben zu können. „Und die Oma hat Laura seit Jahren nicht gesehen, weil sie nicht in der Nähe ist“, sagt die Mutter traurig.
Verwandte und Freunde können nicht zu Familie P. nach Hause kommen. „Sonst wäre der Tag gelaufen.“ Das Sozialleben ist komplett gekappt. Man versucht am Anfang immer noch, zu erklären, sagt Laura P.. „Aber ständig habe ich das Gefühl, dass ich mich rechtfertigen muss. Warum ich manchmal den Rollstuhl benütze und manchmal zu Fuß gehe. Weil ich mir die Energie einteilen muss!“ Laura P. wünscht sich, sich nicht mehr rechtfertigen zu müssen. Vor Nachbarn, Ärzten, Bekannten. Denn das Schlimmste ist: „Mir geht es schlecht, und keiner glaubt es.“
Lauras Mutter wünscht sich, dass die Hürden für Anträge geringer werden, dass von politischer Seite mehr Geld zur Verfügung gestellt wird, damit die Forschung nicht auf der Strecke bleibt. Und sie hat noch einen Wunsch: Laura möchte seit Längerem schon eine Therapie machen, die auf einen ähnlichen Wirkmechanismus basiert wie die Narkosen, die damals schon eine Verbesserung auslöste. „Leider werden diese nicht von der Krankenkasse bezahlt, und wir müssten sie selbst übernehmen.“
Die Zeit, als es mir so schlecht ging, das war wie ein Nahtod-Erlebnis.
Laura wusste keine Tageszeit, keinen Monat mehr, konnte sich nichts merken.
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