Ein Leben im Schatten der Gesellschaft

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Dachau
  4. Dachau

Kommentare

Auf der Suche nach einer geeigneten Wohnung: N. (35) aus Dachau. © privat

Ein Dachauer erkrankte vor 20 Jahren an ME/CFS. Seitdem verschlechtert sich sein Zustand schleichend.

N. (Name der Redaktion bekannt) war 14, als er an Pfeifferschem Drüsenfieber erkrankte. Seitdem, also seit 20 Jahren, wurde er nie mehr richtig gesund. „Wie ein Akku, den man nicht mehr aufladen kann“, sagt seine Mutter. Von Jahr zu Jahr verschlechterte sich der Zustand von N.. Extreme Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, der Erschöpfungsgrad, alles verstärkte sich mehr und mehr. Heute ist N. 35 Jahre alt. Bei dem Gespräch kann er selbst nicht dabei sein, dafür ist er zu schwach.

Es ist ein schleichender Prozess, sagt seine Mutter. Der Dachauer absolvierte die Realschule, ging auf die FOS, studierte Gebäudetechnik. „Mit der Kraft, die er noch hatte, hat er die Ausbildung gemacht. Aber er hatte keine Kraft mehr, um Freunde zu treffen, das andere Leben.“ Brainfog und Erschöpfungszustände zwangen ihn schließlich dazu, sein Studium aufzugeben. Er erhielt einen Langzeitstudienplatz für Soziale Arbeit, arbeitete nebenbei im Laden des Franziskuswerks.

Eine Diagnose hat der junge Mann zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Wir waren bei verschiedenen Ärzten, Heilpraktikern.“ Schließlich recherchierte N. selbst und kam so auf ME/CFS. All seine Beschwerden wurden mit den Jahren immer ausgeprägter. Sogar seine Augen verkrampften sich, Brainfog und Gelenkschmerzen nahmen zu, dazu kam mentaler Stress. Geräusche jeglicher Art, Helligkeit, sämtliche Reize belasten bis heute sein Nervensystem, auch soziale Kontakte. Familientreffen fanden ohne ihn statt, es gab keine Geburtstagsfeier mehr, Freunde sind abgesprungen, sein Sozialleben stagniert. „Er hat keine Energie mehr, sich zu engagieren und zu melden.“

Viele haben nicht verstanden, was mit ihm los ist. „Er hat es immer wieder erklärt, aber es ist für viele schwer, das Verständnis aufzubringen.“ N. habe auch Freundinnen gehabt, berichtet seine Mutter, aber manche haben sich aufgrund der Erkrankung zurückgezogen. Auch für N. sei es anstrengend, eine Beziehung aufrechtzuerhalten. Seit der Corona-Pandemie und damit Long Covid ist auch ME/CFS wieder mehr ins Gespräch gekommen. Dennoch: Es mangelt an Anerkennung, ärztlicher Versorgung, Akzeptanz und Forschung, sagt N.s Mutter.

Zur Zeit kämpft die Mutter dafür, dass N.s Zukunft gesichert ist. „Denn mein Mann und ich gehen bald in Rente.“ Das Jobcenter überprüfte, ob N. arbeiten könne. Die Hausärztin erklärte, dass er arbeitsunfähig ist. Für den Bezug von Bürgergeld war jedoch ein fachärztliches Gutachten notwendig. Tatsächlich war es für ihn schwierig, einen geeigneten Facharzt finden. „Das Krankheitsbild von N. fällt durchs Raster.“ Die Kinderklinik Schwabing, an der Professor Dr. Uta Behrends zu ME/CFS forscht, nimmt nur Patienten bis zu einer Altersgrenze. Die Berliner Charité oder ein Klinikum in Erlangen haben ein begrenztes Einzugsgebiet beziehungsweise Aufnahmestopp. Viele andere Ärzte, Hausärzte, Internisten seien oft überfordert mit dem Krankheitsbild, sagt seine Mutter. So wandte sich die Familie an den Vorsitzenden des Ausschusses für Gesundheit und Pflege im Bayerischen Landtag, Bernhard Seidenath. Durch seinen Hinweis wurde ein Kontakt zur Uni-Klinik Augsburg hergestellt. Anfang April 2024 wurde N. dann zwei Stunden online der Krankheitsverlauf abgefragt und diagnostiziert. „Es war unglaublich anstrengend für ihn, danach hatte er einen Crash.“

Den ganzen Sommer konnte N. nichts machen. Seine Mutter bringt ihm nun alle zwei Wochen Lebensmittel und Einkäufe, viel Tiefgefrorenes, vorbei, oft gehen die beiden dann eine Runde spazieren. Doch vergangenen Sommer nicht. „Erst im Spätsommer haben wir wieder einen Spaziergang gemacht.“

Eine Therapie gibt es nicht. „Nur Pacing: sich die Energie einteilen.“ Die Prognose für N. laut der Ärzte: „nicht einzuschätzen, die Symptome können eventuell nur über einen langen Zeitraum verbessert werden“.

Eine große Belastung stellt für N. seine Wohnsituation dar. Er wohnt in einem Ein-Zimmer-Appartement in Dachau, allerdings „hat er kein gutes Leben dort“, wie seine Mutter sagt. Die Wohnung ist sehr hellhörig, die Straße ist laut, er hört die Nachbarn. „Er bräuchte eine Wohnung, die einen normalen Schallschutz hat.“ Er hätte schon eine gehabt, in einer Seniorenwohnanlage. Die Notwendigkeit des Umzuges wurde zwar anerkannt, jedoch lag die Miete über der Angemessenheitsgrenze, die Kostenübernahme wurde abgelehnt. Also suchen seine Eltern weiter eine Wohnung in einem ruhigen Umfeld, mit Fenster oder Lüftung in der Küche.

N. kriegt jetzt Bürgergeld – was ihn auch stigmatisiert. Er geht nicht arbeiten - was weiter dazu beiträgt. „Die Leute, die das mitkriegen, bilden sich schnell eine Meinung – nachdem sich viele auch nicht vorstellen können, wie das ist, so krank zu sein.“

N. bemerkte auch beim Kontakt mit anderen Menschen immer unsozialeres Verhalten, erlebt viele Enttäuschungen. „Das tut ihm sehr weh.“ Nur seine Eltern, seine Schwester und ein paar wenige Freunde sind ihm noch geblieben. „Aber die Krankheit ist eine enorme Belastung, auch für uns alle.“ N. sagte einmal, es sei eine Lebensverschwendung. „Er hätte so viel Potenzial, Interessen, er würde so gerne arbeiten, etwas entwickeln.“ In der Selbsthilfegruppe habe er schon einige Kontakte. Jedoch sei das auch mental für ihn sehr belastend: junge Menschen, die nur im Bett liegen können, manche verzweifeln.

„Ein Leben ist das nicht“, sagt N.s Mutter. „Es wird einem das Leben genommen, und keiner hilft einem.“ Man fühle sich hilflos und alleingelassen, gerade jetzt mit der Wohnungssuche. „Vor zwei Jahren haben wir uns um eine Wohnung beworben, aber als wir gesagt haben, dass N. ME/CFS hat, haben die Vermieter uns mitgeteilt, dass sie so jemanden nicht in ihrem Haus haben wollen.“ Man sei sozial stigmatisiert, es ist ein Leben im Schatten der Gesellschaft.

Daher setzen N.s Eltern auf Aufklärung. Sie erzählen Freunden, Bekannten, Kollegen von der Erkrankung. „Ich wünsche mir mehr Mitgefühl, soziale Akzeptanz und Verständnis.“ Ihr Sohn würde sich ein würdiges Leben wünschen.

Weihnachten feiert die Familie zusammen. Die Tage vorher schont sich N., damit er Kraft hat für ein paar Stunden mit seiner Familie. „Aber er zieht sich dann immer schnell zurück.“

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion