In kleinen Schritten geht es wieder aufwärts
Die Geschichte von Lina E. macht Mut: Nach 20 Jahren mit ME/CFS und voller Schmerzen fühlt sie sich besser.
Lina E. (37) hat ein großes Ziel: Sie will nächstes Jahr gerne auf die Kampenwand gehen. Knappe 1700 Meter hoch, über Forstwege zum Gipfel – klingt nicht dramatisch für jemanden, der schon 3000er gemacht hat. Aber das ist einige Jahre her. Jahre, in denen das Energielevel der jungen Frau geschwunden ist, extreme Fatigue, Schmerzen ihr Leben bestimmt haben. Seit knapp 20 Jahren ist die 37-Jährige, die an der Landkreisgrenze wohnt, an ME/CFS erkrankt. Doch langsam geht es wieder bergauf.
Alles begann 2005 mit dem Epstein-Barr-Virus. Lina E. war 18 Jahre alt, hatte ihre Ausbildung als Reiseverkehrsfrau absolviert. Das Pfeiffersche Drüsenfieber verursachte bei ihr in den folgenden Jahren wechselnde Symptomatiken, „in Wellen, die immer kürzer wurden“, erklärt sie. In Urlauben war sie extrem erschöpft, schlief viel. Die Energie nahm stetig ab: Im Jahr 2018 hörte sie schließlich auf mit dem Klettern, ihrer liebsten Sportart, das letzte Mal Laufen ging sie im Mai 2020. „Ich musste damals vor und nach jeder Aktivität immer schlafen.“ Sie war Geschäftsführerin der Firma, die sie von ihren Eltern übernommen hatte. Dann kam ein Zusammenbruch: mit Schmerzen im Unterleib, „so als hätte mir jemand zwei Messer reingerammt“. Der Darm hörte auf zu arbeiten, dazu kamen Muskel- und Nervenschmerzen, Brainfog, Lichtempfindlichkeit, Durchblutungsstörungen. Auf der Notaufnahme im Krankenhaus fühlte sie sich nicht ernst genommen, die Ärzte dort und weitere Ärzte tippten auf Burnout.
„Ich habe immer gesagt, dass ich keine Depression habe!“ Sie sei mental offen und stark, habe eine tolle Familie, eine tolle Partnerschaft, einen super Freundeskreis, einen Hund. „Es ist, als ob man gefangen wäre im eigenen Körper, aber mental möchte man unbedingt alles machen!“ Mit dem Hund spazieren gehen: „Das war ein Alptraum!“ In der Firma übernahm wieder ihr Vater. Bei lauteren Geräuschen oder einem Knall, beispielsweise bei einer zersprungenen Flasche, bekam sie einen Tinnitus, ihr Nervensystem drehte durch und legte sie tagelang lahm.
Lina E. ging von Arzt zu Arzt, von Heilpraktiker zu Heilpraktiker. „Stehen konnte ich damals keine drei Minuten am Stück.“ Und: „Ein Arzttermin hat mich eine Woche lang ausgeknockt.“ Obendrein konnte ihr niemand helfen. Daher auch ihr Wunsch, für sich und andere Erkrankte: dass die Schulmediziner besser aufgeklärt werden über ME/CFS und die Patienten ernst nehmen . „Immerhin haben 90 Prozent der Menschen das EBV-Virus in sich, bei manchen bricht er aus, bei manchen nicht.“
Durch viel Recherche kam sie auf ME/CFS. Bei Heilpraktikern fand sie schließlich Rat. Für die Kosten musste sie natürlich selbst aufkommen, „ich hatte finanziell zum Glück gut vorgesorgt“.
Seitdem schwört Lina E. zum einen auf eine Magnetmatte. „Sie bewirkt unter anderem, dass Stoffwechselprozesse in allen Körperzellen beschleunigt werden und die Durchblutung gefördert wird“, erklärt sie. Morgens legt sie sich 15 bis 20 Minuten darauf. Dazu kommt eine Ernährungsumstellung nach Antony William, „die entgiftet, hilft mir wahnsinnig bei meinen Darmproblemen und verringert viele meiner Beschwerden“. Seit drei Jahren lebt sie danach, langsam wird es immer besser. Von Zeit zu Zeit hat sie immer noch Brainfog, vor allem nach Anstrengung, „ich spüre und reagiere auf vieles extrem und bin extrem feinfühlig mit meinem Körper“.
Aber es geht aufwärts. Vor zwei Jahren startete sie wieder in ihren Beruf, mit langsamer Wiedereingliederung. Sie habe nun einen Geschäftsführer eingestellt, arbeitet im Hintergrund mit, rund vier Stunden am Tag. „Ich hoffe, dass meine Konzentration noch besser wird.“ Vor wenigen Jahren konnte sie keine 300 Meter gehen – und diesen September spazierte sie 6,5 Kilometer mit ihrem Hund. „Ich habe geweint vor Freude!“ Lina E. muss weiterhin mit ihrer Energie haushalten, viel schlafen und Pausen einplanen, „ich will keinen Crash mehr riskieren“. Ihr ist bewusst, dass die Krankheit sie vermutlich ihr Leben lang beschäftigt. „Ich hätte auch gerne Kinder, aber ich frage mich: Was macht das mit meinem Körper? Schaffe ich eine normale Geburt? Und kann ich mich um ein Kind kümmern?“
Insgesamt fühlt sich Lina E. stabiler. „Ich bin sehr froh, dass ich so weit gekommen bin.“ Und wenn sie die Kampenwand schafft nächstes Jahr, das wäre ein „Meilenstein“!
Ich hätte gerne Kinder, aber ich frage mich: Was macht das mit meinem Körper?
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