Energiesektor wird „völlig umgekrempelt“: Wie sich laut Experte die Strompreislage in Zukunft verändern könnte

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Die laufende Umstrukturierung des Energiesektors könnte künftig zu günstigeren Strompreisen führen. Energieexperte Ralf Walther erklärt, wie sich der Energiesektor wandelt und warum Preiszonensplitting kein „Allheilmittel“ ist.

Berlin – Die Strompreise sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das hängt unter anderem mit den Netzentgeltgebühren zusammen, die rund 27 Prozent des Strompreises ausmachen. Diese Gebühren werden von den Netzbetreibern erhoben für die Nutzung des Stromnetzes.

Besonders ausgeprägt sind dabei die Preisunterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland. Einige Energieökonomen schlagen daher ein Preiszonensplitting vor, bei dem Deutschland in mehrere regionale Stromzonen unterteilt wird, um vor allem Verbraucher in Nord- und Ostdeutschland zu entlasten. Energieexperte Ralf Walther des Ökostromanbieters Tibber rät jedoch vorerst zu Geduld. Eine mögliche Preiserholung sei in naher Zukunft in Sicht. Im Interview mit Ippen Media erzählt er, wie sich der Energiesektor bereits im Umbruch befindet und das Preiszonensplitting kein „Allheilmittel“ ist.

Strompreise
Bei den Strompreisen in der Grundversorgung gibt es große regionale Unterschiede. (Symbolbild) © Julian Stratenschulte/dpa

Netzentgelt für höhere Strompreise im Osten Deutschlands verantwortlich

Die hohen Energiepreise belasten die Verbraucher. Um die 1500 Euro mehr zahlt ein Drei-Personen-Haushalt im Vergleich zum Jahr 2021, wie eine Auswertung des Vergleichsportal Verivox zeigt. Darunter fallen auch die gestiegenen Strompreise. So kostete laut Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) noch ein Kilowattstunde (kWh) Strom 2021 rund 32 ct pro kWh. Im Jahr 2023 waren es bereits 45,7 ct pro kWh. In diesem Jahr hat sich der Preis wieder leicht erholt auf 42,22 ct pro kWh. Für Neukunden fallen die Preise weitaus niedriger aus, mit 27 ct pro kWh, so Verivox.

Der Strompreis hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: 44 Prozent des Preises entfallen an den Stromanbieter, 28 Prozent fallen an Steuern, Abgaben und Umlagen an und 27 Prozent machen das Netzentgelt aus. Teuer wird es dabei vor allem in Ostdeutschland – die Stromkosten fallen dort etwa drei Prozent höher aus als im Westen. Dafür primär verantwortlich sind die Netzentgelte, erklärt Ralf Walther, Produkt-Markt-Fit- und Strategie-Verantwortlicher des Ökostromanbieters Tibber. Walther arbeitet seit 15 Jahren in der Energiewirtschaft. Nach verschiedenen Stationen auf dem Energiemarkt arbeitet er mittlerweile für Tibber, weil für ihn hier Nachhaltigkeit und Wachstum zusammenfließen und Vision und Geschäftsmodell kohärent sind.

Energiesektor wird „völlig umgekrempelt“ – Netzkapazitäten reichen nicht aus

Laut Walther fallen die regionalen Netzentgelte besonders dort höher aus, wo erneuerbare Energien wie Windparks entstehen, was vor allem in Ost- und Norddeutschland der Fall ist. Dies liegt an der Struktur des deutschen Energienetzes, das in wenige große Übertragungsnetze und zahlreiche Verteilnetze unterteilt ist. Früher wurden Kraftwerke nah an den Verbrauchern gebaut, und das Netz wurde von den großen Übertragungsnetzen zu den kleineren Verteilnetzen organisiert, die den Strom dann an die Verbraucher weiter geben. Also „von oben nach unten“, beschreibt es Walther. Insgesamt vier große Übertragungsnetzbetreiber und etwa 900 Verteilnetzbetreiber gibt es laut der EnBW in Deutschland.

Durch den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien wurde das Energiesystem seit gut 15 Jahren „völlig umgekrempelt“. Erneuerbare Energie wurde ohne Rücksicht auf die bestehende Netzstruktur und die Kapazitäten der Verteilnetze ausgebaut. „Was jetzt passiert ist, dass man im Grunde in manchen Zeiten die Netzkapazität einfach nicht mehr ausreicht“, erklärt Walther. Der grüne Strom aus Norddeutschland kann daher nicht nach Süddeutschland transportiert werden, weil die Netzkapazität nicht ausreicht. Zudem kommen beim Ausbau von Windparks Infrastrukturkosten hinzu, die die Strompreise im Osten Deutschlands nach oben drücken. Seit 2023 wird zwar das Übertragungsnetzgeld bundesweit auf alle Verbraucher verteilt, die Verteilnetzgebühren bleiben jedoch regional erhalten.

Energieexperte prognostiziert Erholung der Strompreise in wenigen Jahren

Die regionale Strompreisdifferenz soll sich jedoch im nächsten Jahr ändern. Die Bundesnetzagentur in Bonn veröffentlichte am 30. August eine Regelung, die Regionen mit hoher erneuerbarer Energieerzeugung entlasten soll. Dennoch fügt Walther an: „Wir werden sicherlich noch eine gewisse Phase erleben, in denen die Netzentgelte noch steigen werden, was einfach den Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Produktionskapazitäten geschuldet ist. Das müssen wir tun, um über den Berg zu kommen.“ Auch für 2024 gab es erhöhte Netzentgelte, da die Bundesregierung eine geplante Subvention von 5,5 Milliarden Euro streichen musste. Langfristig sieht Walther jedoch eine Erholung der Preise in Sicht.

„Es waren viele Diskussionen, um überhaupt erstmal in den Ausbau des Übertragungsnetzes reinzukommen. Die fünf Projekte befinden sich jetzt in der Konstruktionsphase“, erklärt er. Der Ausbau der Übertragungsnetze benötigt alleine drei bis sechs Jahre Planungs- und Genehmigungsphase. Walther sieht die aktuell im Bau befindlichen Projekte im Jahr 2027 oder 2028 abgeschlossen, wovon er sich positive Auswirkungen auf die Kosten für den Redispatch - also das Hochfahren eines und das Herunterfahren eines anderen Kraftwerks - erhofft.

Preiszonensplitting ist kein „Allheilmittel“ – darum machen mehrere Gebotszonen aktuell keinen Sinn

Dennoch warnt Walther in diesem Kontext vor voreiligen Schlüssen. Das viel diskutierte Preiszonensplitting, das die deutsche Strom-Gebotszone in mehrere regionale Gebotszonen teilen soll, sei kein „Allheilmittel“. Einen Preiszonensplit einzuführen, werde die Umstrukturierung nicht schneller voranbringen, argumentiert er, da es ebenfalls Zeit in Anspruch nehme. Die Umstrukturierung für den Preiszonensplit schätzt er auf etwa drei Jahre. „Für mich persönlich ist es nur eine Frage der Zeit“, sagt Walther. „Wir haben Verteilnetzprobleme, die auch ein Preiszonensplitting nicht beheben werden. Am Ende brauchen wir natürlich ein Strommarktdesign, dass sowohl wirtschaftliches als auch systemdienliches Verhalten fördert.“ In Skandinavien und Italien hat man gelernt, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für ein Preiszonsplit umso größer ist, je kleiner der Unterschied zwischen den Zonen ist. Das sei aktuell nicht der Fall. Am Ende ist die Energiewende „eine Herausforderung für die Gesamtgesellschaft“, so Walther.

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