Betrug am Steuerzahler: Deutsche Finanzämter nehmen systematischen Milliardenbetrug einfach hin
Große Online-Händler und kriminelle Banden haben es nach wie vor leicht, Steuerbetrug zu begehen. Der Schaden für den Staat ist immens.
München – Für den Bundeshaushalt 2025 fehlen Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch immer mehrere Milliarden Euro. Das fehlende Geld wäre locker vorhanden, würden deutsche Finanzämter „Europas größten Steuerbetrug“ – so nannte es das Handelsblatt 2019 – endlich in den Begriff bekommen. Die Rede ist vom Umsatzsteuer-Karussell, einem Betrugsmodell, das die EU jährlich geschätzt etwa 60 Milliarden Euro kostet.
Umsatzsteuer-Karussell richtet Steuerbetrug in zweistelliger Milliardenhöhe an
Allein in Deutschland entgeht dem Fiskus Handelsblatt-Schätzungen zufolge eine zweistellige Milliardensumme. Dagegen wirken die als skandalös betrachteten Cum-Ex-Geschäfte, mit denen sich viele Gerichte beschäftigen, fast schon wie eine Bagatelle. Aus Umsatzsteuer-Betrug schlagen kriminelle Banden nach wie vor Kapital, aber auch Amazon oder der massiv in der Kritik stehende Online-Marktplatz Temu machen mit. Eigentlich haften die Plattformen für die Umsatzsteuer, die Onlinehändler zurückhalten, die bei ihnen Waren anbieten.
Ein Umsatzsteuer-Karussell ist eine Art Steuerhinterziehung, an der mindestens drei Unternehmen beteiligt sind. Eines verkauft einem Kunden etwas unter Ausweisung der Umsatzsteuer, führt sie aber nicht an das Finanzamt ab. Wird die Ware weiterverkauft, lässt es sich die Mehrwertsteuer aber erstatten (Vorsteuer). Bis die Behörde merkt, dass gar keine Umsatzsteuer bezahlt wurde, sind beide Firmen vom Markt verschwunden („Missing Trader“). Meistens sind mehr als drei Firmen beteiligt, da so der Betrug besser verschleiert wird.
Dabei wäre es möglich, den Betrug zu bekämpfen. Doch, „das mit viel Aufwand gegen den Steuerbetrug im E-Commerce eingeführte Gesetz wird durch die Finanzverwaltung schlicht nicht angewendet“, sagte Roger Gothmann in der Welt in einem Gastbeitrag. Gothmann, der Co-Gründer und Geschäftsführer des Steuer-Software-Entwicklers Taxdoo ist, und jahrelang als Betriebsprüfer und Finanzbeamter beim Bundeszentralamt für Steuern arbeitete, sprach von einem „Vollzugsdefizit“.
Temu trickst bei Warenwerten und hinterzieht so Steuern
Jedes Finanzamt könne seit 2019 Transaktionsdaten im E-Commerce von digitalen Platzhirschen wie Amazon abrufen, doch in der Praxis finde das kaum statt, monierte Gothmann. Steuerfahnder und Betriebsprüfer bedienten sich vielmehr veralteter Methoden und suchen damit „nach der Nadel im Heuhaufen“.
Doch es tut sich was. Mit dem im März 2024 in der EU in Kraft getretenen Digital Markets Act sollen mächtige digitale Plattformen reguliert werden. Nordrhein-Westfalens Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) brachte im Juni bei der Finanzministerkonferenz einen Antrag ein, der auf strengere Zollvorschriften sowie Kontrollen für chinesische Onlinehändler wie Temu und Shein drang. Wie der WDR unter Berufung auf das NRW-Finanzministerium berichtete, könne Temu seine Kampfpreise deshalb aufrufen, weil Warenwerte für den Zoll bewusst niedrig angegeben werden. Dadurch sinken etwaige Zollgebühren und die zu zahlende Umsatzsteuer. (mt)