„Hier kommt China-Dreck in unser Land“: Politik sucht Antwort auf Shopping-Plattform Temu
China erweitert seinen Einfluss in Europa. Eines der Unternehmen, die das vorantreiben, ist Temu. Die deutsche Politik sucht Antworten.
Brüssel – Der chinesische Billig-Onlinehändler Temu steht seit Monaten in der Kritik. Einerseits bemängeln Kritiker die Marketing-Taktiken der Plattform, andererseits steht der Vorwurf mangelhafter Qualität im Raum. Experten hatten schon früh vor den Auswirkungen der chinesischen Expansion auf den deutschen Markt gewarnt. Daran hat sich bis heute nichts geändert – und die Politik steht im Zugzwang.
Zoll-Tricks bei Temu – „Keine Zölle auf etwas, das verboten ist“
An europäischen Handelszentren wie zum Beispiel dem Frachtflughafen im belgischen Lüttich sind die Mittel, zu denen Temu greift, längst bekannt. Die Wirtschaftswoche berichtete beispielhaft von einem Zollbeamten, der in einem Temu-Päckchen Waren findet, die nicht korrekt deklariert sind. „Wir haben hier eine ganze Reihe von Dingen, die nichts mit der deklarierten Sendung zu tun haben“, zitierte das Magazin den Beamten.
Für die Zoll-Beauftragten ist das mittlerweile Routine. Nicht nur finden die Beamten häufig falsch deklarierte Sendungen, auch der Wert der gefundenen Produkte ist häufig höher als angegeben. In solchen Fällen erhebt der Zoll keine Zölle und Steuern – die Produkte sind dann verboten. Die komplette Sendung werde vernichtet. Temu und ähnliche Handelsunternehmen sind längst auf dem Radar der Politik.
„Europäisches Totalversagen“ – Politik sucht Antwort auf Temu und Chinas Expansion
„Wir erleben gerade ein europäisches Totalversagen.“ Mit deutlichen Worten umriss Max Mordhorst, ein FDP-Abgeordneter, die politische Debatte um Temu, die es am 12. Juni in den Bundestag geschafft hatte. Konkret war damals der Ausschuss für Digitales zusammengekommen. Dieser sollte darüber beraten, wie die Bundesregierung ein regelkonformes Verhalten von Temu, Shein (einem weiteren Online-Händler) und ähnlichen Plattformen sicherstellen will.

Das Resultat ist ernüchternd. „Hier kommt China-Dreck in unser Land“, wetterte der SPD-Bundestagsabgeordnete Jens Zimmermann in der 66. Sitzung des Ausschusses. Im Zuge der Sitzung fielen jede Menge Zahlen: Täglich erreichen 400.000 chinesische Pakete die Bundesrepublik, die Zollbehörden würden massive Verstöße gegen das Zollrecht bemerken, es gebe keine Garantien für Produktsicherheit, massenhaft Sendungen kämen falsch deklariert in Deutschland an. Eine Prüfung der Bundesnetzagentur im Jahr 2023 habe ergeben, dass 92 Prozent von 5.000 Sendungen aus China „nicht verkehrsfähig“ gewesen seien.
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Anna Christmann, die Beauftragte der Ampel für Digitale Wirtschaft, stand hier im Rampenlicht. „Zum großen Teil werden die Waren für Deutschland in anderen EU-Ländern abgefertigt“, erklärte sie. Dann sei das Unionsware und könne sich frei im Binnenmarkt bewegen. Der Zoll kann demnach nicht mehr eingreifen, falls DHL oder Hermes Lieferungen aus Belgien über die Grenze bringt.
Temu nimmt Käufer in die Pflicht – um Europas Vorgaben zu erfüllen
Ein weiteres Problem liegt in den Pflichten der Plattformbetreiber. Temu habe sich irgendwie der Pflicht entzogen, die gelieferten Waren an EU-Vorgaben anzupassen. Stattdessen seien durch einen juristischen „Trick“ die Käufer dafür verantwortlich, dass über chinesische Portale bestellte Waren den EU-Vorgaben entsprechen. Auf Anfrage durch IPPEN.Media, wie die Käufer das anstellen sollen, hatten bislang weder das Bundesministerium der Finanzen noch Temu selbst bislang ein Statement abgegeben.
Die Sorge der Politiker ist klar: Es geht um nicht weniger als den europäischen Markt. Das betreffe nicht nur einzelne Märkte, sondern eine ganze Bandbreite. In der Kleiderbranche hatten schon Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, weil „neue Konkurrenz aus Asien“ sie erdrückt hatte, die deutsche Solarbranche leidet ebenfalls unter chinesischen Produkten, die viel billiger sind als europäische und auch von der Windkraft-Industrie waren schon erste Warnungen zu hören. Mordhorst geht hart mit den chinesischen Billiganbietern ins Gericht: China versuche, „mit subventionierten Schrottprodukten (...) die nächsten Branchen bei uns kaputtzumachen“.
Qualitätsmängel bei Temu – Verbraucherzentrale hatte bereits abgemahnt
Temu hatte sich innerhalb kürzester Zeit an die Spitze der meistgenutzten Apps gesetzt – und zwar nicht nur in China, sondern auch in Deutschland und Europa. Im Grunde handelt es sich dabei um eine chinesische Amazon-Variante, die von Babyspielzeug bis zur Unterhaltungselektronik vielerlei Produkte anbietet. Unter dem Slogan „Shoppe wie ein Milliardär“ hatte die App Kundschaft angelockt.
Dabei kam es bereits in der Vergangenheit öfters zu Kritik wegen Qualitätsmängeln, Lieferproblemen und einem Kundenservice, den Käufer nur schwerlich erreichen. Temu und auch Konkurrenzunternehmen wie Shein und AliExpress (ebenfalls beide aus China) wenden dabei allerlei Kniffe an, um im Wettbewerb Vorteile zu erzielen. Dazu gehören eine enorme Social-Media-Kampagne und sogenannte „Dark Patterns“, teils irreführende Hinweise auf der Website, die im Mai vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) abgemahnt wurden.
„Manipulative Designs sind ein Ärgernis für Verbraucher“, hatte Ramona Pop dazu gesagt, die Vorständin des vzbv. „Der Verbraucherzentrale Bundesverband wird im Blick behalten, ob sich der Anbieter an seine Unterlassungserklärung hält.“ Die Bundesregierung hatte zwar bereits ansatzweise den Willen gezeigt, gegen Temu vorzugehen, aber noch ist nicht klar, wie das passieren soll.