Klimaexperte Niklas Höhne - Die Wahl am Sonntag bestimmt über unsere Zukunft - ob die Parteien wollen oder nicht
Die Bundestagswahl fällt in eine Zeit, in der sich viele Menschen in Deutschland um den sozialen Zusammenhalt, ihre Lebenshaltungskosten, die marode Infrastruktur und die Stabilität und Zukunft der deutschen Wirtschaft sorgen. Klimaschutz steht nicht im Fokus, was die Wahldebatten der letzten Tage und Wochen deutlich gezeigt haben. Diese Wahl wird maßgeblich beeinflussen, inwiefern die Gesellschaft gestärkt oder geschwächt wird - das hängt auch von der Frage ab, wie ernst die nächste Regierung die Klimawandel nimmt.
Das Klima hängt mit den Krisen unserer Zeit zusammen und ist deshalb bei den Wahlen zentral. Effektive Gesetze und Investitionen des Staates können gleichzeitig die Lebensqualität der breiten Bevölkerung sichern. Aber ein Ausbleiben von Klimaschutzmaßnahmen bedroht die Stabilität des Landes und das Wohlbefinden vieler.
1. Klimaschutz als Chance für gerechtere Verteilung
Die steigenden Lebenshaltungskosten belasten die Menschen in Deutschland zunehmend – insbesondere diejenigen mit geringem oder mittlerem Einkommen. Und genau hier kann Klimaschutz eine Lösung bieten. Denn: Investitionen in erneuerbare Energien, energieeffiziente Gebäude und nachhaltige Mobilität senken langfristig die Kosten für Energie und Transport.
Ein sozial gerechter Klimaschutz bedeutet, dass die Vorteile dieser Entwicklung bei allen Menschen ankommen – nicht nur bei den Wohlhabenden. Gezielt ausgestaltete Subventionen für energieeffiziente Heizsysteme oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs können dazu beitragen, die Belastungen für Haushalte mit niedrigem Einkommen zu reduzieren. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die wegen der CO2-Kosten höheren Energiepreise sozial abgefedert werden, etwa durch eine Rückvergütung der Einnahmen insbesondere für einkommensschwächere Haushalte. Stichwort: Klimageld.
Auch andere gemeinschaftsfördernde Maßnahmen kämen dem Klimaschutz zugute: Durch den Ausbau öffentlicher Infrastruktur und Dienstleistungen (beispielsweise öffentliche Begegnungsstätten, Kinderbetreuung, Gesundheitswesen) ergäben sich finanzielle Erleichterungen, individuelle Gestaltungspielräume sowie mehr Gelegenheit des gesellschaftlichen Zusammenkommens. Und sie reduzieren den Bedarf an Mobilität und damit Treibhausgasemissionen.
Prof. Dr. Niklas Höhne ist Mitbegründer von New-Climate-Institute und Professor für Klimaschutz an der Universität Wageningen. Er trägt seit 2003 zu Berichten des Weltklimarates (IPCC) bei.
2. Klimapolitik als Wirtschafts-Motor für Innovation und Arbeitsplätze
Deutschland steht vor einer wirtschaftlichen Transformation, die darüber entscheiden wird, ob unser Land in den kommenden Jahrzehnten wettbewerbsfähig bleibt. Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg sind dabei keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Investitionen in saubere Technologien schaffen neue Industrien und sichern Arbeitsplätze – in Bereichen wie erneuerbaren Energien, Elektromobilität oder nachhaltiger Landwirtschaft.
Ein Beispiel dafür könnte die deutsche Windkraftindustrie sein, die nicht nur einen bedeutenden Beitrag zur Energieversorgung leistet, sondern auch zehntausende Arbeitsplätze geschaffen hat. Fast 400.000 Menschen arbeiten in erneuerbaren Energien in Deutschland, fast halb so viele, wie in der Autoindustrie. Und 20-mal mehr als in der Kohleindustrie. Die deutsche Windindustrie ist aber durch unklare politische Signale gegen Ende der 2010er Jahren und in jüngerer Zeit insbesondere durch Kostendruck aus China ins Wanken geraten. Deutschland müsste jetzt entschlossen handeln, um diese Industrien hier zu halten, auszubauen und so wieder weltweit führend in grünen Technologien zu werden.
Aber: Unternehmen brauchen Planungssicherheit, um in klimafreundliche Technologien zu investieren. Stop-and-Go-Politik oder eine unklare Zukunft wären da Gift. Denn eines ist klar: die Transformation ist zum einen absolut notwendig und zum anderen schon in vollem Gange und kann nicht mehr aufgehalten werden. Unternehmen, die zu lange an der Vergangenheit festhalten, verschwinden in der Versenkung – wie Kodak, die die Digitalisierung der Fotos verschlafen haben, oder Nokia, die von Smartphones überrollt wurden.
Warum Deutschlands Wirtschaft klimafit werden muss
Eine Autoindustrie, die sich der Herausforderung nicht stellt, und eine Regierung die diese Transformation aufzuhalten versucht, wird scheitern. Die Politik müsste jetzt Anreize setzen, dass günstige, elektrische Autos auf den Markt kommen. Das Dienstwagenprivileg erreicht gerade das Gegenteil und erleichtert wohlhabenden Haushalten Steuern.
Eine konsequente Klimapolitik sorgt dafür, dass Deutschland unabhängiger von fossilen Energieimporten wird. Das Ergebnis: eine stärkere, resilientere Wirtschaft, die nicht mehr von den Preisschwankungen globaler Märkte abhängig ist. Ein Preisschock wie nach dem Ausbleiben des russischen Gases wäre dann unwahrscheinlich.
Die kompromisslose „America First“-Politik von Präsident Trump und sein Entscheid, dass die USA (wieder) aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigt, wird die USA schwächen. Deutschland kann jetzt die entstandene Lücke füllen. China hat sich schon klar für die Rolle des Powerhouse in der Energiewende entschieden, denn 80 % aller weltweit verkauften Solaranlagen, 60 % aller Windkraftanlagen und 60 % aller Elektroautos kommen aus China.
FOCUS online Earth widmet sich der Klimakrise und ihrer Bewältigung.
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3. Gemeinsam für realistische, ehrliche und pragmatische Lösungen
Der Klimawandel ist eine Herausforderung, die nur durch Zusammenarbeit bewältigt werden kann – über Parteigrenzen hinweg. Sie darf nicht länger als ideologisches Streitthema gebrandmarkt werden. Stattdessen braucht es einen ehrlichen Dialog darüber, welche Maßnahmen wirklich wirksam sind und wie sie sozial gerecht umgesetzt werden können. Die Parteien sollten sich mit guten und wirksamen Vorschlägen überbieten.
Populistische Versprechungen und Symbolpolitik helfen da nicht weiter. Es reicht nicht, Maßnahmen abzulehnen, wie beispielsweise das Gebäudeenergiegesetz oder die EU-Vorschrift für CO2-freie Autos ab 2035. Man muss dann auch bessere Maßnahmen vorschlagen, die langfristig zur Klimaneutralität führen.
Genauso kann man nicht mit populistischen Aussagen Stimmung gegen notwendige Technologien wie Wärmepumpen und Windräder machen und gleichzeitig keine wirklich wirksame Alternative vorschlagen. Denn E-Fuels für den Straßenverkehr oder Wasserstoff für Heizungen sind extrem teuer, und der Ausbau der Atomkraft wäre viel zu langsam (und dazu noch teuer und gefährlich).
Wir brauchen einen ausgewogenen Mix aus politischen Instrumenten – von einem sozialverträglichen CO2-Preis über regulierende Maßnahmen, bis hin zu gezielten Investitionen in Infrastruktur und Forschung und Entwicklung.
Der alleinige Fokus auf den CO2-Preis ist politisch nicht tragfähig. Wenn alle anderen Maßnahmen weitgehend entfallen würden, müsste der CO2-Preis sehr hoch sein, um den fossilen Energieverbrauch so stark zu senken, dass die Klimaziele erreicht werden. Damit würden die Energiekosten drastisch steigen und die Politik wahrscheinlich einschreiten.
Ehrlichkeit bedeutet auch, dass wir den Menschen keine unrealistischen Versprechungen machen. Klimaschutz erfordert Mut und Veränderungen, wird auch mal schief gehen, aber diese Veränderungen bietet eine Chance. Die Politik muss dies klar und transparent kommunizieren, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen.
4. Die Wahl für eine lebenswerte Zukunft
Das Jahr 2024 war ein weiteres Jahr, das uns mit seiner Wucht vor Augen geführt hat, wie schnell sich die Folgen des Klimawandels manifestieren – auch in Deutschland. Das Jahr, das zum ersten Mal seit Messbeginn weltweit im Schnitt über 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Mittel gewesen ist, war somit das wärmste je gemessene Jahr. Verheerende Klimawandelfolgen, wie die wiederholten Überschwemmungen in Süddeutschland im Juni 2024 oder die teilweise starken Ernteeinbußen von deutschen Landwirten, werden in den kommenden Jahren weiter zunehmen.
In dieser Situation darf es keinen Aufschub mehr geben. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es unverzichtbar, die Klimaziele nicht nur beizubehalten, sondern sie sogar ambitionierter zu gestalten. Eine Aufweichung der Ziele, Verschleppung von Klimaschutz oder gar das Leugnen des Klimawandels sind vor diesem Hintergrund verantwortungslos.
Die globale Transformation passiert; entweder wir gestalten sie aktiv mit oder wir werden davon überrollt. Ein Zurück in alte Sicherheiten gibt es nicht. Politische Kräfte, die dies beschwören, trauen der Wählerschaft entweder nicht die Wahrheit zu, manipulieren bewusst oder verkennen den Wandel der Zeit.
Die Bundestagswahl 2025 ist eine Weichenstellung – nicht nur für die kommenden vier Jahre, sondern für die Zukunft unseres Landes. Der Klimawandel ist nicht mehr länger eine abstrakte Bedrohung, sondern eine reale Herausforderung hier in Deutschland, die unsere Lebensgrundlagen und unsere Wirtschaft gleichermaßen gefährdet. Doch sie ist auch eine Chance: für günstigere Energie, soziale Gerechtigkeit und eine stärkere Wirtschaft. Es liegt in unserer Hand, diese Chance zu ergreifen.