Gastbeitrag von Martin Wiesmann - Das mächtigste Klima-Werkzeug hat Deutschland leider wieder längst vergessen
Deutschlands Klima- und Energiepolitik steckt in der Krise: Milliardeninvestitionen verpuffen, Bürokratie und Regulierungswahn lähmt das Land. Martin Wiesmann, Experte für Geopolitik, erklärt, warum ein marktwirtschaftlicher Ansatz die Lösung sein könnte.
Deutschland erlebt gerade eine harte Landung. Nullwachstum, Abbau von Industriearbeitsplätzen, gescheiterte Großprojekte beschreiben das Phänomen nur unzureichend. Politische Weichenstellungen mit Langzeitwirkung, verbunden mit überbordender Bürokratie, haben eine tiefe Strukturkrise ausgelöst.
Milliardeninvestitionen haben Deutschland weder zu grünem Wachstum verholfen noch dem Weltklima gedient. Und trotz der prognostizierten Kosten bis zur Klimaneutralität 2045 von 1,1 Billionen Euro steckt die öffentliche Debatte weiter im Transformationstunnel fest. Das Beschwören der Kettensäge im Lande Ludwig Erhards ist symptomatisch. In der Klima- und Energiepolitik , die maßgeblich Verantwortung für diese Malaise trägt, würde es ausreichen, zur marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik zurückzukehren.
Zum Experten
Martin Wiesmann ist Managing Partner bei Berlin Gobal Advisors, einer unabhängigen deutschen Strategie- und Transaktionsberatung für Geopolitik und Government Affairs, sowie Mit-Initiator und Beiratsvorsitzender der Denkfabrik R21. Außerdem ist er Aufsichtsrat beim börsennotierten Wohnungsunternehmen LEG. Zuvor agierte er unter anderem als Vice-Chairman Investment Banking Europa von JPMorgan.
Das Ende der „niedrig hängenden Früchte“
Exemplarisch für die Dysfunktionalität unserer Klima- und Energiepolitik ist der Umgang mit dem Gebäudesektor, der für rund 30 Prozent der CO2-Emissionen steht. Im Zeitraum zwischen 1990 bis 2010 reduzierten energetische Investitionen im Wohngebäude-Sektor die CO2-Emissionen je Quadratmeter noch um rund ein Drittel. Die sogenannten „low hanging fruits“, die niedrig hängenden Früchte, sind damit jedoch abgeerntet.
Anschließend, zwischen 2010 und 2020, wurden 545 Milliarden Euro in die energetische Sanierung investiert, ohne dass ein weiterer Rückgang des Energieverbrauchs je Quadratmeter erreicht wurde. Das belegen Analysen der Zahlen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima durch den Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft. Dennoch ist kein Umdenken erkennbar, und das in einem Sektor, der seine essenzielle soziale Funktion kaum noch zu erfüllen vermag.
Logik wird ignoriert
Gemäß der Energy Performance of Buildings Directive der EU, landläufig Gebäuderichtlinie genannt, veranschlagt die Branche stattdessen für Deutschland in den kommenden Jahren weitere Klima-Investitionen von bis zu 260 Milliarden Euro. Während der Sektor mit digitaler Steuerung des Energieverbrauchs innovative Instrumente entwickelt, ignoriert das von der Politik geforderte Verpacken der Gebäudehüllen jede Logik von Grenznutzen: Die CO2-Vermeidungskosten liegen hier bei rund 1500 Euro je Tonne versus derzeit 74 Euro für ein CO2-Zertifikat.

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Wie für den Industriestandort Deutschland generell gilt auch hier: Für die nächste Klimaschutz-Phase ist die Verfügbarkeit grünen Stroms entscheidend. Die Umleitung milliardenschwerer Subventionen in Innovationen würde dazu einen großen Beitrag leisten. Auch darf grüne Energie nicht länger von der EU nur dann als „grün“ qualifiziert werden, wenn sie aus zusätzlich geschaffenen Kapazitäten stammt, sonst wird nicht einmal der Einstieg in die Transformation gelingen.
Schluss mit dem „Goldplating“
Wir brauchen einen Befreiungsschlag in der Klima- und Energiepolitik. Dazu gehört eine Abkehr vom unsinnigen „Goldplating“, wonach Deutschland alles besser machen möchte als der Rest Europas: Zu häufig werden EU-Richtlinien in Deutschland schärfer umgesetzt als vorgeschrieben.
„Goldplating“ zeigt sich nicht nur im zeitlichen Vorziehen von Klimazielen. Vielmehr werden vergleichbare Wohnungsbestände in Europa in teils drastisch asymmetrischer Weise in vorgeblich vergleichbare Energieeffizienzklassen eingeordnet, mit der Folge dramatischer Investitionsvorgaben für die Sanierung günstigen Wohnraums in Deutschland.
Die größte Klima-Innovation
Es ist deshalb höchste Zeit, dass wir uns einer der größten Innovationen entsinnen, die die EU selbst hervorgebracht hat: des Europäischen Emissionshandels. Er hat Europa zur erfolgreichsten Klimaschutz-Region der Welt gemacht. Dank der Kombination marktwirtschaftlicher Ansätze mit einem harten ordnungspolitischen Eingriff sorgt das Instrument verlässlich für Klimaschutz zu den geringstmöglichen Kosten und ist überdies internationalisierbar.
Statt dem Niedergang des Standorts zuzusehen, sollte sich die deutsche Politik daher für drei Ziele in Europa einsetzen:
Erstens darf die für 2027 vorgesehene Einführung des europäischen Handelssystems ETS2 für Gebäude und Verkehr keinesfalls verwässert und muss zügig mit dem bestehenden ETS1 zu einem echten sektorübergreifenden Handelssystem harmonisiert werden. Das erbringt nach Berechnungen des IDW Wohlfahrtsgewinne von rund 1,5 Prozent des BIP der EU.
Zweitens sollten mit Einführung des umfassenden ETS alle anderen Eingriffe national und europäisch beseitigt und die grüne Agenda technologieoffen vorangetrieben werden.
Und drittens sollte die EU an der Internationalisierung des Emissionshandels arbeiten. In der Klimapolitik ist stets von dem „guten Beispiel“ die Rede, das die alten Industrieländer zu geben haben. In der Welt geopolitischen Wettbewerbs und dem globalen Kampf um billige Energie ist das einzige gute Beispiel, das eine Chance auf Nachahmung hat, eine ökonomisch erfolgreiche Transformationspolitik.
So wenig eine nationale Energiewende erfolgversprechend war, so wenig ist es deren nur nationale Korrektur. Statt „German Vote“ brauchen wir wieder „German Engagement“ in der EU. Nur so kann eine neue Bundesregierung für einen echten Neustart sorgen.
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