Vom Klimawandel bedroht - Das Geschäft schmilzt ihm weg - doch dann hat Ski-Chef rettende Idee

Laute Musik, viele Österreicher in Feierlaune und eine richtig gute Stimmung: So fühlt es sich an, wenn man im Stadion der Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm zuschaut. Nacheinander sausen Athleten aus Ländern wie Frankreich, Italien, Deutschland, USA und der Schweiz - die später am Tag alle Medaillen mit nach Hause nehmen werden - die Abfahrt in Saalbach am Zwölferkogel hinunter, stets unter dem lauten Applaus der Besucher. Hier wird das Schöne am Skisport deutlich: Dort gibt es keine Buhrufe, kein Gepfeife - nur sehr viel Beifall für jeden, der es durch das Ziel schafft (und ein bisschen mehr Applaus für die österreichischen Sportler, aber das ist ja irgendwie klar). Selbst als Marco Schwarz, eine österreichische Medaillen-Hoffnung, nur wenige Meter vor dem Ziel stürzt und aus dem Rennen ausscheidet, ist der Applaus für ihn groß.

“WM dahoam” in Österreich - trotz Klimawandel

Für die "WM dahoam" empfing das Tal, das schon in den 90ern zum Austragungsort wurde, auch dieses Jahr zahlreiche Athletinnen und Athleten sowie Gäste mit offenen Armen. Mehr als 20.000 Gäste reisen pro Saison in das Skigebiet Saalbach-Hinterglemm, das in der Nähe von Salzburg liegt. Dieses Jahr kamen noch Athleten, Rennmanager und deren Serviceleute, Medienvertreter sowie das WM-Personal dazu.

Vom Klimawandel bleiben auch die Gastgeber nicht verschont: Die Durchschnittstemperatur im Februar liegt eigentlich bei -4,2 Grad - das ist der schattigen Lage auf etwa 1.000 Höhenmetern geschuldet, die dementsprechend gute Bedingungen liefert. Mittlerweile liegt die Temperatur im Februar stattdessen oft im Plusbereich. Meistens sind es auch so um die vier Grad, nur nachts sinken die Temperaturen in den Minusbereich - das ist auch notwendig, damit der Schnee auf den Pisten nicht vollends wegtaut.

Saalbach-Hinterglemm erfährt damit einen Trend, der überall in den Alpen spürbar ist: Wärmere Winter, weniger Schnee. Betroffen sind insbesondere Skigebiete unter 2000 Höhenmetern: Fast die Hälfte aller Skigebiete werden dort mehr schneefreie Winter erleben, wenn wir es nicht schaffen, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Das weiß auch der internationale Ski-Verband “Fédération Internationale de Ski” (FIS), die für die WM zuständig ist. “Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für unseren Sport”, sagt Susanna Stieff, Nachhaltigkeitsdirektorin der FIS. “Alle Wintersportler sind sehr besorgt über den Klimawandel. Für diejenigen, die einen Weckruf brauchten, haben ihn die letzten Jahre sicherlich geliefert.”

Schon jetzt gibt es kaum ein Skigebiet, das ohne künstliche Beschneiung überhaupt durch die Saison kommt; da diese Verfahren viel Wasser und Strom erfordern, entstehen dadurch aber nur noch mehr Emissionen, die die Klimakrise noch weiter befeuern. Ein Teufelskreis also. Doch vom Skitourismus hängt Vieles ab - nicht nur Großereignisse wie die WM, sondern auch die Lebensgrundlage für alles, was mit dem Skisport zu tun hat.

Ski-CEO: Betrieb ohne Kunstschnee "kaum mehr möglich"

Wäre von heute auf morgen der Skisport passé, wäre er unmittelbar betroffen: Wolfgang Mayrhofer, CEO des österreichischen Ski-Herstellers Atomic. Beim Gespräch in der Zentrale lehnt sich der 63-Jährige in einen Stuhl zurück und fährt sich durch die Haare, zuvor hatte er sich lautstark über zwei Goldmedaillen bei der Teamkombination der Damen gefreut: Dort gewannen nämlich die US-Amerikanerinnen Breezy Johnson und Mikaela Shiffrin, letztere gehört zu den erfolgreichsten Skisportlerinnen überhaupt.  

“Ich muss es mit aller Offenheit sagen”, setzt er an und hebt die Arme entschuldigend. “In den letzten Jahren wäre der Skibetrieb ohne technische Beschneiung kaum mehr möglich gewesen. Bei uns gibt es zwar immer noch Naturschnee, aber aufgrund der Temperaturschwankungen und weil die Schneefallgrenze durch den Klimawandel tendenziell nach oben geht, ist es notwendig, dass man beschneit.”

Die Probleme durch künstliche Beschneiung sind ihm auch bewusst, es gäbe aber auch schon viel Innovation, die das Ganze ressourcenschonender macht, sagt er. Nur: Darauf verzichten geht nicht, dann funktioniert auch der Skibetrieb nicht, dann bleiben die Gäste fern. “Wenn in Österreich der Tourismus nicht mehr funktioniert, dann haben zigtausende Leute hier keine Jobs”, mahnt Mayrhofer. Skilifte, Hotels, Gaststätten, Skiverleihe und zu guter Letzt auch diejenigen, die Skier produzieren: Am Skitourismus hängt ein ganzer Rattenschwanz dran und sehr, sehr viel Geld.

Marketing-Chef: “Wir können nicht einfach den Hebel umlegen” 

Wolfgang Quas geht es ähnlich. Abseits der Pisten nimmt sich der Marketingchef des örtlichen Tourismusverbandes kurz Zeit zwischen dem für Großveranstaltungen typischen Chaos. Unweit des Zwölferkogels, wo später am Tag der deutsche Skifahrer Linus Strasser seinen Schweizer Kollegen auf dem Treppchen weichen muss, erklärt er die Verzahnung mit dem Tourismus. “Wir sind eine der tourismusstärksten Destinationen und setzen 400 Millionen Euro pro Jahr im Tal um, da kann man nicht einfach so den Hebel umlegen. Dessen muss man sich bewusst sein”, plädiert er, während hinter ihm Touristen den Schnee hinunter gleiten.

Gleichzeitig bestätigt er: “Die Auswirkungen des Klimawandels sind ja augenscheinlich, das kann man nicht wegdiskutieren.” Eine Saison, von Dezember bis April, ohne künstliche Beschneiung? Unmöglich, so Quas und ergänzt: “Wir müssen die ökologischen Herausforderungen wahrnehmen, gerade im Bereich Energieversorgung.” Da tue sich einiges: Strom für das Skigebiet liefert ein Pumpspeicherkraftwerk, ein weiteres befindet sich in Planung. PV-Anlagen werden ebenfalls diskutiert, man will in sparsamere Schneekanonen und Pistenraupen investieren.

Shaping The Future of Skiing

Vom 4. bis zum 16. Februar fand die Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm statt. Gleichzeitig feierte der österreichische Ski-Hersteller Atomic sein 70-Jähriges Bestehen. Dafür lud das Unternehmen zu einem Besuch bei der Produktionsstätte in Altenmarkt im Pongau sowie zur Weltmeisterschaft in Saalbach ein. Auch FOCUS online Earth war Teil dieser Pressereise. 

PV-Anlagen auf über 2000 Metern

Dass das geht, zeigen andere Skigebiete, die das längst umgesetzt haben, zum Beispiel am Wildkogel, unweit des Großvenedigers: Dort, in 2100 Metern Höhe, werden pro Jahr 1,4 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt und ins Netz eingespeist. Die Infrastruktur dafür war bereits vorhanden, denn die Paneele wurden auf die Lawinenschutzvorrichtung gebaut. Die Anlage ist damit ein Paradebeispiel dafür, wie man bereits bestehende Infrastruktur für den Ausbau Erneuerbarer Energien in den Alpen nutzen kann: Denn eigentlich, darauf hat man sich geeinigt, sollen keine neuen Skigebiete mehr gebaut werden.

Doch das größte Problem, die Anreise, bleibt: „Von unseren Gästen kommen ja 38 Prozent aus Deutschland, 17 Prozent sind Niederländer, 15 Prozent Österreicher. Darüber hinaus kommen sehr viele Gäste aus Großbritannien und Skandinavien”, so Marketingchef Quas. Die Anreise wiederum ist für fast 70 Prozent der CO2-Emissionen im Skibetrieb verantwortlich. Schätzungen gehen davon aus, dass für den Skitourismus in Österreich pro Person und Tag etwa 4 Kilogramm CO2 anfallen; ungefähr 2,8 Kilogramm entfallen dementsprechend allein auf die Anreise.

Shuttlebusse gegen die Blechlawine

In Saalbach-Hinterglemm hat der Tourismusverband versucht, das Problem mit einem Mobilitätskonzept anzugehen: Der Autoverkehr war streng begrenzt, Parkplätze gab es nur mit Berechtigungsscheinen, zum Beispiel fürs Personal und Anwohner. Allen Besucherinnen und Besuchern standen kostenlose Shuttlebusse zur Verfügung, die unter anderem zum nahegelegenen Bahnhof Maishofen-Saalbach fuhren. Von dort aus geht es direkt weiter nach Salzburg oder München; auch eine internationale Zugverbindung wurde eingrerichtet. Trotzdem zeigte sich: Eine große Besucherzahl setzte weiterhin auf Auto und Flugzeug zur Anreise.

Das nahe gelegene Skigebiet Zell am See zeigt, wie es anders laufen könnte: Hier fährt sogar ein Nachtzug von Stockholm mit Zwischenstopps in Hamburg und München. Auch andere Ziele, wie das bei Münchnerinnen und Münchnern beliebte Zillertal, sind öffentlich erreichbar. Atomic-Chef Mayrhofer ist überzeugt: Gäbe es mehr Lifttickets, die ein Zugticket enthalten, würden mehr Menschen vom Auto auf die Schiene umsteigen. In Österreich wird das stellenweise sogar schon so gehandhabt. Ein gutes Beispiel ist das Skigebiet St. Johann im Pongau: Die ÖBB bietet ein Kombiticket ab Salzburg für 83 Euro an, Skipass inklusive. Das Angebot erstreckt sich auf zahlreiche weitere Ziele in Österreich. Auch Tools wie “Bahn zum Berg” helfen dabei, Skigebiete mit nahtloser öffentlicher Anbindung zu finden.

Wintersportorte in den Alpen vom Klimawandel bedroht

Wie steht es nun also um die Zukunft des Skifahrens? Mayrhofer glaubt nicht, dass das Ende des Skisports bevorsteht. Klar, kleinere Gebiete unter 2000 Metern sind bedroht. “Da muss man so ehrlich sein”, findet er. Aber die großen Skigebiete, das bei Münchnern beliebte Zillertal, St. Moritz in der Schweiz oder Dolomiti Ski in Südtirol - die Jahr um Jahr zusammen mehr als elf Millionen Besucher anziehen - haben bereits viel Investiert, meint der Firmenchef. Dort wird man auch in Zukunft noch über die Pisten sausen können, glaubt er.

Die Realität könnte dem allerdings einen Strich durch die Rechnung machen, zumindest im Hinblick auf große Sportevents: Eine 2022 erschienene Studie aus Kanada hat gezeigt, dass die traditionellen Austragungsorte in den Alpen - Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck, St. Moritz oder Charmonix - künftig keine zuverlässigen Wetterlagen liefern werden, um Olympische Winterspiele abzuhalten. Ob die Menschheit es dabei schafft, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten, ist für diese Standorte leider unerheblich: So oder so werden die zentraleuropäischen künftig schlechte Karten haben. Das gilt auch für Cortina d’Ampezzo, wo im kommenden Jahr Olympia stattfindet. Anders sieht es in Norwegen, Japan oder Kanada aus: Dort wird es selbst bei einer Erwärmung von 8,5 Grad - dem “Worst Case”-Szenario - noch möglich sein, Winterspiele abzuhalten.

Hoffnung auf die Ziele des Pariser Abkommens

Die FIS hingegen hofft weiterhin auf das Pariser Abkommen: Schaffen wir es, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten, können wir ungefähr 80 Prozent unserer Schneetage retten, so Nachhaltigskeitsdirektorin Stieff und weist daraufhin, dass viele Regionen selbst schon Maßnahmen ergreifen, um mit den sich ändernden Bedingungen umzugehen: “Viele von ihnen betreiben Snow Farming, das heißt, sie bewahren den Schnee während des Sommers auf, um ihn in der folgenden Saison wieder zu verwenden.” Im finnischen Levi wird so etwa 90 Prozent des Schnees “hergestellt”. Auch in Deutschland, wo viele Skigebiete in niedrigeren Lagen bereits vom Schneemangel betroffen sind, helfen sogenannte “Schnee-Depots” bei der Aufrechterhaltung des Betriebs.

Rettung durch die "Shoulder Season"?

Illusionen macht sich Atomic-CEO Mayrhofer allerdings keine: Der Markt hat sich verkleinert. Er zuckt mit den Schultern und sagt: “Das sehen wir nicht negativ, sondern wir haben adaptiert, haben die Mengen zurückgenommen. Diese 3,6 Millionen Paar Skiern, das ist eine globale Marktmenge, die es wirklich braucht.” Mayrhofer ist trotz seiner Leidenschaft für das Skifahren immer noch Chef einer großen Firma. Und als solcher hofft er zwar, dass Wintersport-Fans in Zukunft weiterhin Atomic-Ski kaufen werden - aber er verlässt sich nicht darauf.

Genau deswegen expandiert er in die sogenannte “Shoulder Season” - in Deutschland allgemein als “Übergangszeit” bekannt. “Wir haben Skibekleidung und dann gibt es Bekleidung, die sehr funktionell ist, die man auch fürs Tourengehen verwenden kann”, erklärt er und deutet auf die umliegenden Berge im Pongau. “Und wenn man es fürs Skitourengehen verwenden kann, kann man es auch fürs Bergsteigen verwenden.“