(Selbst)Kritische Töne, manch Schuldzuweisung und etliche „Themaverfehlungen“ in den Haushaltsreden in Kempten

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In „einfacher Sprache“: Ullrich Kremser schenkte dem OB, den Referenten und sich als Stadtrat je ein Sparschwein (links). Eine der letzten großen Investitionen: Die Zehnte Grundschule soll im September fertig sein. Kostenfaktor: 43,6 Millionen Euro. © Fischer

Der Kemptener Stadtrat hat den Haushalt 2025 mit einem Gesamtvolumen von mehr als 318 Millionen Euro mit großer Mehrheit beschlossen. Davor gab es manch deftige Rede.

Kempten – Nach einem zweieinhalbstündigen Redemarathon stimmten nur die beiden ÖDP-Stadträte Hofer und Natterer-Babych sowie der AfD-Vertreter Freudling gegen das fast 250 Seiten umfassende Haushaltswerk.

Dem anfangs zart geäußerten und dann nicht mehr eingeforderten Wunsch des Oberbürgermeisters – „Bitte, keine Themaverfehlung, sondern rein kommunalpolitische Reden!“ – folgten die Wenigsten. Nicht nur der aktuelle Bundestagswahlkampf sorgte für zum Teil in die Länge gezogene Beiträge. Auch die ersten Positionierungen für die Kommunalwahl 2026 waren herauszuhören.

Kemptener Oberbürgermeister prognostiziert Finanzpolitische Zeitenwende

OB Thomas Kiechle bezeichnete 2025 als ein „Zwischenjahr“, das vom „Übergang von einer besseren Haushaltszeit“ zu einer durch Abstriche dominierten Phase der kommunalen Finanzpolitik geprägt werde. Stadtkämmerer Matthias Haugg diagnostizierte „massive Fehlentwicklungen“. Am besten lassen sich diese am Missverhältnis zwischen Verwaltungs- und Vermögenshaushalt ablesen: Im Idealfall werden Investitionen aus den Überschüssen des Verwaltungshaushalts, aus Zuführungen aus den Rücklagen und aus Zuschüssen von Bund und Land finanziert.

Der Sparstrumpf ist leer: viele Investitionen sind bald nicht mehr möglich

Der Kemptener Vermögenshaushalt 2025 beträgt 58,1 Millionen Euro. Die Zuführung aus dem Verwaltungshaushalt ist mit 1,4 Millionen Euro auf sehr niedrigem Niveau. „Der Sparstrumpf ist de facto leer!“ verkündete Haugg, das heißt, aus den auf den vorgeschriebenen Sockel von 2.4 Millionen geschrumpften Rücklagen kann nichts mehr entnommen werden. Nach der Ausschöpfung diverser Zuwendungen, Zuschüsse und sonstiger Einnahmen bleiben noch immer 28,3 Millionen Euro, die durch Kredite finanziert werden müssen.

Diese kommen zu den 2024 gemachten Schulden in Höhe von 21,1 Millionen Euro hinzu. „In dem Maße, in dem die Schulden nach oben gehen, gehen auch die Investitionen nach unten“, sagte Haugg. Das größte Problem der kommenden Jahre werde daher die mangelnde Investitionsfähigkeit werden. Die Entwicklung ist noch bemerkenswerter, wenn man berücksichtigt, dass die Steuereinnahmen der Stadt gleichzeitig um 5,4 Millionen steigen.

Für hohe Ausgaben sorgen nicht nur die rekordverdächtigen Investitionen, sondern u. a. die rasch steigenden Personalkosten. 2024 ging es um zusätzliche 5,6 Millionen Euro, 2025 rechnet man mit einem weiteren Zuwachs von 3,7 Millionen Euro.

Wo die Investitionsmittel des städtischen Kernhaushaltes nicht reichen, springen die städtischen Unternehmen ein. Der Stadtkonzern investiert 2025 93,5 Millionen Euro, gab Kiechle bekannt. Ähnlich wie beim Neujahrsempfang (wir berichteten) zählte er die laufenden Großprojekte im Stadtgebiet auf, vom Kornhaus bis zur Zehnten Grundschule, von der Erweiterung des CvL und des Berufsschulzentrums bis zum Neubau der Dreifachsporthalle, vom Illersteg bis zur Hirschdorfer Illerbrücke, vom neuen Bauabschnitt der Hochschule bis zum Umbau des ÖPNV.

Ursachenforschung

Der Kämmerer sprach von schlechten allgemeinen Rahmenbedingungen durch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, vom ungeschickten Agieren der Ampelregierung und von der deutlich schlechteren Wirtschaftslage in Deutschland. Professor Robert Schmidt (CSU) nannte in seiner Rede die gestiegenen Energie- und Baukosten. Er kritisierte die Bundesregierung, die in den letzten Jahren Aufgaben auf die Kommunen übertragen habe, statt diese selbst zu finanzieren.

Auch Andreas Kibler (FW) thematisierte die ungünstigen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dass die Nöte der Kommunen in Berlin nicht gehört würden. Er war der erste unter den Rednern, der auch zur Selbstkritik aufrief. Während man es in Paris geschafft habe, die Notre Dame in fünf Jahren neu zu errichten, seien in Kempten für die Renovierung des Kornhauses sechs Jahre nötig gewesen. Als Folge müsse man eine Kostenexplosion von fünf auf 26 Millionen Euro in Kauf nehmen. Kibler schlug süffisant vor, am Kornhaus ein Schild mit folgendem Text anzubringen: „Hier wurden jene Millionen verbaut, die wir eigentlich für eine neue Grundschule mit Sporthalle und einen Kindergarten in Heiligkreuz benötigt hätten.“ Es passiere in Kempten oft viel, viel zu viel und zu ineffizient“, meinte Dominik Tartler (Future for Kempten).

Auch Land und Bezirk laden Aufgaben auf den Kommunen ab

„Natürlich hätte man in der Nullzinsphase mehr machen können“, sagte Ullrich Kremser (FDP), aber das notwendige Personal habe gefehlt. Er weitete die vorherige Kritik bezüglich übertragener Aufgaben auf die Landesebene aus. Als Beispiel nannte er das von der bayerischen Regierung beschlossene kostenfreie Parken für E-Autos. „Ausgleich Fehlanzeige! Super ausgedacht!“, kommentierte er die Entscheidung. Auch der Bezirk Schwaben mache es sich leicht, wenn er seine Probleme durch die Erhöhung der Umlage auf die Kommunen übertrage. Und dann eröffne er „Außenstellen mit viel Personal und repräsentativem Büro“, machte Kremser seine Kritik laut. Auch Thomas Hartmann (Grüne) kritisierte die Regierung von Schwaben und die bayerische Staatsregierung, die das „Ausbluten der Kommunalfinanzen seit Jahren ausblenden“, weil das Thema sie bei ihrer „schamlosen Selbstbeweihräucherung“ störe. Dass die Folgen dieser Politik ehrenamtliche Stadträte ausbaden müssten, sei eine Frechheit, so Hartmann.

Suche nach Auswegen aus der Kemptener Finanznot

Alle waren sich einig, dass es nichts bringe, Lösungen von außen zu erwarten. „Wir müssen uns im Wesentlichen selbst helfen, selbst entscheiden, uns selbst beschränken und uns selbst auch teilweise Unangenehmes zumuten“, sagte der Oberbürgermeister. Der Haushalt sei keine Zauberei, sondern Handwerk, betonte er. „Lassen Sie uns alle gute solide Handwerker sein, die nichts versprechen, was nicht erfüllt werden kann“, fügte er hinzu.

Das verfeinerte Personalkostencontrolling zeige gute Ergebnisse und die Nachbesetzungssperre von sechs Monaten habe einen Einspareffekt von 1,5 Millionen Euro gebracht, erklärte Haugg. Laut Walter Freudling (AfD) könnte man durch den Einsatz von KI und Automatisierung sogar 35 Prozent der Personalkosten einsparen.

Schmidt brachte die Erschließung neuer Finanzierungsmöglichkeiten mit privaten Investoren ins Spiel. Thomas Hartmann erinnerte an den Antrag seiner Fraktion, durch die Ausgabe von Green- bzw. Social-Bonds neue Einnahmequellen zu erschließen. Er plädierte für mehr unternehmerisches Denken in Politik und Verwaltung und wünscht sich eine höhere Beteiligung von Menschen mit großem Privatvermögen an der Lösung öffentlicher Aufgaben. „Eine Million Defizit bei einer hochkommerziellen Veranstaltung. Wie kann das sein?“, fragte er in Bezug auf die Allgäuer Festwoche. Franz Josef Natterer-Babych (ÖDP) schlug vor, die Kosten für Energie massiv zu senken, indem die Stadt PV-Eigenstrom produziert. Freudling will durch den Verzicht auf Klimaschutzmaßnahmen sparen.

Kibler fordert, Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen und tadelt einen Stadtratskollegen

Kibler setzt zum Ziel, dass Projekte einfacher, schneller und unkomplizierter vorangetrieben werden. Er rief zu mehr Selbstdisziplin auf. Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler erinnerte seinen Stadtratskollegen Tobias Hiepp (CSU) an seinen Eid („dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet“), und forderte ihn auf, den ungenutzten Grundstückrand, der im Besitz seiner Familie ist, für die geplante Bushaltestelle mit Radweg in Leupolz für die Sicherheit der Schulkinder und Anwohner zur Verfügung zu stellen. Außerdem schlug er vor, den „aus der Zeit gefallenen Knebelvertrag“ mit dem Zweckverband Landestheater Schwaben zu reformieren.

Am besten auf den Punkt gebracht hat die notwendige Marschrichtung Kremser, indem er den Hauptverantwortlichen und sich selbst ein Sparschwein schenkte. „Wir müssen sparen, nein, wir werden ja gerade gezwungen zu sparen“, erklärte er seine Geste. Diese Botschaft in einfacher Sprache sei noch nicht überall angekommen, fügte er hinzu. Konkret wurde er beim Thema Schulbauten: Er rief dazu auf, den Landkreis mehr in die Pflicht zu nehmen.

Die „Wermutstropfen“

Kiechle betonte, dass man die Unterstützung freiwilliger Leistungen reduzieren müsse. Diesmal habe man schmerzliche Einsparungen noch vermeiden können. Der Einzige, der darauf hinwies, dass das im Falle des Haus International nicht zutreffe, war Natterer-Babych.

Ab dem Moment, wo der Stadtrat etwas beschließe, handle es sich nicht mehr um eine „freiwillige Leistung“, sondern um eine Pflichtaufgabe für die Verwaltung, stellte Kib­ler klar. Er kritisierte, dass im Falle des Theaters die vom Oberbürgermeister ursprünglich vorgegebenen Sparmaßnahmen das Ende des eigenen Ensembles bedeutet hätten. Er freue sich, dass die Online-Petition für den Erhalt des Theaters mit 8.149 Unterschriften Wirkung gezeigt habe. Thomas Hartmann sicherte dem „überregional bekannten, besonderen Theater“ volle Unterstützung zu, er hält es für wichtig, es vor „kulturkritischen, nationalistischen und reaktionären Bestrebungen“ zu schützen. Freudling nannte unter den Gründen für die Ablehnung des Haushalts, dass das Theater für seine Partei keinen Raum biete.

Katharina Schrader erinnert an das Beginenhaus

Katharina Schrader (SPD) warnte davor, das Beginenhaus verkommen zu lassen und erinnerte an den von FW, Grünen, FDP und SPD 2021 gestellten Antrag, im Stadtrat über ein Konzept neu zu beraten. „Diesem Antrag wurde immer noch nicht entsprochen.“ Sie bedauert, dass der Neubau des Jugendzentrums in Kempten-Ost wieder verschoben wurde, Wenn man rechtzeitig über Priorisierung gesprochen hätte, hätte sie der Jugend den Vorzug gegeben gegenüber der Umgestaltung des Ostbahnhofs.

Natterer-Babych wies auf teilweise große Erhöhungen bei den Kindergartengebühren seit der Aufhebung der Deckelung hin und auf negative Auswirkungen der massiven Zuschusskürzung für die Sing- und Musikschule.

Danksagungen

Alle waren dankbar, einen genehmigungsfähigen Haushalt hinbekommen zu haben. Der Oberbürgermeister betonte, dass der Weg dahin mit lebendigen Diskussionen genauso zähle wie das Ergebnis. Die gute Moderation von Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll bei den Haushaltsberatungen wurde von allen Fraktionen und vom OB mehrmals gelobt: Sie vertrat bei den meisten der sechs Sitzungen das erkrankte Stadtoberhaupt. Auch die beiden Haushaltsexperten Matthias Haugg und Alexander Mair erhielten für ihre Arbeit große Anerkennung.

Grenzen setzen? – ein Kommentar von Lajos Fischer

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