Sexualisierte Gewalt: Unter den Betroffenen sind viele Kinder - „Ist schambesetzt, sich Hilfe zu holen“

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Unter den Betroffenen von sexualisierter Gewalt sind viele Kinder, das zeigt auch die Statistik der in Weilheim ansässigen Beratungsstelle. © Patrick Pleul/dpa (Symbolfoto)

Sexualisierte Gewalt trifft Kinder genauso wie Jugendliche und Erwachsene. Das zeigt sich auch bei der Arbeit der Beratungsstelle „Netz gegen sexuelle Gewalt“ in Weilheim. Dessen Team will Betroffenen einen geschützten Raum zum Reden bieten, sie begleiten und stärken.

Weilheim – Zwei der vier Berater/-innen, die beim „Netz gegen sexuelle Gewalt“ (jeweils in Teilzeit) tätig sind, machen im Pressegespräch schnell klar: Für die Arbeit mit Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, ist viel Einfühlungsvermögen nötig. Das liegt auch daran, dass es für Betroffene „schambesetzt ist, sich Hilfe zu holen“, wie Constanze Off sagt. Im geschützten Raum, den die Anlaufstelle biete, so Offs Kollegin Elisabeth Carr, sei aber zu beobachten, dass sich Menschen öffnen.

Die Betroffenen könnten sicher sein, dass die Berater immer auf der Seite der Opfer stehen, erklärt Off. „Wir sind parteiisch“, lautet ihre klare Ansage. Wie im Pressegespräch deutlich gemacht wird, denken oft Betroffene zu Unrecht, sie seien selbst daran schuld, dass sie zum Opfer sexualisierter Gewalt wurden.

Es geht nicht nur um aktuelle Fälle

Bei seiner Arbeit wird das Beraterteam mit sehr unterschiedlichen Fällen konfrontiert. Sexualisierte Gewalt in der Ehe sei genauso ein Thema wie etwa Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, bei dem die Täter oft aus dem sozialen Nahraum kämen, erklären Carr und Off. Die Berater sehen sich aktuellen Fällen genauso gegenüber wie schlimmen Erlebnissen, die weiter zurückliegen.

Um ein farbintensives Bild, mit dem sich eine junge Ratsuchende malend ausdrückte, gruppierten sich Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder des „Netzes gegen sexuelle Gewalt“: (vorn v.l.) die Beraterinnen Elisabeth Carr und Constanze Off sowie (hinten v.l.) die Vorständinnen Angelika Flock und Rautgunde Lammerer und Büroleiterin Martha Rauscher. Nicht auf dem Bild: Vorständin Ulrike Leimig sowie die Berater Christina Auer und Michael Kosler.
Um ein farbintensives Bild, mit dem sich eine junge Ratsuchende malend ausdrückte, gruppierten sich Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder des „Netzes gegen sexuelle Gewalt“: (vorn v.l.) die Beraterinnen Elisabeth Carr und Constanze Off sowie (hinten v.l.) die Vorständinnen Angelika Flock und Rautgunde Lammerer und Büroleiterin Martha Rauscher. Nicht auf dem Bild: Vorständin Ulrike Leimig sowie die Berater Christina Auer und Michael Kosler. © Ruder

Ein besonderes Augenmerk richtet das „Netz gegen sexuelle Gewalt“ auf die zunehmende Verbreitung von pornografischen Inhalten durch unter 21-Jährige, wie aus seinem Jahresbericht 2023 hervorgeht. Darin heißt es auch, das Internet werde immer häufiger genutzt, um Sexualdelikte zu planen, vorzubereiten und auszuführen.

Im Vorjahr gingen 72 Betroffene (60 davon weiblich) in die Statistik der Beratungsstelle ein (2022: 64, 2021: 95). 32 von ihnen waren bis zwölf Jahre alt, 21 gehörten zur Gruppe der 13- bis 17-Jährigen, 19 waren im Erwachsenenalter. Nicht alle Betroffenen wurden persönlich beraten (das gilt vor allem für Kinder). Auch Angehörige von ihnen sowie pädagogische Fachkräfte wandten sich hilfesuchend an die Anlaufstelle, weil sie von sexualisierter Gewalt wussten oder einen solchen Fall vermuteten.

Auch Männer gehören zur Zielgruppe der Beratungsstelle

Zur Zielgruppe des Beraterteams gehören ausdrücklich auch Männer, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Sie werden auf Wunsch von einem Mann betreut.

Das „Netz gegen sexuelle Gewalt“ verzeichnete 2023 nicht nur eine große Nachfrage nach Beratung, sondern auch nach Präventionsangeboten. Wie bedeutend Präventionsarbeit ist, macht Off auch am Beispiel von Übergriffen sexueller Art (wie jemanden an den Po oder in den Schritt fassen) deutlich, denen Jugendliche oft täglich ausgesetzt seien.

Viele Menschen durch Präventionskurse erreicht

Um solchen Vorkommnissen vorzubeugen, bietet die Beratungsstelle Schulungen an, durch die im vergangenen Jahr 1080 Menschen erreicht wurden: 700 Schüler, 150 Eltern, 150 Fachkräfte in Kitas und 80 Lehrkräfte. Kinder und Jugendliche sollen durch die Präventionskurse befähigt werden, „eigene Bedürfnisse zu erkennen und Grenzen zu spüren sowie zu benennen“, wie es im Jahresbericht heißt. Sexualisierte Gewalt könne „mit Blicken, Gesten und auch mit Worten“ anfangen, auch wenn ein solches Verhalten nicht immer strafbar ist.

„Ich bin in Ordnung, ich bin normal“

Wie wichtig dem „Netz gegen sexuelle Gewalt“ die Öffentlichkeitsarbeit ist, geht aus dem Bericht ebenfalls hervor: Durch diese Arbeit sei es möglich, wertvolle Signale an Betroffene zu senden, heißt es. Diese könnten so etwa erkennen: „Das, was mir geschehen ist, ist nicht in Ordnung – ich bin in Ordnung, ich bin normal – das, was mir widerfahren ist, ist unnormal Ich muss mich nicht schämen“ – und „es gibt Menschen, die mir zuhören“. Erkenntnisse, die den Schritt zur Beratung vielleicht leichter machen.

Beratung durch das „Netz gegen sexuelle Gewalt“

Die Beratung durch das „Netz gegen sexuelle Gewalt“ richtet sich vorwiegend an Ratsuchende (Betroffene, deren Bezugspersonen und Fachkräfte, besonders aus Kitas) aus den Landkreisen Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen. Für diese Zielgruppe ist das Angebot kostenfrei. Für die „Netz“-Mitarbeiter gilt bezüglich der Beratung, die auf Wunsch auch anonym erfolgt, die Schweigepflicht. Bei Bedarf wird weiterführende Hilfe vermittelt.

Finanziert wird die Arbeit der Anlaufstelle durch die Landkreise Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen sowie vom Bayerischen Sozialministerium und aus Eigenmitteln, weshalb Spenden für die Arbeit willkommen sind. Die Beratungsstelle Weilheim & Oberland ist unter Telefon 0881/927922-94 erreichbar. Online-Infos: beratungsstelle-netz.de.

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