„Heute sind wir ein Teil von Tölz“: Wie der Zwickerhof gerettet wurde
Die streitbare Bäuerin Annelies Sappl kam vor zehn Jahren bei einem Unglück im Stall ums Leben. Ihr Sohn blickt nun zurück, wie es danach mit dem Hof im Ratzenwinkel weiterging.
Bad Tölz – „Was gut gepflanzt ist, wird nicht ausgerissen. Was treu bewahrt wird, geht nicht verloren“, steht auf dem Sterbebild von Annelies Sappl. Heute vor zehn Jahren, am 28. Oktober 2014, hatte die Zwicker-Bäuerin einen Jungstier in seiner Box an die Kette legen wollen. Die 70-Jährige war angegriffen und von dem Tier erdrückt worden. Als die Söhne Hans und Martin nachmittags vom Holzen kamen, war ihrer Mutter nicht mehr zu helfen.
Zehn Jahre später sitzen Martin Sappl und seine Frau Lisa mit den Kindern Anna (9), Martin (7) und Josefa (4) rund um den Küchentisch. Der 42-Jährige erzählt, was damals in ihm vorging: „Da kommst heim und findest die Mutter tot. Bricht jetzt alles zusammen?“ Der damals noch bei der Baywa in München angestellte Hoferbe Martin Sappl war plötzlich alleine mit Millionenschulden konfrontiert; einer „Bad-Bank“, die auf Zwangsvollstreckungen spezialisiert war, mit weiteren Einzelgläubigern und einem Hof, auf dem Jahre zuvor der Strom abgestellt worden war. Das war das Umfeld, von dem Martin Sappl heute sagt: „Ich dachte, wir werden von allen Seiten angegriffen. Was soll nun werden?“
Geschichte einer Hofrettung in Bad Tölz
„Uns war es erst einmal wichtig, ein würdiges Begräbnis für meine Mutter zu organisieren“, sagt der Zwicker-Bauer. Man darf in dieser Art und Weise, Prioritäten zu setzen, durchaus ein Muster erkennen, wie der Hof in den folgenden Jahren aus der Krise kommen sollte: in kleinen, mitunter winzigen Schritten, aber entschlossen und stets nach vorn schauend.
Die Beerdigung am Tölzer Waldfriedhof war würdig. Die streitbare, kompromisslose Annelies Sappl, die im Leben mitunter auch die Hand beiseite geschlagen hatte, die ihr helfen wollte, fand am Tölzer Waldfriedhof im Familiengrab die letzte Ruhe. Pfarrer Peter Demmelmair sprach von einer Persönlichkeit mit vielen Facetten und künstlerischen Begabungen. Gut 500 Trauergäste zeugten davon, dass die stolze Bäuerin trotz allem viel Sympathie bei den Menschen genossen hatte.
Eingeschüchtert vom brachialen Vorgehen der Bank
Diese Sympathie glaubt Martin Sappl schon in der Zeit vor dem Tod der Mutter wahrgenommen zu haben. „Es gab nie den totalen Bruch.“ Mit den Nachbarn hatte man sich bereits wieder angenähert. Und auch bei Behördenvertretern hatte der immer mehr in die Hofführung hineinwachsende Martin Sappl bei Verhandlungen mehrfach unerwartete Unterstützung bekommen. Details mag er nicht nennen.

Die Rückendeckung war auch nötig. Martin Sappl erhielt von der „Bad-Bank“ etwa eine Kondolenz-Karte zum Tod seiner Mutter, zusammen mit der Ankündigung, dass man sich nicht mehr an alte Verhandlungspositionen gebunden fühle. Ein gutes Jahr war bei den inzwischen noch verbliebenen Schulden um einen Vergleich über 1,5 oder 2 Millionen Euro gerungen worden. Die Profi-Abwickler der BAG Hamm wollten nun umgehend die Zwangsversteigerung wieder aktivieren. „Abnormal“ nennt Sappl noch heute kopfschüttelnd dieses Geschäftsgebaren.
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Der Zwicker-Bauer und Herr über rund 100 Hektar Wald und Wiesen hatte damals noch nicht das Gefühl für den wirklichen Wert seines Grunds und war, wie er zugibt, durchaus eingeschüchtert von diesem brachialen Vorgehen. Zumal es in diesen Monaten schon mal vorkam, dass wildfremde Menschen, vermutlich Makler, vor dem Haus auftauchten und Fotos machten.
Zwickerbauer schließt Vergleiche mit Gläubigern
Nächster Schritt also: Eine Bank suchen, die einer Umschuldung zustimmt. Eine Tölzer Bank wollte dieses „heiße Eisen“ nicht anfassen. Über Freunde war Sappl aber zur Raiffeisen Altötting gekommen, die am Ende sogar der Wunschpartner unter zwei zur Wahl stehenden Kreditinstituten war. In die Karten spielte den Akteuren die Tatsache, dass die Zinsen in jener Zeit immer weiter sanken, die Immobilienpreise aber stiegen. Das Kalkül ging für Bank und Schuldner auf.
Parallel dazu klapperte Sappl 14 Einzelgläubiger ab und erreichte bei fast allen einen Vergleich. Auch Top-Anwalt Norbert Kückelmann, der Annelies Sappl bis zum Bundesgerichtshof herausragend vertreten hatte und auf einem Berg von Honorarforderungen sitzen zu bleiben drohte, stimmte einem Vergleich mit deutlichen Abstrichen zu. Ein Ehepaar, das früher zu den Gläubigern gehörte, ist inzwischen zu Freunden der Familie geworden und geht auf dem Zwickerhof auf die Jagd.
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Zu den „positiven“ Überraschungen zählt das Ehepaar Sappl die Reaktion der Stadt. Zur Erinnerung: Annelies Sappl hatte 1995 den ihr eigentlich wohlgesonnenen Bürgermeister Schäffenacker und das Rathaus in der ZDF-Sendung „Frontal“ unter dem Titel „Jagdszenen aus Oberbayern“ scharf angegriffen. Der derart vorgeführte Stadtrat war so verärgert, dass er einstimmig beschloss, für alle Zeit den Kontakt zu Annelies Sappl einzustellen. Fast 20 Jahre später wurde dieser Beschluss vom Rathaus ausdrücklich geprüft, um wieder in Kontakt treten zu können. Möglich war dies, weil Martin Sappl eben nicht Annelies Sappl ist.
Gesprächsbereitschaft gegenüber dem Hoferben
Noch zehn Jahre später wundert sich Martin Sappl darüber, dass sich auch die Stadt so etwas wie Restsympathie für einen der ältesten Höfe auf ihrer Flur erhalten hatte. Und er dankt dem früheren Bürgermeister Josef Janker und Ex-Kämmerer Hermann Forster, die dem Hoferben von Anfang an Gesprächsbereitschaft signalisiert hatten, wenn er zunächst seine Angelegenheiten regle. Im Kleinen half die Stadt sofort. Etwa bei der Strombeschaffung. Der Hof war seit Jahren ohne Elektrizität. Sappls Anfragen wurden zwar nicht negativ beschieden, aber waren an vier- bis fünfstellige Kosten für angeblich neue Strommasten oder Trafos gebunden. Mit Hilfe Jankers sei das nun ganz schnell gegangen. Noch im November 2014 habe der Hof wieder Strom gehabt. Sappl: „Wir haben nur 600 Euro für ein Betonfundament bezahlen müssen.“
Nachdem der Zwicker-Bauer eine Bank gefunden hatte, die ihm sogar die ersten fünf Jahre Zeit zum Handeln ließ, nachdem ferner das Grundbuch von allen anderen Schuldnern geräumt war, entstand Verhandlungsspielraum. Mit privaten Investoren, die ein Millionengeschäft witterten, aber eben auch mit der Stadt.
Zwickerhof bietet 50 Parzellen für Gemüseanbau
Nach vielen Gesprächsrunden und Verhandlungen wurde das schon oft beschriebene Kapitel „Hintersberg 2“ im neuen Buch über den Zwicker-Hof aufgeschlagen. 1,6 Hektar Grund kaufte die Stadt, um sie für Wohnungsbau und im Erbpachtmodell zu entwickeln. 0,8 Hektar Grund verblieben dem Hofbesitzer, um sie zu bebauen und seine Schulden zu decken. Auch an den Entwicklungskosten für Verfüllung des Bergwerks (rund 600 000 Euro), Baustraße (rund 300 000 Euro) und Erschließung (rund 1,4 Millionen Euro) war Sappl stets zu einem Drittel beteiligt.
„Wir haben uns eigentlich nie als Teil von Tölz gesehen“, blickt Martin Sappl nochmals nachdenklich auf die alten Zeiten zurück. „Aber heute sind wir es.“ Etwa dann, wenn viele Tölzer heute gerne die Chance wahrnehmen, Eier oder Kartoffeln vom Hof zu erwerben oder eine der derzeit 50 Parzellen für den Gemüsenanbau zu mieten.
Todestag von Annlies Sappl jährt sich zum zehnten Mal
Muttertierhaltung und eine Ochsenmast sind ferner die Standbeine des Zwicker-Hofs, der von Lisa Sappl mitbewirtschaftet wird. „Ohne sie“, sagt Martin Sappl dankbar, „hätten wir das alles nicht geschafft.“ Zum Hof-„Inventar“ gehört auch Martins Bruder Hans (40), der bei allen Alltagsroutinen, die es auf so einem großen Anwesen gibt, seinem Bruder „eine große Hilfe ist“.
Ende Oktober 2024: Annelies Sappl ist seit zehn Jahren tot. Martin und Lisa Sappl haben sich vorgenommen, zu diesem Anlass den Familien- und alten Freundeskreis einzuladen. „Ein guter Zeitpunkt, um nochmals zurückzublicken und sich zu erinnern“. Vor dem Zwicker-Bauern liegt am Küchentisch das Sterbebild, für dessen Rückseite ein Hinterglasbild der Mutter mit einer Auferstehungsszene als Vorlage diente. Daneben steht ein zweiter Wahlspruch der Zwicker-Bäuerin, den sie ihren Kindern mitgegeben hat: „Das Ziel nicht vergessen, den Weg nicht verlassen, den Mut nicht verlieren.“ Dieser Wunsch hat sich erfüllt. (Christoph Schnitzer)