Bezahlkarte: Warum sie nur 334 Asylbewerber im Landkreis Starnberg haben
Nur 334 Asylbewerber im Landkreis haben die neue Bezahlkarte im Geldbeutel. Vertreter von Helferkreisen sind froh darüber. Denn die Karte verkompliziere den Alltag der Geflüchteten, sagen sie.
Ende Mai hatte das Landratsamt angekündigt, die Bezahlkarte für Asylbewerber einzuführen. Mittlerweile sind alle verteilt, wie Sprecher Stefan Diebl auf Merkur-Nachfrage mitteilt. Alle, das sind 334, eine Karte sei nicht abgeholt worden. Die Zahl bedarf der Einordnung, weil im allgemeinen Sprachgebrauch unter Geflüchteten nicht immer differenziert wird. In diese Oberkategorie fallen derzeit 4098 Menschen im Landkreis – inklusive der 1741 Ukrainer, für deren finanzielle Unterstützung das Jobcenter zuständig ist. „Asylbewerber im Leistungsbezug“ zählt das Sozialamt im Landratsamt 736. Von jenen wiederum hat also nicht einmal die Hälfte die Bezahlkarte erhalten. Warum? Weil Kinder unter 14 Jahren sie nicht bekommen, genauso wie Asylbewerber, die weniger als vier Monate Leistungen beziehen, seit drei Monaten mehr verdienen als in einem Minijob, einen eigenen Wohnsitz haben oder Ehepartner ohne Asylleistungsanspruch. Man kann also sagen, dass nur etwa acht Prozent der Geflüchteten im Landkreis das neue Zahlungsmittel im Geldbeutel haben, das wie eine Kreditkarte aussieht.
Auf die Bezahlkarte erhalten Asylbewerber Guthaben, das ihrem individuellen Anspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz entspricht. Überweisungen ins Ausland sind nicht mehr möglich, innerhalb Deutschlands können bestimmte Transaktionen, etwa an Anwälte oder für Zugtickets, nach einer Prüfung zugelassen werden. Bargeld steht den Karteninhabern nur 50 Euro, die sie monatlich abheben können, zur Verfügung.
Laut Landratsamt anfangs Probleme mit Handyanbietern und Geschäften
Und wie funktioniert's? Die Auskunft des Landratsamts: „Anfangs gab es viele Anfragen bezüglich offener Ratenzahlungen, wie diese zurückbezahlt werden können. Ebenso wurde bei einem Handyanbieter die IBAN der Bezahlkarte nicht angenommen. Diese Probleme konnten jedoch recht schnell gelöst werden“, schreibt Sprecher Diebl. Und es habe Anbieter und Geschäfte gegeben, bei denen die Bezahlkarte nicht angenommen wurde oder das Abheben teilweise nicht funktioniert hat. „Dies wurde in Einzelfällen jeweils geklärt und Lösungen gefunden.“
„Die Helferkreise im Landkreis stehen der Einführung der Bezahlkarte sehr kritisch gegenüber“, sagt Eva Ott als eine von deren Kontaktpersonen. Sie ist Vorsitzende des Gilchinger Asyl-Helferkreises. „Wir glauben, dass die Begründung, die die Politik ausführt, für die meisten der Geflüchteten, die im Leistungsbezug durch das Sozialamt sind, nicht zutrifft.“ Sie könnten die sowieso knappe Hilfe zum Lebensunterhalt nicht in die Heimatländer schicken, da dafür schon die Bankgebühren sehr hoch seien. „Wer Geld nach Hause schickt, arbeitet und muss nicht mehr die Ausgaben, die er macht, durch das Sozialamt kontrollieren lassen und gegebenenfalls begründen, wofür er das Geld ausgegeben hat“, so Ott.
Die meisten Leute wissen nicht, wie sie mit der Karte umgehen sollen.
Leider seien manche Banken nicht gut informiert, und auch viele Läden würden die Bezahlkarte ablehnen, weil die Abrechnung für sie zu umständlich sei, berichtet Ott. Kompliziert findet sie, dass sämtliche Ratenzahlungsverpflichtungen angegeben und individuell vom Sozialamt freigeschaltet werden müssten. Außerdem seien die gerichtlich bestellten Betreuer von Asylbewerbern zunächst nicht mit eingebunden worden. „Diese wurden auch von uns Helfern erst auf die neue Situation aufmerksam gemacht.“
Franz Bissinger, Sprecher des Helferkreises Herrsching, berichtet: „Die meisten Leute wissen nicht, wie sie mit der Karte umgehen sollen.“ Er selbst kümmere sich um mehr als 50 Asylbewerber, aber nicht alle würden betreut. Bissinger nennt das Beispiel einer monatlich laufenden Lastschriftzahlung einer Frau bei einem großen Versandhändler. „Sie ging bisher vom Bankkonto ab, das ist jetzt aber leer, und deshalb fallen Strafgebühren an“, sagt der Asylhelfer. Die Geflüchteten müssten ihre Konten bei den Banken auflösen und bei laufenden Zahlungen die neue IBAN-Nummer der Bezahlkarte angeben. Was für gebildete Muttersprachler banal klinge, seien für andere „schwierige Zusammenhänge. Das sind keine Einzelfälle“, betont Bissinger. Im Umfeld der Container-Unterkünfte sieht er es auch kritisch, dass sich die Menschen nicht mehr so einfach gegenseitig Geld leihen können, abgesehen von den 50 Euro im Monat.
Manche Asylbewerber merkten in den ersten Monaten mit der Karte, dass sie sie nur im eigenen Landkreis einsetzen können. Zum Beispiel jene, die im Fliegerhorst-Ankerzentrum in Fürstenfeldbruck wohnen, können in den Nachbarlandkreisen Starnberg oder München nicht bezahlen. Asylbewerber, die noch nicht länger als drei Monate in Deutschland sind, unterliegen einer Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde – und damit ist auch ihre Karte räumlich beschränkt. Im Landkreis Starnberg seien solche Fälle eher selten, sagt Landratsamtssprecher Diebl auf Nachfrage. Die meisten könnten die Karte also bundesweit einsetzen.
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In Nürnberg klagten zuletzt zwei Geflüchtete aus Schwabach erfolgreich gegen die Bezahlkarte. Sie hatten argumentiert, wegen der Beschränkungen der Karten nicht günstig im Internet oder in Nachbarbarstädten einkaufen zu können. In Hamburg kippte ein Gericht die Bargeldobergrenze von 50 Euro für Flüchtlinge mit Kindern und Schwangere. Von sich anbahnenden oder eingereichten Klagen ist dem Starnberger Landratsamt noch nichts bekannt. Mitte September soll es einen Erfahrungsaustausch von Asylhelfern und Vertretern des Sozialamts geben.
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