Im Gespräch mit dem Ex-Wirtschaftsminister: „Es braucht Bewegung auf breiter Front“

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Elder Statesman: Auch mit 80 Jahren nimmt Ex-Wirtschaftsminister Otto Wiesheu kein Blatt vor den Mund. © Siegfried Martin

Ex-Wirtschaftsminister Otto Wiesheu feiert seinen 80. Geburtstag. Im Interview verrät er, dass er noch heute die politischen Entwicklungen ganz genau verfolgt. Und auch sonst ist er alles andere als untätig.

Freising – Er war über viele Jahre hinweg das Zugpferd und das Gesicht der CSU im Landkreis Freising: Otto Wiesheu. Morgen, am Donnerstag, 31. Oktober, feiert der frühere Bayerische Wirtschaftsminister seinen 80 Geburtstag. Wie sieht er die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Deutschland? Das FT hat nachgefragt.   

Herr Wiesheu, fehlt Ihnen das Rampenlicht in der ersten Reihe von Politik und Wirtschaft?

Das Rampenlicht fehlt mir nicht. Aber bei bestimmten Entscheidungen nicht mehr mitwirken und sie nicht beeinflussen zu können, das bedauere ich schon, speziell wenn ich meine, sie müssten anders ausfallen.

Untätig daheim sitzen, fernsehen und töpfern ist ja nicht Ihre Sache. Wo engagieren Sie sich noch? In welchen Organisationen sind Sie noch tätig?

Ich bin nach wie vor Ehrenkreisvorsitzender der CSU im Kreis Freising und Ehrenpräsident des Wirtschaftsbeirats Bayern. Zudem bin ich seit 15 Jahren Präsident der Deutsch-Arabischen-Freundschaftsgesellschaft mit Sitz in Berlin. Diese Gesellschaft will Frieden, Sicherheit, Freiheit und Wohlstand für alle im Nahen Osten lebenden Menschen und sucht Wege zum Konsens zwischen den verfeindeten Gruppen, so schwierig das auch sein mag.

Als homo politicus beobachten Sie die Entwicklungen in Bayern und Deutschland sicherlich sehr genau. Wie viele Sorgen bereiten Ihnen die AfD und der Rechtsruck im Land?

Die AfD geht mit ihrer Radikalität deutlich über das hinaus, was andere extrem rechte Parteien in Europa wollen. Sonst würden sich diese nicht von der AfD distanzieren. Was ist dagegen zu tun? Die großen Anti-AfD-Demonstrationen haben bei deren Wählern keinen Eindruck gemacht.

Wie kann man dagegen ankämpfen?

In der politischen Auseinandersetzung müssen die Wähler überzeugt werden, dass die AfD Deutschland ins Chaos führen würde: Die AfD will raus aus dem Euro und der EU. Für das exportorientierte Deutschland würde das den Verlust von mehr als zwei Millionen Arbeitsplätzen und damit den sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit, der Sozialstaatskosten und der Staatsverschuldung bedeuten. Die AfD will im Ergebnis raus aus der NATO. Damit würde sich Deutschland isolieren und zurückfallen in die Zustände vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Die AfD hat aus der Geschichte nichts gelernt. Die Westintegration hat uns Frieden und Wohlstand nach 1949 gebracht. Sie ist schneller zerstört, als manche politischen Spieler oder Spinner glauben.

Hört sich bedrohlich an.

Die AfD verbreitet rigoros die Parole „Ausländer raus“ und unterstützt gleichzeitig den russischen Präsidenten Putin bei seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Hätte Putin Erfolg, dann müssten wir in Europa mit zehn Millionen Flüchtlingen oder mehr rechnen, Deutschland alleine mit mehreren Millionen. Was die AfD hier betreibt, ist reine Chaos-Strategie zum Schaden Deutschlands. Im Übrigen wird dabei unterschlagen, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund zum Teil seit Jahren und Jahrzehnten bei uns leben und bestens im Land und in der Wirtschaft integriert sind. Dass Rot-Grün bei der Abwehr der illegalen Zuwanderung seit Jahren notwendige Entscheidungen in Deutschland und Europa verhindert, hat allerdings die AfD gestärkt.

Und die Grünen? Sehen Sie das wie viele CSU-Politiker, dass die Grünen die Wirtschaft in Deutschland zugrunderichten?

Die Zahlen geben eine klare Antwort: In den letzten drei Jahren gingen 300 000 Industriearbeitsplätze verloren. Im Münchner Merkur war am 23. Oktober zu lesen, dass laut Bundesbankbericht ausländische Direktinvestitionen in Deutschland eingebrochen sind. Und der Bau von Chip-Fabriken im Saarland und in Magdeburg sowie der Batteriefabrik in Schleswig-Holstein, die vom Bund x Milliarden an Subventionen bekommen sollten, ist abgeblasen. Das Hauptproblem der Grünen ist: Sie denken nichts vom Ende her:  Vor drei Jahren haben sie ein „neues grünes Wirtschaftswunder“ durch die Transformation der Wirtschaft Richtung CO2-Freiheit verkündet. Jetzt läuft hier ohne riesige Subventionen nichts. Die Energiewende wird scheitern.

Warum?

Nur mit volatilem Strom aus Wind und Sonne, dem Flatterstrom, und ohne grundlastfähige Stromversorgung lässt sich ein Industrieland wie Deutschland nicht dauerhaft und kostengünstig versorgen. Die weltweit sichersten Kernkraftwerke in Deutschland wurden von der Ampel abgeschaltet. Aber die Regierung hat keine Probleme damit, Atomstrom aus Frankreich oder Tschechien zu beziehen. Der Strompreis wird steigen. Der Bau der notwendigen Übertragungs- und Verteilernetze kostet mehrere 100 Milliarden. Die EEG-Umlage, die jetzt der Bund bezahlt, bewegt sich 2024 in Richtung 20 Milliarden Euro. Sie wird systembedingt steigen. Deutschland hat jetzt bereits Strompreise, die im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig sind.

Was wären Maßnahmen, um in Deutschland wieder eine positive Stimmung zu erzeugen? Auf die Fußballnationalmannschaft kann man sich ja nicht verlassen.

Notwendig ist eine gravierende Korrektur der Energiepolitik und der Forschungs -und Innovationpolitik auf den verschiedensten Gebieten einschließlich der KI. Deutschland und Europa dürfen von den USA und China bei neuen Produkten nicht abgehängt werden, sie müssen Vorreiter sein. Ein Aufholprozess wäre schwierig. Dazu kommen Themen wie Entbürokratisierung, Investitionen in die Infrastruktur bei Schiene, Straße und digitaler Technik, die Reform der Besteuerung, um international wieder wettbewerbsfähig zu werden. Sonst wandern Produktionen und Dienstleistungen ab, anstatt dass neue zu uns kommen. Es braucht Bewegung auf breiter Front.

Welchen Rat haben Sie für Ihre Nachfolger auf Kreisebene, damit dort die Wahlergebnisse für die CSU wieder besser ausfallen?

Florian Herrmann macht seine Arbeit als Abgeordneter wie als CSU-Kreisvorsitzender sehr gut. Man soll nicht übersehen, dass der Stimmkreis Freising zu den schwierigeren im Land gehört und natürlich auch von den Entwicklungen auf Landesebene mit abhängig ist. Und wenn ich einen guten Rat für ihn habe, dann sage ich ihm das persönlich und nicht über die Presse.

Seine Stationen

In seiner langen Laufbahn hat Otto Wiesheu viele Ämter und Positionen ausgefüllt: Landtagsabgeordneter von 1974 bis 2005, von April bis zu seinem Rücktritt im November 1983 Generalsekretär der CSU, von 1984 bis 1990 Geschäftsführer der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, von 1990 bis 1993 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst, von 1993 bis Ende 2005 Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie und von 2006 bis 2009 Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG.

Von 2004 bis 2007 war Wiesheu Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG), seit 2007 ist er Präsident der neu gegründeten DAFG – Deutsch-Arabische Freundschaftsgesellschaft e. V. in Berlin. Im Juli 2009 wurde Wiesheu zum Präsidenten des Vereins Wirtschaftsbeirat der Union in Bayern gewählt und gehört seit dem 1. Oktober 2007 dem Hochschulrat der Technischen Universität München an.

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