29-Jähriger klärt über Queerfeindlichkeit auf: „Der gesellschaftliche Druck ist, nicht trans zu sein!“

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Voller Stolz ziehen zahlreiche Menschen am Christopher Street Day im vergangenen Jahr durch die Dachauer Altstadt. Heuer findet der Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag für LGBTQI+ am 15. Juni zum zweiten Mal mit einer bunten Parade im Landkreis statt. © mik

Luca ist non-binär, trans und erzählt, welcher Gewalt queere Menschen ausgesetzt sind und welche verheerenden Folgen das hat.

Dachau – Luca* ist auf dem Weg nach Hause in Dachau, als Volksfestbesucher Luca entdecken. Was bist du für ein Wesen?, grölen sie. Sie sind betrunken, in Pöbelstimmung und in der Überzahl. „Das ist so eine typische Situation, in der man Angst hat“, sagt Luca. Luca, 29, ist non-binär, trans. Also nicht Mann, nicht Frau. Einfach Luca. Geschlechtsneutral.

*Aufgrund der negativen Erfahrungen, die uns unsere Gesprächspartner geschildert haben, hat die Redaktion allen Personen Schutznamen gegeben.

Seit fünf Jahren spricht Luca offen über die eigene Geschlechtsidentität, legt Wert darauf, geschlechtsneutral behandelt zu werden. Zum Beispiel nicht mit Herr oder Frau angesprochen zu werden. Redet man über Luca, soll man nicht die Pronomen „sie“ oder „er“ sagen, sondern: they, them oder theirs.

Umgang mit non-binären oder Trans-Personen: „Nirgendwo vorgesehen, ein queeres Leben zu führen“

Doch immer wieder kommt es zu Missverständnissen. Manchmal böswillig, manchmal aus Ahnungslosigkeit oder Unachtsamkeit. Zum Beispiel beim Arzt. „Ich hab mich daran gewöhnt mit dem falschen Pronomen angesprochen zu werden“, sagt Luca und klingt unendlich erschöpft. „Es ist nirgendwo vorgesehen, ein queeres Leben zu führen.

Erst recht nicht, wenn man non-binär-trans ist.“ Luca ist in einer Welt aufgewachsen, in der kein Platz für queere Menschen vorgesehen ist. „Man bekommt ständig gespiegelt, dass das eigene Leben das Seltsame ist.“

Ein ganz großes Problem ist, dass man sich ständig hinterfragt, ob man sich das einbildet.

Es war ein langer und harter Weg, bis Luca gelernt hat: Es ist gut, so wie ich bin. Ich muss mich nicht verstecken. „Ein ganz großes Problem ist, dass man sich ständig hinterfragt, ob man sich das einbildet. Der gesellschaftliche Druck ist, nicht trans zu sein.“

Coming-out von Trans-Menschen

Es ist, wie wenn dich jemand mit einem Stein bewirft. Einem riesen Felsen – denn du kannst ja nichts dafür, wie du bist. Claudio (23) Die Regenbogenflagge steht für Vielfalt, Toleranz und Offenheit – und wird als Zeichen der Verbundenheit mit der LGBTIQ+ Szene verwendet.
Die Regenbogenflagge steht für Vielfalt, Toleranz und Offenheit – und wird als Zeichen der Verbundenheit mit der LGBTIQ+ Szene verwendet. © dpa

Drei Jahre hat es gedauert, bis sich Luca endlich selbst annehmen konnte. Geholfen haben Menschen, denen es ähnlich ging. Von ihnen lernte Luca Wörter, um das bis dahin unbeschreibliche Gefühl endlich zu beschreiben: non-binär, trans.

„Leute wollen bei Trans-Menschen sowas hören wie: ,Ich wusste es schon als Kind und durfte nicht die Kleidung anziehen, die ich wollte’, aber es ist komplizierter“, sagt Luca und spricht traurig weiter: „Es gibt Leute, die denken schon als Kind, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Es gibt aber auch Leute, die verstehen erst nach einem Leben voller psychischer Krankheiten oder erst im Rentenalter, was das Problem war.“

Es ist leichter wegzustecken, wenn Leute direkt beleidigend und bewusst feindselig sind, als immer diese Gleichgültigkeit abzukriegen.

Verheerende Konsequenzen

Auch Luca hat schon immer gemerkt, nicht richtig reinzupassen, anders zu sein als die anderen. „Man denkt: Mit mir ist was falsch, man kriegt das Gefühl, man ist Schuld irgendwie.“

Für queere Menschen können diese Gefühle und Gedanken schlimme Folgen haben. Manche entwickeln Körperbildstörungen, Essstörungen, Depressionen. „Man merkt irgendwann, man ist seltsam, und keiner darf es herausfinden. Ich hatte sozusagen immer was zu verbergen.“ Bei Luca äußerte sich dieser innere Kampf ziemlich lange in einer sozialen Angst, der Furcht, in der Öffentlichkeit bewertet zu werden.

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Bedrohungen und Beleidigungen

Eine Hand hält eine Holzpuppe in der Hand
Queere Menschen sind Gewalt ausgesetzt. © Marco Bianchetti/Unsplash

Auch wenn die Stimmen von queeren Menschen immer lauter werden und es immer mehr Leute gibt, die ihre Identität ausleben, ist bei Weitem noch nicht alles gut. Luca kennt Leute aus der Szene, die jeden Tag Anfeindungen ertragen müssen. Mal sind es Blicke, mal Beleidigungen, mal Schlimmeres. Es kann überall geschehen. In der S-Bahn, der Schule, dem Gasthaus, auf dem Weg nach Hause.

Queerfeindlichkeit ist nicht nur eine Situation mit einem bösen Menschen, sondern es geht um strukturelle Gewalt, um das, was Leute nicht sehen.

Wer von Queerfeindlichkeit hört, hat oft automatisch solche Bilder im Kopf. Doch genau das sei auch Teil des Problems, wie Luca erklärt. „Queerfeindlichkeit ist nicht nur eine Situation mit einem bösen Menschen, sondern es geht um strukturelle Gewalt, um das, was Leute nicht sehen.“

Strukturelle Gewalt

Es ist etwas, wofür selbst queere Menschen lange brauchen, um es zu begreifen, meint Luca. Bei Queerfeindlichkeit gehe es nicht nur um körperliche oder verbale Angriffe, sondern viel mehr um das gesellschaftliche Klima, um Ausgrenzung. „Es ist leichter wegzustecken, wenn Leute direkt beleidigend und bewusst feindselig sind, als immer diese Gleichgültigkeit abzukriegen“, sagt Luca. „Das reibt ab.“

In Dachau lebt Luca seit fünf Jahren, hier fühlt sich Luca wohl, hat eine feste Community gefunden – nicht einmal unbedingt eine queere. Im vergangenen Jahr hat Luca gemeinsam mit anderen den ersten CSD in Dachau organisiert. Auch heuer findet wieder ein buntes Programm statt. Es geht vor allem um die Gefahr von Rechts.

Der Backlash

CSD 2023
Eine Teilnehmerin an der letztjährigen CSD-Parade hält ein Schild mit der Aufschrift „Hass macht hässlich“ hoch. © Georg Wendt/dpa/Archivbild

Die queere Community erlebe derzeit einen Backlash, einen Gegenschlag, sagt Luca. Laut Luca aber nicht bloß von Rechts, sondern auch aus der Mitte. Wenn zum Beispiel ein bayerischer Ministerpräsident das Gendern in Behörden verbietet. „Das bedeutet, dass Menschen wie ich für Behörden nicht existieren.“ Eigentlich sei das Thema Gendern für Luca nie so wichtig gewesen, doch seit es gesetzlich verboten ist, sei es für Luca brisant geworden.

„Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft einen Platz für uns frei hält“

„Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft einen Platz für uns frei hält – in der Behörde, in der Schule, in der Sprache – und sich wirklich auseinandersetzt, wie vielfältig Leute sind.“ Wer Luca zuhört, merkt: Es soll niemandem der Mund verboten werden. Im Gegenteil. Das, worum es Luca geht, ist, von der Gesellschaft wahrgenommen und respektiert zu werden. Nicht als Mann oder als Frau. Sondern einfach als Mensch.

In Lucas Ausweis steht derzeit noch der alte Name. Aber nicht mehr lange. Sobald das Selbstbestimmungsgesetz heuer in Kraft tritt, wird in Lucas Ausweis das Feld bei dem Geschlechtseintrag leer bleiben. Auf diesen Moment wartet Luca schon lange.

Anlässlich des Pride Month Juni veröffentlichen die Dachauer Nachrichten eine Reihe von Artikeln. Sie handeln von Menschen, die - wie der bisexuelle 23-jährige Claudio und der 27-jährige Trans-Mann Emil - nach Jahren der Suche ihr wahres Ich gefunden haben. Und sie handeln von Menschen, die in diesen Situationen Hilfe anbieten.

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