Emil ist ein Trans-Mann. Zum Beginn des Pride Month erzählt der 27-Jährige aus dem Landkreis Dachau, wie er zu dem Menschen wurde, der er heute ist.
Landkreis – Noch nie hat sich Emil* so sehr auf den Sommer gefreut wie in diesem Jahr. Endlich kann er oben ohne schwimmen gehen – ohne das Gefühl zu haben, sich zu schämen. Sein Spiegelbild zu betrachten – das war für Emil den größten Teil seines Lebens eine Qual. Bis er vor wenigen Wochen die Operation hatte, die sein Leben veränderte: Emil ließ sich die Brüste entfernen.
* Emil heißt in eigentlich anders, doch aufgrund der negativen Erfahrungen, die er uns geschildert hat, hat die Redaktion ihm einen Schutznamen gegeben
Der Moment, als der 27-Jährige nach dem Eingriff das erste Mal in den Spiegel blickte, zählt zu den schönsten seines Lebens. „Das war ein krasses Gefühl.“ Eine Mischung aus Aufregung, Euphorie, Erleichterung.
Emil ist mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren. Bis er zu dem Mann wurde, der er jetzt ist, war es ein schwieriger Weg: Therapiestunden, Arztbesuche, Gutachten, ein Gerichtstermin. Und dazwischen viel Bürokratie und monatelange Wartezeiten. „Das ist sehr ermüdend.“
Die Gesellschaft gehe oft davon aus, dass Tran-Menschen leiden müssen, zum Beispiel in der Kindheit oder der Pupertät, sagt Emil. „Ich hatte keine super schreckliche Jugend.“
Emil merkte aber dennoch, „dass etwas nicht passt, aber ich hatte keinen Begriff dafür“. Dann traf er andere Menschen, denen es so ging wie ihm.
Emil ist Trans: Nach Jahren des Zweifelns fand er endlich zu sich selbst
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So recht konnte oder wollte Emil das Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein, damals aber nicht glauben. „Ich habe mir“ einerseits „gedacht, ich habe als Kind mit Puppen gespielt, das kann nicht sein“. Andererseits trug er mit zwölf Jahren eine Kurzhaarfrisur und eher männliche Klamotten.
In seinem Leben gab es aber auch zwei „extrem weibliche Phasen“, wie er die insgesamt drei, vier Jahre rückblickend beschreibt, in denen er sich die Haare wachsen ließ, Kleider anzog, sich schminkte und mit anderen Mädchen shoppen ging. „Ich wollte nicht der Komische sein, der anders ist. Ich habe unterbewusst gedacht, wenn ich das so mache wie die, fühle ich mich auch so wie sie.“ Emil merkte aber immer mehr: Das, was er vorgab zu sein, ist nicht sein wahres Ich.
2019 hatte er sein Coming-Out. Zuerst bei seinem damaligen Freund, dann bei der Familie und seinen Freunden. Er schrieb ihnen einen Brief. Auch bei seinem Arbeitgeber outete er sich schriftlich. „Ich habe Angst vor ihren Reaktionen“, erklärt sich Emil.
„Ich kenne jemanden, der sich mit zwölf geoutet hat und dann von zuhause rausgeflogen ist, er musste bei Pflegefamilien unterkommen“. Bislang waren Emils Sorgen, dass er abgelehnt und ausgegrenzt wird, ungerechtfertigt, was ihm zufolge aber „Glück“ ist. Emils soziales Umfeld ist sehr offen und tolerant, erzählt er.
„Trans zu sein ist kein Trend!“
Doch nicht alle Menschen sind so. Das musste Emil in der Vergangenheit schon öfter erfahren. Vor allem, wenn er mit seinem Freund unterwegs ist, der wie Emil ebenfalls ein Trans-Mann ist. „Wir werden dafür angefeindet, dass wir schwul sind“, sagt Emil ernst, dann lächelt er. „Das bedeutet aber auch, dass wir beide von anderen als männlich gelesen werden.“
Ich habe mir nicht ausgesucht, trans zu sein. Ich wurde so geboren.
Für Trans-Menschen, vor allem für diejenigen, die sich wie Emil noch nicht lange medizinisch behandeln lassen, ist es ein großes Ding, von anderen endlich äußerlich als die Person wahrgenommen zu werden, die man tief im Inneren schon die ganze Zeit ist. „Ich habe mir nicht ausgesucht, trans zu sein. Ich wurde so geboren“, betont Emil. Umso mehr verletzt es ihn, wenn Leute behaupten, das sei eine Modeerscheinung. „Trans zu sein ist kein Trend! Warum sollte ich mir etwas aussuchen, wofür ich diskriminiert werde?“
Emils Freundeskreis besteht zum größten Teil aus Trans-Menschen. Viele lernte er in einem queeren Jugendzentrum in München kennen. Auch wenn sich Emil viel in München aufhält, weil es dort mehr Angebote und Anlaufstellen für Trans-Menschen gibt als in Dachau, so ist sein Lebensmittelpunkt doch hier im Landkreis. Hier ist er aufgewachsen, zur Schule gegangen. Und hier ist Emil auch politisch aktiv.
Emil ist politisch sehr aktiv - möchte aber nicht „der Trans-Kommunalpolitiker“ im Landkreis sein
Seit 2016 ist er Mitglied einer Partei, seit 2020 ist er ehrenamtlich als Kommunalpolitiker tätig. Seit einem Jahr ist er offiziell Emil, also laut seinen Ausweisdokumenten. Seitdem wird er von Behörden, dem politischen Gremium und der Verwaltung richtig angesprochen. „Ein Politiker hat sich bei mir entschuldigt, dass er mich jahrelang falsch angesprochen hat. Das hat mich überrascht und sehr gefreut.“ Weitere Reaktionen, ob positiv oder negativ, hat er als Kommunalpolitiker noch nicht erfahren.
Viele Menschen wissen aber auch gar nicht, dass ich trans bin.
„Viele Menschen wissen aber auch gar nicht, dass ich trans bin“, sagt Emil. Zum Beispiel Arbeitskollegen oder Menschen, die er neu kennenlernt. Er möchte nicht „die Trans-Person“ in der Arbeit sein oder „der erste Trans-Kommunalpolitiker“ im Landkreis Dachau. Es soll keine große Sache daraus gemacht werden, sagt Emil und betont: „Ich will nicht darauf reduziert werden!“
Was Emil sich wünscht, ist ein Leben zu führen, das andere als normal wahrnehmen und respektieren. Auch wenn er sich als Trans-Mann nicht weiteren Operationen unterziehen will, sondern so bleiben mag, wie er jetzt ist. Denn so fühlt er sich zum ersten Mal in seinem Leben richtig wohl in seinem Körper.
Anlässlich des Pride Month Juni veröffentlichen die Dachauer Nachrichten in den kommenden Wochen eine Reihe von Artikeln. Sie handeln von Menschen, die - wie Emil - nach Jahren der Suche ihr wahres Ich gefunden haben. Und sie handeln von Menschen, die in diesen Situationen Hilfe anbieten.
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