„Risiko eines verheerenden Krieges“: Südkoreas Ex-Präsident wollte offenbar Konflikt mit Nordkorea provozieren
Neue Anschuldigungen gegen Ex-Präsident Yoon beschäftigen Südkorea: Ließ er Drohnen nach Nordkorea schicken, um das Kim-Regime zu provozieren?
Es klang zunächst wie das übliche Propagandagewitter aus Pjöngjang. „Solcher Abschaum gehört auf eine Müllkippe“, wetterte im Oktober vergangenen Jahres Kim Yo-jong, die mächtige Schwester von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un, Adressat war die südkoreanische Regierung. Den „Militärgangstern“ in Seoul drohte sie mit einer „furchtbaren Katastrophe“, sollten diese ihre „Provokationen“ nicht umgehend einstellen.
Was Kim Yo-jong so erzürnte, waren angebliche Drohnenflüge über Nordkoreas Hauptstadt. Die Drohnen hätten Flugblätter über Pjöngjang abgeworfen, geschickt habe sie die Regierung in Seoul. Auf Fotos, die Nordkorea damals veröffentlichte, sieht man undeutlich mehrere Drohnen am Himmel über Pjöngjang sowie abgeworfene Flugblätter. Eine andere Aufnahme zeigt offenbar eine Kampfdrohne, die in der Region Pjöngjang in einen Baum gestürzt war.
Wollte Kriegsrechts-Präsident Yoon mit Drohenflügen Nordkorea provozieren?
Aber war das wirklich alles nur Propaganda? Der damalige südkoreanische Verteidigungsminister Kim Yong-hyun wies die Anschuldigungen aus Pjöngjang zunächst zwar zurück. Später relativierte Südkoreas Generalstab die Aussage aber und erklärte, man könne „nicht bestätigen, ob die nordkoreanischen Anschuldigungen wahr sind oder nicht“. Derweil drohte Kim Yo-jong weiter: „Niemand weiß, wie unsere Vergeltung und Rache aussehen werden“, sagte die Diktatorenschwester.
Passiert ist dann allerdings: nichts. Es blieb bei Protest und Beleidigungen, ansonsten aber hielt sich Pjöngjang zurück. Aufatmen in Südkorea, das sich seit 75 Jahren im Kriegszustand mit dem Norden befindet.
Nur einer, so scheint es heute, war gar nicht glücklich über das Ausbleiben einer handfesten Reaktion des Kim-Regimes: Yoon Suk-yeol, damals Präsident Südkoreas. Zunehmend verdichten sich nämlich die Hinweise, dass es Yoon war, der im Oktober 2024 Drohnen über den Himmel von Pjöngjang schickte. Yoons mögliches Kalkül: Sollte das Kim-Regime auf die Drohnenflüge des Südens mit einer militärischen Provokation reagieren, könnte er das Kriegsrecht ausrufen – und so gegen die Opposition vorgehen, die ihm damals mit ihrer Parlamentsmehrheit das Regieren schwermachte. So zumindest sehen das südkoreanische Sonderermittler, die die Vorfälle von damals nun untersuchen.
Sonderermittler untersuchen Drohnen-Vorwürfe
Zwei Monate nach den Drohnensichtungen rief Yoon tatsächlich das Kriegsrecht aus. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion stürmten Soldaten das Parlament in Seoul, in einer Fernsehansprache fabulierte Yoon von einer angeblichen Zusammenarbeit der Opposition mit „nordkoreanischen Kommunisten“. Beweise dafür legte er allerdings nicht vor. Nach ein paar Stunden war der Spuk wieder vorbei, das Parlament widerrief das Kriegsrecht, Yoon wurde abgesetzt.
Nach einer Neuwahl im Juni heißt Südkoreas neuer Präsident Lee Jae-myung. Und der scheint entschlossen, die Kriegsrechtsepisode aufzuarbeiten. Dreimal wurde Yoon bislang angeklagt, unter anderem wegen Hochverrat und Amtsmissbrauch, ihm droht lebenslange Haft. Yoon weist alle Anschuldigungen zurück.
Nun kommt die Episode um die Drohenflüge hinzu. Am Montag wurde Kim Yong-dae, der Leiter des Drohneneinsatzkommandos (DOC), suspendiert, ihm wird laut der Nachrichtenagentur Yonhap unter anderem das Fälschen von Dokumenten vorgeworfen. Im Februar hatte das DOC in einem Bericht behauptet, eine seiner Drohnen sei Mitte Oktober aus unbekannten Gründen bei einer Übung in Südkorea abgestürzt. Also just in dem Zeitraum, als über Pjöngjang Drohnen gemeldet wurden. Die Sonderermittler in dem Fall glauben, das DOC habe damals zwei Drohnen nach Nordkorea geschickt, von denen eine abstürzte. Um den Drohenflug nach Pjöngjang zu vertuschen, hätten die Verantwortlichen die Flugdaten gefälscht.
Drohnen gegen Nordkoreas Müll-Ballons?
Kim Yong-dae wiederum nahm den damaligen Präsident Yoon in Schutz, dieser habe keinen Angriff des Nordens provozieren wollen, sagte er am Wochenende vor Journalisten. Vielmehr habe man die Drohnen in die Grenzregion geschickt, um auf mit Müll gefüllte Ballons zu reagieren, die das Kim-Regime damals zu Hunderten in den Süden segeln ließ.
Belastet wird Südkoreas Ex-Präsident Yoon allerdings auch durch eine Audioaufnahme, über die Anfang des Monats die Zeitung Korea JoongAng Daily berichtete. Auf der Aufnahme, die den Sonderermittlern in dem Fall vorliegen soll, sagt demnach ein hochrangiger Mitarbeiter des Drohneneinsatzkommandos, sein Vorgesetzter habe den Befehl für den Einsatz der Drohnen von „V“ erhalten. „V“ ist dem Bericht zufolge eine Bezeichnung, die das südkoreanische Militär für den amtierenden Präsidenten verwendet, insbesondere wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht – oder um verdeckte Operationen.
Dan Pinkston von der Troy University in Seoul glaubt, die koreanische Halbinsel sei durch die Drohnenflüge nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Der Deutschen Welle sagte er über Yoons angeblichen Versuch, den Norden zu provozieren: „Es ist schwer zu verstehen, was hinter dieser Entscheidung steckt, aber sie hat das Land dem Risiko eines verheerenden Krieges ausgesetzt.“