„Wie aus einem Horrorfilm“: Nordkoreas neueste Waffe soll Kim Jong-uns Feinde zermürben

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Im Konflikt zwischen Nord- und Südkorea setzen beide Seiten auf Propaganda-Attacken. Das Kim-Regime werdet nun besonders perfide Mittel an.

Einfach war das Leben für die Menschen im Grenzgebiet zwischen den beiden Koreas nie. Die Bewohner der kleinen Inselgruppe Yeonpyeongdo etwa, die westlich von Seoul im Gelben Meer liegt und in Sichtweite des nordkoreanischen Festlandes, müssen gar mit der ständigen Angst leben, Opfer von Artilleriebeschuss durch das Regime von Kim Jong-un zu werden. Zuletzt im Januar ließ Pjöngjang rund 200 Geschosse vor die Küste der Insel feuern, verletzt wurde zum Glück niemand. 2010 waren hier bei Gefechten noch mehrere Menschen ums Leben gekommen.

Während Soldaten aus der Kim-Diktatur in der Ukraine erstmals seit dem Koreakrieg an aktiven Kampfhandlungen beteiligt sind, führen Nord- und Südkorea ihren Konflikt mit lokal begrenzten Scharmützeln weiter. Ein paar Tausend Menschen sind seit dem Waffenstillstand von 1953 auf beiden Seiten ums Leben gekommen, die meiste Zeit blieb es jedoch friedlich. Seit diesem Jahr nun ist es mit der Ruhe einmal mehr vorbei. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Nord- und Südkorea bekämpfen einander mit einer eher ungewöhnlichen Waffe: Lärm.


Kim Jong-un bei einem Fabrikbesuch Mitte November
Kim Jong-un bei einem Fabrikbesuch Mitte November: Nordkoreas Diktator bekämpft den Süden neuerdings mit Lärm. © KCNA/AFP

Nordkoreas Lärm-Attacken: „Es ist ein Bombardement ohne Granaten“

Betroffen ist diesmal Ganghwa, eine Insel unweit der südkoreanischen Hauptstadt und nur wenige Kilometer vom nordkoreanischen Festland entfernt. Dort, am nordkoreanischen Ufer, ließ das Regime alte Lautsprecheranlagen wieder in Betrieb nehmen, die seit den 60-ern in unregelmäßigen Abständen Propagandabotschaften übers Meer brüllen. Seit Kurzem aber wirbt Nordkorea nicht mehr um Überläufer aus dem Süden, stattdessen dringen Tag und Nacht seltsame Geräusche übers Meer, die den Menschen auf Ganghwa den Schlaf rauben. „Schreie von Menschen, die auf dem Schlachtfeld sterben, das Krachen von Schüssen, explodierende Bomben und eine unheimliche Musik“, so beschreibt die Nachrichtenagentur AFP die Klangkulisse. Und ein Reporter der New York Times berichtete nach einem Ortsbesuch, das Ganze klinge „wie aus einem Horrorfilm“.

So geht das schon seit ein paar Monaten, aber erst seit die Zeitung aus New York vor wenigen Tagen vor Ort war, interessiert sich auch der Rest der Welt für die schlaflosen Nächte der Menschen auf der Insel. „Es macht uns verrückt“, zitierte die Zeitung die 37-jährige Bewohnerin An Mi-hee. „Es ist ein Bombardement ohne Granaten.“ Bei Ziegen verursache der Lärm Fehlgeburten, Hühner würden weniger Eier legen, erzählten Anwohner.

Ballon-Krieg zwischen Nord- und Südkorea

Begonnen hatte das jüngste Kapitel im Konflikt der beiden Bruderstaaten mit einem Gerichtsurteil – und Luftballons. Im September letzten Jahres hob das südkoreanische Verfassungsgericht ein Gesetz auf, dass es Aktivisten seit 2020 verboten hatte, mit Propagandamaterial bestückte Ballons in Richtung Nordkorea treiben zu lassen. Der Schutz der Meinungsfreiheit sei wichtiger als die Sorge der Regierung vor Vergeltungsmaßnahmen des Kim-Regimes, urteilten die Richter in Seoul. Das ließen sich die Aktivisten nicht zweimal sagen und begannen wenig später, USB-Sticks und Flugblätter an große Heißluftballons zu binden und diese über die Grenze zu schicken.

Riesige Lautsprecheranlagen beschallen die südkoreanische Insel Ganghwa.
Riesige Lautsprecheranlagen beschallen die südkoreanische Insel Ganghwa. © Anthony Wallace/AFP

Vor einem halben Jahr dann war die Geduld im Norden angesichts der Propaganda-Flut offenbar zu Ende. Das Kim-Regime ließ seinerseits Ballons in den Süden segeln, bestückt allerdings nicht mit Propagandabotschaften, sondern mit Unrat. Tausende Müll-Ballons sind seitdem in Südkorea niedergegangen. Was die Regierung in Seoul wiederum nicht auf sich sitzen lassen wollte. Sie ließ im Sommer im Grenzgebiet Lautsprecheranlagen wieder anknipsen, die seitdem Popmusik und Informationen über das Leben im demokratischen Süden über die Grenze tragen. Angeblich kann man die Botschaften noch in der Großstadt Kaesong hören, 30 Kilometer hinter der Grenze.

Nordkoreas Verfassung führt den Süden neuerdings als „Feindstaat“

Warum Nordkorea nicht ebenfalls Propaganda in den Süden schickt, sondern seltsame Geräusche, ist unklar, geäußert hat sich das Regime zu den Lärm-Angriffen bislang nicht. Wahrscheinlich geht es dem Regime aber einfach darum, die Menschen auf Ganghwa mürbe zu machen. Nordkoreanischer Propaganda würde im Süden ohnehin niemand glauben. Möglich ist aber auch, dass der Lärm die Propaganda-Nachrichten des Südens übertönen soll, damit die in der Grenzregion stationierten Soldaten des Kim-Regimes nicht auf dumme Gedanken kommen, vermuten Experten.

Ohnehin sind die Spannungen zwischen den beiden Ländern, die sich formell noch immer im Krieg miteinander befinden, derzeit so groß wie lange nicht mehr. In der nordkoreanischen Verfassung wird der südliche Nachbar seit Kurzem als „Feindstaat“ geführt, der Einsatz von nordkoreanischen Soldaten im Ukraine-Krieg hat den Konflikt mittlerweile auch auf europäischen Boden getragen.

Die Menschen auf Ganghwa möchten vor allem eines: endlich ihre Ruhe haben. Keine große Hilfe dabei ist ihnen die Regierung in Seoul. Der ist bislang nicht viel mehr eingefallen, als den lärmgeplagten Bewohnern der Insel neue Fenster zu versprechen.

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