Schuld ist der deutsche Wald: Nach nur wenigen Tagen im Amt kollabiert Merz‘ Klima-Plan
Noch keine zehn Tage ist Friedrich Merz im Amt, da steht seine schwarz-rote Koalition bereits vor einem großen Klima-Problem: Deutschlands Wälder fallen als Klimaschützer aus. Statt CO2 aus der Atmosphäre zu saugen, wird die Natur selbst zur Quelle von Treibhausgasen – und hinterlässt eine gravierende Lücke im Klimaschutzpfad bis 2045.
Ein Problem für die Klimapolitik der schwarz-roten Koalition. Davor warnt der Expertenrat für Klimafragen in seinem aktuellen Gutachten, das am Dienstagmorgen veröffentlicht wurde. FOCUS online Earth lag das Gutachten vorab vor.
In dem rund 300-seitigen Gutachten analysiert das Expertengremium, wie viele Treibhausgase Deutschland im Jahr 2024 eingespart hat – und ob die Bundesrepublik ihre Klimaziele bis 2030 und 2045 erreichen kann.
Die wichtigsten Erkenntnisse des Klima-Expertenrats im Überblick:
Klima-Bilanz für 2024: Deutschland hat im Jahr 2024 rund 23 Megatonnen CO2-Äquivalente eingespart – ein Rückgang der Treibhausgasemissionen um etwa 3,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die größten Problemfelder bleiben bestehen: Der Verkehrs- und der Gebäudesektor haben laut Expertenrat erneut ihre Emissionsziele verfehlt, diesmal noch deutlicher als 2023.
Trotz der Schwächen einzelner Sektoren wurde das Gesamt-Klimaziel für 2024 aber erreicht. Die neue Koalition muss vorerst also nicht gegensteuern. Ausschlaggebend dafür seien laut Expertenrat vor allem die Vorgängerregierung: Der Ausbau erneuerbarer Energien und der Rückbau der Kohlekraftwerke hätten entscheidend zur CO2-Reduktion beigetragen.
Milliardenrisiko: Deutschland drohen EU-Strafzahlungen
Klima-Pfad bis 2030: Bis 2030 bleibt Deutschlands Einhaltung der Klimaziele ein Drahtseilakt. Um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 will die Bundesregierung die deutschen CO2-Emissionen bis 2030 verringert haben. Den Daten zufolge wird das 2030-Ziel aber nur noch knapp eingehalten – mit einem verbleibenden Puffer von 81 Megatonnen CO2-Äquivalenten.
Die Klimaziele bis 2030 weder also weder unter- noch überschritten. Doch der Expertenrat warnt: Neben der Vorarbeit der Ampel-Regierung geht ein Teil der Einsparungen auch auf die Wirtschaftsflaute der letzten Jahre und die Corona-Pandemie zurück. Industriebetriebe produzierten weniger, die Deutschen verbrauchten weniger Strom. Ohne diese Einsparungen wäre das CO2-Budget wohl überschritten worden.
Hinzu kommt die europäische Ebene, wo noch einmal eigene Klimaziele gelten. Und dort droht Deutschland die EU-Vorgaben zu verfehlen – Strafzahlungen in Milliardenhöhe drohen. „Das Verfehlen der europäischen Emissionsziele bis 2030 kann potenziell teuer werden“, sagt der Klimaforscher Niklas Höhne, Gründer des NewClimate Institute und Professor an der niederländischen Universität Wageningen. Bis zu 22 Milliarden Euro könnte Deutschland berappen müssen, schätzt Höhne.
Der deutsche Wald fällt als CO2-Speicher aus
Klima-Pfad bis 2045: Insgesamt sehen die deutschen Klimaziele bis 2030 allerdings halbwegs in Ordnung aus. Doch spätestens ab dem Jahr 2030 drohen sie deutlich aus dem Ruder zu laufen, zeigt der Bericht. Bis 2045 will Deutschland immerhin vollständig klimaneutral werden, doch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß.
Besonders problematisch sei der Analyse zufolge, dass der sogenannte „Landnutzungs-Sektor“ als natürliche Klimasenke wegfalle. Die deutschen Wälder, Ackerflächen, Feuchtgebiete und sonstige Grünflächen haben bislang auf natürliche Weise Treibhausgase aus der Atmosphäre gesogen und im Boden gespeichert.
Weil aber vor allem der deutsche Wald immer kaputter wird, kann der Land-Sektor immer weniger CO2 speichern, gleichzeitig wird mehr und mehr CO2 freigesetzt, das vor Jahren und Jahrzehnten im Boden eingelagert wurde. Der deutsche Land-Sektor wird also vom Helfer zum zusätzlichen Problem.
Im Jahr 2045 verbleiben laut Expertenrat 204 Megatonnen CO2-Äquivalente, selbst ohne die zusätzlichen Emissionen aus dem Land-Sektor. Das Ziel der Klimaneutralität würde damit deutlich verfehlt. Einen Plan dafür habe die Bundesregierung nicht, kritisiert der Expertenrat. Die Hoffnung liege auf Technologien wie der CO2-Speicherung, dabei sei noch gar nicht klar, wie diese Technologien überhaupt eingesetzt werden sollen.
Expertenrat warnt: Ohne Strategie sind Klimaziele unerreichbar
Dass der deutsche Wald als natürliche Klimasenke des Landes wegfällt, ist keine Überraschung. Eine Studie des Thünen-Instituts und des Umweltbundesamts hatte bereits im Herbst gewarnt, dass Deutschlands Wälder als CO2-Speicher wegfallen.
Für Merz‘ Koalition wird das zum Problem. Deutschlands Strategie, bis 2045 klimaneutral zu werden, fußte darauf, dass die natürlichen Ökosysteme als Klimasenken fungieren. Gleichzeitig erkennt der Expertenrat kaum Impulse, wie die Agenda der neuen Koalition weitere Emissionen senken soll, im Gegenteil. Laut Gutachten könnten die Treibhausgasemissionen unter der frisch angetretenen Bundesregierung sogar wieder leicht steigen.
Die „Liste der Hausaufgaben“
Jetzt bleibt Union und SPD genau ein Jahr Zeit: Bis Ende März 2026 muss die Bundesregierung ein Klimaschutzprogramm vorlegen, das ist rechtlich ohnehin vorgeschrieben. Das Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass eine Bundesregierung spätestens ein Jahr nach Amtsantritt ihren Plan präsentieren muss.
„Der Rat ist klar in der Liste der Hausaufgaben“, urteilt Klimaforscher Höhne. „Mehr Maßnahmen im Verkehrs- und Gebäudesektor, klare Regeln, wie der Europäische Emissionshandel für diese Sektoren umgesetzt werden soll, eine Strategie für Emissionen der Forstwirtschaft und eine klare Definition, wie hoch der Anteil der technischen Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre langfristig sein soll.“
Ob Schwarz-Rot diesen Kraftakt schafft, wird zum entscheidenden Klimatest der neuen Regierung.
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