Neue alarmierende Daten - Und plötzlich brechen Deutschlands Wälder als CO2-Speicher weg
Jahrzehntelang senkte der Wald als CO2-Speicher die deutschen Gesamtemissionen. Damit ist nun laut offiziellen Daten Schluss: Der Wald stößt in Zukunft mehr Kohlendioxid aus, als er bindet. Die Regierung setzt auf natürlichen Klimaschutz. Und ein Urteil zwingt sie zum schnellen Handeln.
Der Wald und die Landwirtschaft in Deutschland werden in den nächsten Jahrzehnten wohl deutlich weniger zum Klimaschutz beitragen können als geplant. Die CO2-Speicherfähigkeit des Sektors Landnutzung (LULUCF) hat sich in den letzten Jahren stark reduziert und ist nun praktisch verschwunden. In den nächsten Jahren bis 2030 rechnen Experten im Gegenteil damit, dass der Sektor mehr Treibhausgase ausstößt als er einlagert – dass er also von einer CO2-Senke zu einer CO2-Quelle wird. Das geht aus Projektionen des Thünen-Instituts hervor. Auch eine neue Studie des Umweltbundesamts (UBA) zeigt in diese Richtung.
Thünen-Institut: Weniger CO2-Speicher als angenommen
In den „Projektionsdaten zu den Treibhausgasemissionen“ des Johan Heinrich von Thünen-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, Wald und Fischerei, heißt es, dass „der Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) in der Summe erheblich weniger Kohlendioxid aufnimmt als bisher angenommen.“ Auch in der „Bundeswaldinventur“, die das Bundesministerium für Landwirtschaft BMEL am 8. Oktober vorstellen will, wird dieser Trend deutlich beschrieben: Über die letzten Jahre hat vor allem der Wald immer weniger Kohlendioxid eingelagert.
Dabei könnten die offiziellen Daten von Treibhausgasinventur und Bundeswaldinventur das Problem noch unterschätzen , legt die aktuelle Studie des Öko-Instituts im Auftrag des UBA nahe. Denn die offiziellen Rechnungen „berücksichtigen natürliche Störungen im Wald wie starke Trockenheit, Schäden durch Käfer und den damit verbunden Rückgang der Vitalität der Bäume sowie ihr Absterben nicht ausreichend “, heißt es vom Öko-Institut. Insgesamt liege die CO2-Speicherfunktion des deutschen Waldes deshalb wohl „für die Jahre 2018 bis 2021 um 55 bis 60 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr geringer als bisher angenommen“, so das Fazit.

Faktenzentriert. Fundiert. Konstruktiv. Jeden Freitag als Newsletter.
Dabei plant die offizielle deutsche Klimapolitik den Forstsektor als Senke dringend ein : Von 2027 bis 2030 sollen laut Klimaschutzgesetz (KSG) jedes Jahr 25 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden – 2037 bis 2040 sollen es schon 35 Millionen Tonnen jährlich sein. Und Zielwert für die letzten drei Jahre vor der gesetzlich festgelegten Klimaneutralität 2045 sind sogar 40 Millionen Tonnen. Damit sollen die Wälder, die ein Drittel Deutschlands auf 11,4 Millionen Hektar bedecken, laut KSG etwa Emissionen aus der Zementindustrie ausgleichen , die sich ansonsten nur sehr schwer vermeiden lassen.
Gesetzliche Ziele bislang in weiter Ferne
Diese Werte werden allerdings nach den bisherigen Projektionen des Thünen-Instituts weit verfehlt. In einem Szenario, das alle Klimaschutzmaßnahmen bis zum Frühjahr 2024 einrechnet, speichert der Sektor in den Jahren um 2030 höchstens etwa eine Million Tonnen – die Lücke zu den gesetzlich Vorgaben beträgt also etwa 24 Millionen Tonnen. Noch größer wird die Zielverfehlung in den späteren Jahren: Während das KSG vom deutschen Wald Speicherleistung von 35 bis 40 Millionen Tonnen im Jahr erhofft, schafft es der Sektor laut Projektion gerade mal, in der Summe seine Emissionen bei etwa Null zu halten.
In Fachkreisen ist es ein offenes Geheimnis, dass der deutsche Wald droht, als Klimaschützer auszufallen. Allerdings heißt es offiziell immer noch, der Wald sei eine wichtige Kohlenstoffsenke, er habe 2019 drei Prozent der deutschen Emissionen ausgeglichen – noch 2012 waren das nach offiziellen Zahlen 12 Prozent. Auch die aktuelle Bundeswaldinventur wird darüber kaum eine Aussage machen, denn sie blickt auf die vergangenen zehn Jahre.
Umweltministerium setzt auf natürlichen Klimaschutz
Das zuständige Bundesumweltministerium bestätigt indes auf Nachfrage die düstere Vorhersage des Thünen-Instituts : Man sehe „keinen Anlass, die Ergebnisse der aktuellen Klimaprojektionen für den LULUCF-Sektor (…) grundsätzlich infrage zu stellen“, heißt es.
Zur Schließung dieser Klimaschutzlücke setzt das Umweltministerium dabei auf das „Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz“ (ANK). Mit dem Sonderprogramm für insgesamt 3,5 Milliarden Euro fördert der Bund etwa Waldumbau, Moorvernässung und die Renaturierung von Flussauen. Diese Maßnahmen tauchen im Thünen-Bericht noch nicht auf, weil sie erst später angeschoben wurden. Die ANK-Maßnahmen seien bei ihrer Konzeptionierung so ausgelegt worden, dass mit ihnen „die Ziele des KSG erreicht werden sollten“ , sagte eine Sprecherin gegenüber Table.Briefings. Sicher ist das Ministerium sich da aber nicht. Es verweist auf eine veränderte Methodik bei der Berechnung und auf einen „Nachsteuerungsmechanismus“ im ANK.
Dem Ministerium sei „bewusst, dass die Klimaziele für den Landsektor sehr ambitioniert sind“, so die Sprecherin. Dürren, Unwetter und der Klimawandel hätten große Auswirkungen auf die Emissionsbilanz des Sektors, die nur schwer vorauszusagen seien. „Wir wissen, dass weiterhin großer Handlungsbedarf im Landsektor besteht“, heißt es. Deshalb habe man den Wissenschaftlichen Beirat für Natürlichen Klimaschutz gebeten, „uns Handlungsoptionen aufzuzeigen.“
Rechtskräftiges Urteil: Mehr Klimaschutz im Wald
Druck dabei bekommt die Bundesregierung nun von den Gerichten. Denn die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte gegen die deutsche LULUCF-Regel als unzureichend geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin gab der DUH im Frühjahr recht. Ende August verzichtete das Umweltministerium darauf, Revision gegen das Urteil einzulegen und akzeptierte damit die Verurteilung zu mehr Anstrengungen für den Klimaschutz im LULUCF-Bereich.
Das bedeutet nach Meinung der DUH, dass die Regierung bis Ende Oktober ihre Planungen zu diesem Zweck offenlegen und innerhalb von sechs Monaten verabschieden müsse. Sonst werde man ein „Zwangsvollstreckungsverfahren gegen die Bundesregierung einleiten“, so der Verband. Er fordert als Klimaschutzmaßnahmen:
- deutlich weniger Holzentnahme aus den Wäldern
- Wiedervernässung von mindestens 50.000 Hektar Moor pro Jahr
- keine weitere Förderung von Holzverbrennung in Kraftwerken.
Es sei „das erste Mal, dass ein Umweltverband eine rechtskräftige Verurteilung der Bundesregierung zu sofortigen konkreten Klimaschutzmaßnahmen vor einem Verwaltungsgericht erwirken konnte “, heißt es von der DUH. Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner meint, die „positive Wirkung dieses Urteils für den Naturschutz und die Landnutzung ist gar nicht zu überschätzen.“ Die Regierung werde gezwungen, auch in der Forstpolitik mehr für den Klimaschutz zu tun, „überfällig ist ein ambitioniertes neues Waldgesetz, das sich am Ökosystem Wald und nicht einseitig an den Interessen der Forstindustrie orientiert.“
Von Bernhard Pötter
Das Original zu diesem Beitrag "Und plötzlich brechen Deutschlands Wälder als CO2-Speicher weg" stammt von Table.Media.